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Kolumne von Stefan Effenberg: "Bei der Tagesschau fast vom Sofa gefallen"


Zur Nationalelf
"Bei der Tagesschau bin ich fast vom Sofa gefallen"

MeinungEine Kolumne von Stefan Effenberg

Aktualisiert am 11.09.2018Lesedauer: 5 Min.
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t-online.de-Kolumnist Stefan Effenberg. Im Hintergrund: Die Allianz Arena in München. Der FC Bayern ist einer der Schwerpunkte des Ex-Nationalspielers. 2001 führte er den Verein als Kapitän zum Sieg in der Champions League.Vergrößern des Bildes
t-online.de-Kolumnist Stefan Effenberg. Im Hintergrund: Die Allianz Arena in München. Der FC Bayern ist einer der Schwerpunkte des Ex-Nationalspielers. 2001 führte er den Verein als Kapitän zum Sieg in der Champions League. (Quelle: imago-images-bilder)

Warum der DFB Jahre brauchen wird, um seine Probleme zu lösen, womit Löw überrascht hat – und warum ich am Samstag fast vom Sofa gefallen bin.

Als ich die "Tagesschau" am vergangenen Samstag im Fernsehen verfolgt habe, bin ich fast rückwärts vom Sofa gefallen. Ich erwarte bei der "Tagesschau" relevante Themen, die in der Welt passieren – die sind in der Regel leider sehr oft ernst und negativ.

"Tagesschau"-Beitrag wirkte wie Imagefilm

Diesmal sendete die ARD allerdings einen fast zweiminütigen Beitrag zur Nationalmannschaft mit Bildern, wie die Spieler aus dem Bus steigen, wie sie Autogramme schreiben, wie die Fans da voller Vorfreude warten. Das wirkte auf mich eher wie ein Imagefilm als ein normaler Beitrag. Die "Tagesschau" hatte ich anders in Erinnerung.

Wenn das nicht abgesprochen war zwischen DFB und ARD, dann weiß ich auch nicht mehr …

In dem Beitrag wirkte es, als wäre alles wieder gut zwischen Fans und Nationalelf – aber das ist natürlich Quatsch. Die Wahrheit ist: Es wird Jahre dauern, bis die Fans wieder so richtig Bock auf ein Länderspiel haben.

Kein Wunder, dass der DFB in kleinere Stadien geht

Vor vier, sechs oder acht Jahren waren in München bei einem EM- oder WM-Spiel überall deutsche Farben zu sehen. Bei der WM in diesem Jahr habe ich hier übertrieben ausgedrückt zwei Autos mit einer Deutschland-Fahne gesehen. Diesmal war der Tenor: "Warten wir mal ab. Wenn sie im Viertelfinale sind, schalten wir ein." Dazu kam es leider nicht.


Dass der DFB jetzt in kleinere Stadien gehen will, kommt auch nicht von ungefähr. Die Fans sehen sehr wohl, wie sich die Nationalmannschaft entfernt hat. Ich war am Donnerstag in München beim 0:0 gegen Frankreich im Stadion. Ich habe auch zwei Ohren und die funktionieren noch sehr gut. Da ist keine große Euphorie unter den Fans. Wenn du die Leute reden hörst, macht immer noch ein Wort die Runde, das die Fans ärgert: das Wort "Kommerz".

Man bekommt das Gefühl, dass beim DFB viele andere Dinge einfach vergessen oder beiseite geschoben werden.

Es kommt beim DFB noch nicht von Herzen

Aber was ist das Allerwertvollste für die deutsche Nationalmannschaft? Das ist doch die Nähe zu den Fans. Schon vor der WM gab es Anzeichen, über die man sich beim DFB hätte Gedanken machen müssen. Aber das haben sie offenbar nicht getan. Wenn du die Zuschauer vergisst, wenn du dich von deinem Fundament entfernst, wirst du über Jahre hinweg Probleme haben. Es wird Jahre dauern, bis sie das aufgearbeitet haben.

Sie versuchen beim DFB, den Eindruck zu vermitteln, dass sie etwas ändern wollen – aber bisher ist das einfach nicht ehrlich. Es muss von Herzen kommen – und das kommt es noch nicht. Deshalb ist die Distanz zwischen Nationalmannschaft und Fans nach wie vor so groß. Deshalb werden die Spiele weiterhin oft nicht ausverkauft sein. Deshalb entsteht im Stadion und draußen nicht so eine Stimmung, wie sie sein sollte.

Der Beirat klingt nach einem netten Versuch

Sie haben noch viel Arbeit vor sich. Und ich habe so meine Zweifel, ob der neue Beirat da weiterhilft. Der DFB benötigt offensichtlich Unterstützung. Aber wenn man schon etwas Neues wie einen Beirat ins Leben ruft, dann sollte das Hand und Fuß haben. Zehn Leute erscheinen mir deutlich zu viel. Bei mehr als fünf bekommt man das doch gar nicht mehr auf den Punkt. Der Beirat klingt für mich etwas nach einem netten Versuch.

Natürlich muss der DFB auch sportlich wieder ganz auf die Beine kommen. Es ist zu früh, um zu beurteilen, ob das gelingt. Aber zumindest scheint die Nationalmannschaft auf einem guten Weg. Ich habe schon vor den Länderspielen gegen Frankreich (0:0) und Peru (2:1) gesagt, dass die Ergebnisse keine große Rolle spielen dürfen. Die Nationalmannschaft hat kein Spiel verloren, das hört sich unterm Strich gut an – wichtiger sind aber die Erkenntnisse für Joachim Löw.

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Es gibt keinen Stürmer, der Tore garantiert

Es war eine hohe Erwartungshaltung da – und dafür war es eine gute Leistung in beiden Spielen. Alle sind mit einer großen Kampf- und Laufbereitschaft dabei.

Die Spieler haben einige Torchancen liegengelassen, aber das ist sicherlich ganz normal in der Situation. Das ist der fehlenden Leichtigkeit geschuldet. Es gibt nun mal aktuell auch keinen deutschen Stürmer, der Tore garantiert. Der DFB muss sich damit abfinden. Dann muss man sich taktisch eben etwas anders aufstellen. Zumal Reus, Brandt, Werner und Müller eine sehr gute Offensive sind. Gerade Brandt hat sich gegen Peru in den Vordergrund gespielt.

Löw hat mich persönlich überrascht

Wir brauchen nicht zwangsläufig einen Stoßstürmer. Nehmen wir Frankreich als Vergleich: Da gibt es mit Giroud einen, der bei der WM aber kein einziges Tor geschossen hat. Jetzt hat er mal wieder getroffen gegen die Niederlande. Aber ich bezweifle, dass uns so einer weiterhelfen würde.

Joachim Löw braucht Zeit für den Neuaufbau – und gerade deshalb hat es mich persönlich überrascht, dass er sich relativ klar dazu bekannt hat, dass Kimmich künftig dauerhaft im defensiven Mittelfeld spielt. Kimmich hat sicher die Spielanlagen, sucht die Ballkontakte, fühlt sich dort wohl und kommt ja eigentlich auch von dieser Position.

Ein Spieler sollte auf der gleichen Position spielen wie im Verein

Ich bin aber grundsätzlich der Meinung, dass ein Spieler im Nationalteam auf der Position spielen sollte, die er auch im Verein bekleidet – gerade wenn er sich dort über einen längeren Zeitraum festgespielt hat. Für mich ist der normale Werdegang, dass ein Spieler im Verein auf einer bestimmten Position überzeugt, dann vom DFB beobachtet und letztlich für diese Position nominiert wird – mit einigen wenigen Ausnahmen.

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Ich spreche da aus eigener Erfahrung. Ich habe eigentlich grundsätzlich als Sechser, Achter oder Zehner gespielt – also zumindest zentral. Beim DFB wurde ich auch oft auf die rechte Seite geschoben.

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Kimmich in den Mannschaftsrat? Eine sehr gute Idee

Das ist kein Vorwurf an Joachim Löw, schließlich muss er damit leben. Ich sage nur, dass ich es anders gemacht hätte. Ich hätte das erst mal genau beobachtet und mir Zeit genommen. Zumal er rechts hinten eine neue Lösung finden muss. Ginter hat das zwar ordentlich gemacht, aber einem wie Kehrer – den er für diese Position auch auf dem Schirm hat – muss man Zeit geben, sich im Verein durchzusetzen. Es ist schwierig, in dieser angespannten Situation jemanden im Nationalteam zu integrieren. Wenn der Druck so groß ist, kann man mehr kaputt als richtig machen.

Wenn Löw nun aber schon auf Kimmich im defensiven Mittelfeld setzt, ist das sicher auch eine Option für Trainer Niko Kovac beim FC Bayern. Das funktioniert aufgrund der Spielintelligenz – ähnlich wie damals bei Philipp Lahm unter Trainer Pep Guardiola. Kimmich spielt auf absolut höchstem Niveau und ist auf einem hervorragenden Weg. Er misst sich im Training mit den Besten – und in den Spielen auf dem allerhöchsten internationalen Niveau. Ich halte es daher auch für eine sehr gute Idee, ihn in den Mannschaftsrat im Nationalteam aufzunehmen. Dass darüber aktuell nachgedacht wird, zeigt auch seinen Stellenwert bei Löw.


Ich wünsche Joachim Löw, dass er die richtigen Erkenntnisse gewonnen hat, dass seine Mannschaft sich steigert und den nächsten Schritt nach vorne macht – denn die nächsten Gegner haben es mit Frankreich und den Niederlanden in der Nations League in sich.

Transparenzhinweis
  • Stefan Effenberg ist Botschafter des FC Bayern München und sagt dazu: „Ich repräsentiere den FC Bayern, insbesondere im Ausland. Mein Engagement hat keinen Einfluss auf meine Kolumnen bei t-online. Hier setze ich mich weiterhin kritisch und unabhängig mit dem Fußball auseinander — auch und insbesondere mit dem FC Bayern.“
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