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Borussia Dortmund "immer einen Schritt zu spät" laut Taktikexperten


Taktikexperte sieht weiterhin Schwächen
Titz: "BVB immer wieder einen Schritt zu spät"

Von t-online
Aktualisiert am 13.02.2015Lesedauer: 5 Min.
BVB-Star Ilkay Gündogan (li.) kämpft im Spiel gegen Freiburg mit Vladimir Darida um den Ball.Vergrößern des BildesBVB-Star Ilkay Gündogan (li.) kämpft im Spiel gegen Freiburg mit Vladimir Darida um den Ball. (Quelle: Eibner/imago-images-bilder)

Das Gespräch führte Mark Weidenfeller

Zuletzt hat Borussia Dortmund seine lange Durststrecke mit einem 3:0 beim SC Freiburg beendet und glänzte dabei phasenweise wie zu alten Zeiten. Ist nun wieder alles gut beim BVB? Mitnichten: Vor dem Heimspiel heute Abend gegen Mainz 05 (ab 20.15 Uhr im Live-Ticker bei t-online.de) sind noch viele Baustellen beim Tabellen-16. offen. Taktische Wundermittel aus der Vergangenheit wollen nicht mehr wirken.

Trainer Jürgen Klopp hat beispielsweise das Gegenpressing zu einem geflügelten Wort gemacht. Über Jahre hinweg marschierte der BVB damit von Erfolg zu Erfolg und galt dank der atemberaubenden Spielweise als die Mannschaft der Zukunft. Doch inzwischen haben das Team und das System ihre Magie verloren.

Taktikexperte Christian Titz hat sich deshalb diese besondere Art des Fußballspielens einmal genau angesehen, die Schwächen offengelegt und erklärt, was das überhaupt ist - dieses Gegenpressing.

Herr Titz, können Sie Gegenpressing in drei Sätzen erklären?

Nach eigenen Ballverlusten wird blitzschnell umgeschaltet und der Gegner sofort wieder unter Druck gesetzt. Die gesamte Mannschaft lässt sich nicht fallen, sondern versucht aktiv, den Ball zurückzuerobern. Gelingt das, wird sofort ein Gegenangriff gestartet und versucht, die zu diesem Zeitpunkt ungeordnete Defensive des gegnerischen Teams zu überrumpeln.

Borussia Dortmund, Bayer Leverkusen oder auch RB Leipzig beherrschten dieses taktische Mittel lange Zeit nahezu perfekt. Derzeit haben diese drei Teams Probleme. Woran liegt das? Wurde das Gegenpressing entschlüsselt?

Natürlich wurden inzwischen Lösungen gefunden, wie man am besten gegen diese Spielweise antritt. Alles andere wäre auch absolut inakzeptabel. Die Bundesliga gehört zu den besten Ligen Europas, die Spiele werden bis ins kleinste Detail zerlegt und die Trainer analysieren ihre Gegner ganz genau. Es ist doch völlig klar, dass es mittlerweile Antworten auf dieses Gegenpressing gibt.

Können Sie ein konkretes Beispiel nennen? Wie muss man denn spielen?

Eine interessante Sache ist die richtige Reaktion auf absichtliche Fehlpässe. Der BVB, Leverkusen und RB Leipzig spielen oft sehr risikoreiche Pässe in den Rücken der Abwehr. Wenn die ankommen, gut. Wenn die nicht ankommen, fast noch besser. Das Entscheidende sind nämlich die zweiten Bälle. Der ballführende Abwehrspieler, der den Pass abgefangen hat, läuft in solchen Momenten mit dem Rücken zur angreifenden Mannschaft auf das eigene Tor zu und ist in diesen Situationen sehr eingeschränkt. Wenn er jetzt unter Druck gesetzt wird und den Ball verliert, können sehr gute Torchancen entstehen. Es geht aber auch anders.

Nämlich?

Der SV Sandhausen hat im Spiel gegen RB Leipzig (0:0) vorgemacht, wie man diese Szenen ausnutzen kann. Die Abwehrspieler haben nämlich gar nicht erst versucht, den Ball zu kontrollieren, sondern ihn direkt wieder nach vorne geschlagen und so den Spieß umgedreht. Die Leipziger waren durch ihr Gegenpressing in der Vorwärtsbewegung und liefen dann in Konter. So oder so ähnlich haben das in dieser Saison auch schon einige Teams gegen Dortmund oder Leverkusen versucht.

Ist Gegenpressing, das nicht perfekt funktioniert, also anfälliger als andere Systeme?

In gewisser Weise ist das so, ja. Ein kleiner Fehler zieht oft eine immense Kettenreaktion nach sich. Die Spieler müssen die Laufwege verinnerlicht haben und immer wissen, wann sie wohin laufen sollten. Wenn das nicht klappt, ist das ganze System anfällig und lückenhaft. Durch die aufgerückte Abwehrreihe entstehen Räume, die den Gegner geradezu zum Kontern einladen.

Ist dieser negative Dominoeffekt das große Problem des BVB in dieser Saison?

Das ist mit Sicherheit ein zentraler Punkt der Krise - auch wenn man das differenzierter sehen muss. Die vielen Verletzten und die körperlich wie mental müden WM-Fahrer konnten nicht immer adäquat ersetzt werden. Das gibt der Kader einfach nicht her. So mussten die Neuzugänge wie Ciro Immobile, Adrian Ramos oder Shinji Kagawa früh in wichtige Rollen schlüpfen, die Taktgeber im zentralen Mittelfeld Nuri Sahin und Ilkay Gündogan sind lange Zeit ausgefallen. Zudem haben wichtige Stützen wie Lukas Piszczek, Jakub Blaszczykowski, Marco Reus, Mats Hummels oder Sven Bender immer wieder verletzungsbedingt gefehlt. In einigen Spielen wurden dann schlicht und einfach die Chancen nicht genutzt. Da ist es fast schon zwangsläufig, dass nicht alles rund läuft und sich nach einigen nicht gewonnen Spielen eine gewisse Verunsicherung breitmacht. Gegen Freiburg sah es aber ja schon wieder besser aus.

Statistisch gesehen gehört das Team ja immer noch zu den laufstärksten der Liga. Laufen die Spieler also einfach falsch?

Das System und die Laufwege können Spielern wie Immobile oder Ramos noch gar nicht so in Fleisch und Blut übergegangen sein wie es nötig wäre. Und wenn der Stürmer eine oder zwei Sekunden zu spät losläuft, um den Gegenspieler unter Druck zu setzen, hat dieser bei diesem Tempo gleich viel mehr Möglichkeiten. Das zieht sich über das gesamte Spielfeld, der BVB kommt immer wieder einen Schritt zu spät - und bekommt am Ende gar keinen Zugriff mehr. Beim Gegenpressing muss es von der ersten Sekunde an stimmen - sonst funktioniert es nicht.

Hätte Jürgen Klopp das System früher umstellen müssen? Von der fußballerischen Klasse ist der BVB doch den meisten Teams immer noch weit überlegen.

Das hat er doch durchaus getan. Zu Beginn der Saison haben sie in einem 1-4-4-2-System agiert, dann mal 1-4-2-3-1 oder auch 1-4-3-3 mit einem großen Stürmer wie Ramos in der Mitte. Oder mit zwei wendigen Spielern wie Kagawa und Reus ganz vorne in der Spitze. Sie haben auch versucht, tiefer zu stehen und den Gegner erst einmal machen zu lassen. Diese Argumentation ist mir also zu leicht.

Geholfen hat es aber trotzdem nicht.

Was dem BVB im Vergleich zu den ganz großen Teams derzeit etwas abgeht, ist das spontane Reagieren auf neue Situationen. Wenn der Gegner sich auf ein System eingestellt hat, muss man versuchen, ihm neue Aufgaben zu stellen. Pep Guardiola wechselt beispielsweise beim FC Bayern während einer Partie zwischen drei oder vier Systemen ohne Probleme hin und her. Das funktioniert beim BVB in dieser Form – in dieser Saison – aufgrund der bereits genannten Gründe nicht.

Gibt es nach dem mittlerweile offenbar etwas in die Jahre gekommenen Gegenpressing schon neue Taktik-Trends?

Die Holländer haben bei der WM mit einer Fünferkette gespielt, der FC Schalke macht das jetzt auch. Diese Teams verdichten die Mitte extrem und stehen sehr tief. Da geht es dann rein um schnelle Konter, der eigene Ballbesitz spielt fast keine Rolle mehr. Spiele mit solchen Mannschaften sind selten wirklich attraktiv. Neutrale Fans sollten also hoffen, dass das kein neuer Trend wird. Und auch diese Taktik hat natürlich ihre Schwächen.

Mehr Informationen zu Christian Titz, der schon bei großen Vereinen wie Bayer Leverkusen, Schalke 04 oder Ajax Amsterdam hospitierte, bei Klubs wie Alemannia Aachen oder dem SV Waldhof Mannheim tätig war und den FC Homburg als Chefcoach 2012 in die Regionalliga Südwest führte, finden Sie bei Facebook und seinem YouTube-Channel.

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