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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Entlassungen in der 2. Liga Hire and fire: In dieser Liga hält sich fast kein Trainer

Die 2. Bundesliga ist so spannend und prominent besetzt wie selten zuvor. Allerdings gibt es auch mehr Trainerwechsel denn je – zuletzt fast einen pro Tag. Was steckt dahinter?
"Die beste zweite Liga aller Zeiten": Mit diesem Slogan warb ein Privatsender erstmals vor über zwei Jahrzehnten für seine Übertragungen der Spiele des Bundesliga-Unterhauses. Zu dieser Zeit gehörten Klubs wie Fortuna Köln oder die SpVgg Unterhaching dort noch zum Inventar.
Seitdem hat sich die Zusammenstellung der Spielklasse eklatant verändert – und wird dem eingangs formulierten Anspruch mit Klubs wie dem Hamburger SV, dem 1. FC Köln, dem 1. FC Kaiserslautern, Hertha BSC und Schalke 04 zumindest im Hinblick auf Prominenz hinlänglich gerecht.
15 Trainerentlassungen bei 18 Teams
Während diese Klubs die 2. Liga in vielerlei Hinsicht aufgewertet haben, ist sie für ambitionierte Übungsleiter vielfach zur Sackgasse geworden. Allein 15(!) Trainerentlassungen gab es an den bisherigen 32 Spieltagen – wohlgemerkt bei 18 Teams.
"Man hat beinahe den Eindruck, als ob mehr Trainer entlassen worden sind, als es Vereine gibt", sagt Benno Möhlmann im Gespräch mit t-online. Der 70-Jährige kennt den Beruf wie kaum sonst jemand – und war als Spieler und Coach in 1.100 Profispielen der ersten und zweiten Liga dabei.
Mittlerweile ist er im Ruhestand und Präsident des Bundes Deutscher Fußball-Lehrer (BDFL), in dem über 5.000 Übungsleiter organisiert sind. Die derzeitige Entwicklung im Bundesliga-Unterhaus bereitet Möhlmann Sorge. "Wir können als Verband mahnen und die Entwicklung anprangern", sagt der ehemalige Bundesliga-Profi.
Dabei klingt er nicht alarmistisch. Im Gegenteil: Es gehöre grundsätzlich zum Profil eines Profitrainers, damit zu rechnen, dass eine Zusammenarbeit nicht so lange laufe, wie eigentlich vertraglich datiert, erklärt Möhlmann.
96, Fürth, Regensburg und S04 haben bereits Trainer Nummer drei
Nur die "Häufigkeit", wie zuletzt seitens vieler Vereine reagiert worden sei, stimmt ihn nachdenklich. "Klubs, die sogar zweimal den Trainer wechseln, sollten wirklich hinterfragen, ob diese Herangehensweise nachhaltig ist oder ob der Fehler nicht an anderer Stelle gesucht werden sollte", kritisiert Möhlmann.
Aktuell fallen darunter gleich vier Vereine: Hannover 96, die SpVgg Greuther Fürth, Jahn Regensburg und Schalke. Beim krisengeschüttelten S04 lösten die Wechsel das größte mediale Echo aus: Erst wurde Karel Geraets im September durch Kees van Wonderen ersetzt, der wiederum am 3. Mai Interimscoach Jakob Fimpel Platz machen musste.
Der Rauswurf van Wonderens kam wenig überraschend. Sein Abgang zum Saisonende war bereits vor einiger Zeit beschlossene Sache, und nachdem er die Klubführung scharf kritisiert und 0:2 gegen Paderborn verloren hatte, wurde die Trennung vorgezogen.
Zwei Spieltage vor Schluss hat Schalke zwar noch ein beruhigendes Polster von sechs Punkten auf den Relegationsrang. Da in den nächsten Partien aber die Topteams Düsseldorf und Elversberg warten, geht am Trainingsgelände am Berger Feld die Angst um. Man habe "eine Verantwortung gegenüber dem Verein", begründete Youri Mulder, der Direktor Profifußball, van Wonderens Abberufung.
Pl. | Mannschaft | Sp. | S | U | N | Tore | Diff. | Pkt. | Form → | ||
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
13 | Schalke | 32 | 10 | 8 | 14 | 51:58 | -7 | 38 | |||
14 | Münster | 33 | 8 | 11 | 14 | 38:41 | -3 | 35 | |||
15 | Fürth | 32 | 9 | 8 | 15 | 41:56 | -15 | 35 | |||
16 | Braunschweig | 32 | 8 | 11 | 13 | 37:57 | -20 | 35 | |||
17 | Ulm | 32 | 6 | 11 | 15 | 33:40 | -7 | 29 | |||
18 | Regensburg | 32 | 6 | 6 | 20 | 20:66 | -46 | 24 |
So oder so ähnlich hören sich Begründungen für Trainerrauswürfe oft an – zuletzt häuften sich die Begründungsfloskeln allerdings massiv. Späte Trennungen von Übungsleitern liegen im Trend im deutschen Profifußball. Das Fachmagazin "Kicker" kommentiert in Bezug auf eine Statistik der drei obersten deutschen Spielklassen: "So extrem war's noch nie." Und die 2. Liga sticht dabei heraus.
Am Montag stellte Greuther Fürth Jan Siewert frei, am Donnerstag folgte Jahn Regensburg mit Andreas Patz (der den Verein ohnehin zum Saisonende verlassen sollte – mehr dazu lesen Sie hier). Die größte Traineraufregung in den vergangenen Tagen verursachte allerdings der 1. FC Köln: Nach einem 1:1 am Samstagabend gegen ebenjene Regensburger trennte sich der Klub von Gerhard Struber. Dieser lag zu dem Zeitpunkt auf dem zweiten Tabellenplatz – mit drei Punkten Vorsprung auf den Relegationsrang.
Nachdem sich Manager Christian Keller nach der Partie für den Coach ausgesprochen hatte und auch in Gesprächen mit den FC-Oberen vehement für Struber Partei ergriffen haben soll, musste er ebenfalls seinen Hut nehmen. Der große Hoffnungsträger am Geißbockheim ist nun Friedhelm Funkel – ein Handlungsreisender in Sachen Last-minute-Engagements –, der bereits vor vier Jahren spät angeheuert wurde und den FC damals in der Bundesliga hielt.
"Ich möchte der Mannschaft eine gewisse Lockerheit und Selbstvertrauen vermitteln. Wenn mir das gelingt, werden wir am Ende der Saison wieder in der Bundesliga sein", sagte Funkel bei seinem Amtsantritt unter der Woche. Der 71-Jährige ist der Inbegriff der Trainergattung "Feuerwehrmann", einer, der sportlich wankende Teams mit seiner Ruhe und Erfahrung erfolgreich über die Ziellinie hievt.
Köln und der Inbegriff des "Feuerwehrmanns"
Funkel hat sogar noch mehr Profispiele als Trainer auf dem Buckel als Möhlmann. Nicht nur, weil sie sich seit Jahren kennen, ist der BDFL-Präsident von seinem Kollegen überzeugt. Die generelle Situation in Köln beobachtet er allerdings mit Stirnrunzeln: "Der Wechsel in Köln ist von außen nicht nachvollziehbar", sagt Möhlmann.
Ganz unabhängig von Funkel sieht er es generell kritisch, so kurz vor Schluss noch einen neuen Mann an der Seitenlinie zu installieren. "In zwei Spielen kann man nichts Wesentliches an der Mannschaft ändern. Man kann den Spielern zwar den Kopf waschen und einen neuen Ansatz einbringen, der aber nicht strategisch gesteuert werden kann", meint Möhlmann. Er selbst habe zu seiner Trainerzeit nie eine Mannschaft so spät in der Saison übernommen. "Das ist ein reines Glücksspiel, welches Du als Trainer meistens auch nur eingehst, wenn Du ein Sprungbrett brauchst – oder so wie Friedhelm alles schon erreicht hast", sagt Möhlmann.
Insgesamt haben sieben Teams seit dem 30. Spieltag den Trainer gewechselt – also über ein Drittel der gesamten Liga. Eine derartige Häufung gab es noch nie. In den 16 Spielzeiten davor waren es nie mehr als zwei – in der Bundesliga übrigens ebenso. Doch warum ist die späte Fluktuation gerade in der zweiten Liga so auffällig?
"Das ist eine gute Frage", sagte BDFL-Präsident Möhlmann, der schon länger nach Antworten darauf sucht. Eine ist für ihn finanzieller Natur und hängt unter anderem mit den Fernsehgeldern zusammen. "Der finanzielle Sprung für Zweitligisten zur dritten und ersten Liga ist sehr groß. Viele Vereine haben deshalb den Ansatz, unbedingt noch etwas zu probieren, das sie weiterbringt und irgendwie noch Aufstieg oder Klassenerhalt sichert", erklärt Möhlmann.
Liga mit hoher Leistungsdichte
Ein weiterer Erklärungsansatz ist die hohe Leistungsdichte in der Spielklasse. Beinahe die gesamte Saison war mehr als die Hälfte der Liga im Aufstiegsrennen vertreten, stets getrennt durch nur wenige Punkte. Auch jetzt können theoretisch noch neun Teams aufsteigen. Ähnlich sieht es im Tabellenkeller aus, wo noch fünf Mannschaften um den Klassenverbleib bangen.
Um in einer derart engen Konkurrenz mithalten zu können, ist die Hürde im Hinblick auf Trainerwechsel möglicherweise etwas niedriger als in einer normaleren Spielzeit.
Pl. | Mannschaft | Sp. | S | U | N | Tore | Diff. | Pkt. | Form → | ||
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
1 | Köln | 33 | 17 | 7 | 9 | 49:38 | +11 | 58 | |||
2 | HSV | 32 | 15 | 11 | 6 | 70:40 | +30 | 56 | |||
3 | Elversberg | 32 | 14 | 10 | 8 | 59:36 | +23 | 52 | |||
4 | Paderborn | 32 | 14 | 10 | 8 | 54:42 | +12 | 52 | |||
5 | Magdeburg | 32 | 13 | 11 | 8 | 59:48 | +11 | 50 | |||
6 | Düsseldorf | 32 | 13 | 11 | 8 | 53:48 | +5 | 50 | |||
7 | K´lautern | 32 | 14 | 8 | 10 | 54:50 | +4 | 50 | |||
8 | Hannover | 32 | 13 | 10 | 9 | 39:34 | +5 | 49 | |||
9 | Karlsruhe | 32 | 13 | 9 | 10 | 52:53 | -1 | 48 |
Und teilweise klappt das auch. So wie in Münster. Nachdem Trainer Sascha Hildmann mit dem SC Preußen erst den Aufstieg in die 3. Liga geschafft und den Klub dann nach 33 Jahren wieder ins Bundesliga-Unterhaus gebracht hatte, wurde er Ende April trotz Punktgleichheit mit dem Tabellensechzehnten entlassen. Nachfolger Christian Pander feierte zum Auftakt einen äußerst überraschenden 5:0-Sieg bei Aufstiegsaspirant Magdeburg.
"Das hat natürlich auch eine Außenwirkung und bringt den einen oder anderen Verein dazu, auch über einen Trainerwechsel nachzudenken", mutmaßt BDFL-Präsident Möhlmann. Fraglich ist indes, ob sich das auch jeder Klub leisten kann. Denn: Einen Trainer vorzeitig freizustellen, ist gemeinhin keine günstige Sache, weil der normalerweise weiter sein Geld bekommt. Oder eine Abfindung.

Bund Deutscher Fußball-Lehrer
Der BDFL ist der Berufsverband der Lizenztrainerinnen und -trainer in Deutschland. Aktuell hat er über 5.300 Mitglieder. Präsident ist seit 2022 der langjährige Erst- und Zweitligatrainer Benno Möhlmann.
Möhlmann vermutet, dass das auch mit veränderten Vertragsausgestaltungen zu tun hat. Doch wie könnte der immer stärker aufkommenden Hire-and-Fire-Mentalität von Verbandsseite begegnet werden? Wären mögliche Sanktionen durch den Deutschen Fußball-Bund (DFB) oder die Deutsche Fußball-Liga (DFL) eine Möglichkeit?
"Das ist schwierig. Eine Geldstrafe wird Vereine sicherlich nicht davon abhalten – dann eher ein Punktabzug", erläutert BDFL-Präsident Möhlmann. Allerdings müsse aus seiner Sicht vielmehr ein Kulturwandel erfolgen: "Meistens ist die Trainerentlassung die Antwort auf eine sportliche Talfahrt. Dabei hat der fehlende Erfolg meist vielfältige Gründe. Entwicklung braucht Zeit – und die wird den Trainern meist nicht gegeben."
Traumberuf Profitrainer?
Es gibt viele Ansätze, die die gehäuften Entlassungen in der 2. Liga erklären. Klar scheint: Das Geschäft ist kurzweiliger, zuweilen auch unbarmherziger geworden. Möhlmann sagt deshalb: "Ich glaube nicht, dass es heutzutage noch ein Traumberuf ist, Trainer im Profibereich zu werden."
Doch er sieht mannigfaltige andere Einsatzmöglichkeiten: "Wenn man Freude am Fußball hat, hat man auch Freude daran, Fußball zu lehren. Und es gibt genug Stellen, beispielsweise in den Nachwuchsabteilungen, wo man sich noch auf die Arbeit konzentrieren kann, diese geschätzt und honoriert wird – und wo es nicht nur auf Punkte und Außendarstellung ankommt."
Stellen, nach denen sich derzeit wohl einige aktuelle und ehemalige Zweitligatrainer sehnen werden.
- Gespräch mit Benno Möhlmann
- welt.de: Haifischbecken 2. Liga – 14 gefeuerte Trainer in einer Saison
- transfermarkt.de: Trainerprofil von Benno Möhlmann
- kicker.de: Möhlmann: "Die Position des Trainers ist schwächer als je zuvor"
- bdfl.de: Über uns
- kicker.de: Jahn Regensburg und Trainer Patz trennen sich sofort
- kicker.de: FOMO-Reflex mit Langzeitschäden: Die Trennungswelle schadet den Klubs mehr als den Trainern
- kicker.de: Wenn die Köpfe rollen: So viele späte Trainerwechsel wie nie in den drei Topligen
- kicker.de: Schalke trennt sich vorzeitig von van Wonderen – Fimpel übernimmt
- sportschau.de: 2. Liga - Spannung als Zeichen mangelnder Qualität