Bayern-Trainer unter Druck Wie lange macht Julian Nagelsmann das noch mit?
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Gegen Leverkusen setzte es für Bayern eine schwere Niederlage. Die Meisterschaft droht verloren zu gehen. Der Druck auf Nagelsmann wird immer größer.
Wenn Julian Nagelsmann am Montagmorgen den Sportteil der Tageszeitung aufgeschlagen hat, dürfte ihm der Anblick der Bundesliga-Tabelle gar nicht gefallen haben. Denn dort musste er etwas sehen, das in den letzten zehn Jahren nur äußerst selten der Fall gewesen ist: Sein FC Bayern steht nicht an der Spitze.
Nach der bitteren 1:2-Niederlage am Samstag bei Bayer Leverkusen haben die Münchner einen Punkt Rückstand auf Spitzenreiter Borussia Dortmund. Sollte das direkte Duell mit dem BVB am kommenden Spieltag verloren gehen, droht der bei den Bayern fest eingeplante Meistertitel auf einmal in weite Ferne zu rücken. Auch in der Champions League steht ein äußerst schwerer Weg bevor. Eine titellose Saison? Realistisch wie lange nicht. Der Druck auf Nagelsmann steigt und steigt. Ein Ende seiner Zeit als Bayern-Trainer scheint möglich zu sein – auf die eine oder andere Weise.
Deutlichen Vorsprung verspielt
Blickte man zu Jahresbeginn auf die Tabelle, hätte man die aktuelle Situation kaum für möglich gehalten. Beim Neustart der Bundesliga nach der WM-Pause hatten die Bayern noch ein komfortable Neun-Punkte-Polster auf Dortmund. Innerhalb von zwei Monaten ist aus dem beachtlichen Vorsprung jedoch ein knapper Rückstand geworden.
Von zehn Bundesligaspielen gewann Bayern seither nur die Hälfte, musste dabei drei Unentschieden (Leipzig, Köln, Frankfurt) und sogar zwei Niederlagen (Gladbach, Leverkusen) hinnehmen. Unterdessen starteten die Dortmunder eine spektakuläre Siegesserie, die nur von einem Unentschieden auf Schalke kurz unterbrochen wurde.
"Wir müssen gewinnen"
Das direkte Duell nach der Länderspielpause am 1. April könnte somit zur Vorentscheidung um den Titel werden. "Wir müssen gewinnen, sonst wird es schwierig mit der Meisterschaft", konstatierte Nagelsmann nach der Leverkusen-Pleite. "Wenn wir unentschieden spielen oder im 'worst case' verlieren sollten, dann wird es – bei dem Lauf, den Dortmund gerade hat – nicht einfacher", so der Bayern-Coach weiter. Sein Fazit: "Deshalb haben wir uns sehr viel Druck selbst gegeben."
Dieser lastet vor allem auch auf Nagelsmanns Schultern. Denn nachdem es schon in der vergangenen Saison nach dem frühen Aus in DFB-Pokal und Champions League "nur" für die Meisterschaft reichte, droht er sogar diesen Titel in der laufenden Spielzeit zu verlieren. Unter Nagelsmann spielen die Bayern rein statistisch die schlechteste Saison seit Jahren: 52 Punkte und 15 Siege hat der Rekordmeister nach dem 25. Spieltag auf dem Konto. Weniger Punkte (51) waren es zu diesem Zeitpunkt zuletzt in der Saison 2011/2012, weniger Siege (12) waren es in der Spielzeit 2010/2011 – beide Male hieß der Meister Borussia Dortmund.
Oase Champions League: der Druck bleibt
Der Stuhl von Nagelsmann würde angesichts dieser Zahlen wohl schon heute bedenklich wackeln, hätte der Coach die Kritiker nicht durch gute Leistungen in der Champions League immer wieder beruhigen können. Ausgerechnet die Königsklasse wurde für ihn zur Oase. Dabei wird den Bayern nichts geschenkt: Mit Inter Mailand und dem FC Barcelona erwischten sie eine Todesgruppe – doch gewannen alle sechs Spiele. Im Achtelfinale setzte sich die Nagelsmann-Elf dann mit zwei Siegen gegen das Starensemble von Paris Saint-Germain durch.
Doch der Druck bleibt auch in diesem Wettbewerb enorm: Mit Manchester City um Trainer Pep Guardiola und Tormaschine Erling Haaland wartet im Viertelfinale der nächste Hochkaräter. Der von den Bayern-Bossen ausgegebene Mindestanspruch Halbfinale wird so zu einer weiteren Herkules-Aufgabe.
Selbst im Falle eines Weiterkommens wäre der Weg zum Titel mit möglichen Duellen gegen Titelverteidiger Real Madrid und der in dieser Saison überragend aufspielenden SSC Neapel mehr als steinig.
Nagelsmann und die Nebenkriegsschauplätze
Bleibt noch der DFB-Pokal, wo mit dem Heimspiel gegen den SC Freiburg im Viertelfinale ebenfalls eine zumindest unangenehme Aufgabe wartet. Eine titellose Saison wäre wohl der Todesstoß für Nagelsmann beim FC Bayern.
In dieser schwierigen Situation muss sich der junge Bayern-Trainer dann auch noch mit einigen Nebenkriegsschauplätzen herumärgern. Zunächst war da der nominelle Kapitän Manuel Neuer, der nach seiner Verletzung und dem Rausschmiss seines Freundes und Torwart-Trainers Toni Tapalovic in einem Interview gegen den Verein austeilte.
Dann sorgten Serge Gnabry mit einer Paris-Reise sowie Leroy Sané mit Unpünktlichkeit für Aufsehen und zogen durch schwankende Leistungen Kritik auf sich. Neuerdings bereitet ein "Maulwurf" Nagelsmann Kopfschmerzen, der Interna wie Taktikanweisungen und Strafenkataloge an die Presse durchsticht.
"Extremes Schwarz-Weiß-Denken"
Das alles passiert unter dem Brennglas der Medienberichterstattung. Beim deutschen Rekordmeister treffen Hochs und Tiefs traditionell auf ein extremes Echo in der Presse. Erst am vergangenen Wochenende beklagte sich Nagelsmann in einem Interview mit der "Welt am Sonntag" über ein "extremes Schwarz-Weiß-Denken" in der medialen Betrachtung seines Klubs. Das habe ihn vorsichtiger werden lassen, er wolle aber dennoch keine Rolle spielen.
Authentisch war Nagelsmann zuletzt vor allem in den Momenten des Ärgers. Nach dem Leverkusen-Spiel fiel der Coach durch ein skurriles Interview auf (mehr dazu lesen Sie hier). Nach der Niederlage gegen Gladbach inklusive umstrittener Roter Karte gegen Verteidiger Dayot Upamecano hatte Nagelsmann seinem Ärger mit einem Ausraster gegenüber den Schiedsrichtern Luft gemacht. Die Szene stand symptomatisch für den Druck, der auf ihm lastet.
Nagelsmann: "Dann mache ich es nicht mehr"
Einen Gefallen tut sich Nagelsmann mit derartigen Auftritten jedenfalls nicht. Denn der Ausraster sorgte für weitere Negativschlagzeilen und damit für weiteren Druck – es ist ein Teufelskreis. Nagelsmann würde sich also einen Gefallen damit tun, den Ärger in Zukunft lieber herunterzuschlucken und nicht nach außen zu tragen, so authentisch das auch sein mag.
"Sollte der Druck in diesem Geschäft irgendwann so groß werden, dass die Leute fordern, dass ich mich verstellen muss – dann mache ich es nicht mehr", erinnerte sich Nagelsmann im "Welt am Sonntag"-Interview an ein Versprechen, das er einst seiner Mutter gegeben hatte. Es scheint nicht ausgeschlossen zu sein, dass dieser Punkt bald kommen könnte – wenn der sportliche Misserfolg bis dahin nicht schon sein Schicksal besiegelt hat.
- Eigene Recherche
- welt.de: "'Nach Niederlagen habe ich ein Schamgefühl'" (kostenpflichtig)
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa