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WM 2022 | Ex-DFB-Boss: "Infantino ist ein Knecht Katars, das ihn völlig in der Hand hat"


Harte Kritik am Fifa-Boss
"Katar hat Infantino völlig in der Hand"

  • Lars Wienand
Von Lars Wienand

Aktualisiert am 24.11.2022Lesedauer: 6 Min.
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Fifa-Boss Gianni Infantino (l.) unterhält sich mit Katars Premierminister Scheich Khalid al Thani.Vergrößern des Bildes
Fifa-Boss Gianni Infantino (l.) unterhält sich mit Katars Premierminister Scheich Khalid al Thani. (Quelle: Jonas Ekströmer/TT)

Katar versprach der Fifa vieles, um die WM ins Land zu holen. Es war klar, dass zentrale Zusagen nicht eingehalten würden, kritisiert Ex-DFB-Präsident Theo Zwanziger.

Angefangen hatte es mit der Jahreszeit: Als die Weltmeisterschaft für 2022 vor zwölf Jahren vergeben wurde, hatte sich Katar auf eine WM im Sommer beworben. Doch 2015 mussten Land und Fifa eingestehen: Bei Temperaturen von 50 Grad kann niemand Fußball spielen. Es wurde dann eine Winter-WM.

Statt das Turnier zu verlegen, hätte die Fifa es dem Land entziehen müssen, sagt der frühere DFB-Präsident Theo Zwanziger t-online. "Es war von vorneherein Betrug – auch unabhängig von der Frage des Stimmenkaufs." Doch die Fifa ließ das Land gewähren. Viele weitere gebrochene Versprechen folgten – bis heute. Dass Katar damit durchkommt, wundert Zwanziger nicht. Er gibt die Schuld vor allem dem Fifa-Präsidenten Gianni Infantino. "Infantino ist ein Krimineller und Knecht Katars, das ihn völlig in der Hand hat."

Zwanziger war von 2011 bis 2015 selbst Mitglied des Exekutivkomitees der Fifa, allerdings nach der Vergabe an Katar. Und er hatte hautnah erfahren, dass die Fifa auch anders kann. 2006 bei der WM in Deutschland habe die Fifa als Veranstalter jedes Detail bestimmt: "Das ging so weit, dass meine Frau mit anderen Frauen abseits sitzen sollte. Aber dann wäre ich nicht gekommen." Katar dagegen könne machen, was das Land wolle.

Dafür finden sich weitere Beispiele. t-online erklärt hier, wie wenig zentrale Ankündigungen Katars wert waren.

Kein Regenbogen: Alle sollten willkommen sein zur WM, hatte Katar stets beteuert. Doch kurz bevor die WM startete, erklärte der WM-Botschafter des Landes im ZDF, Homosexualität sei "haram", also "verboten" und ein "geistiger Schaden".

Dann begann das Turnier, und Sicherheitsleute zogen immer wieder Fans mit Regenbogenfarben aus den Stadionreihen.

Rigoros reagierte die Fifa zudem auf den Wunsch europäischer Fußballverbände, die Kapitäne als Statement gegen Homophobie, Antisemitismus und Rassismus die "One Love"-Binde tragen zu lassen, die auch Zeichen für Menschenrechte und Frauenrechte sein sollte. Sie war bereits ein Kompromiss, nachdem klar war, dass Katar eine Binde in Regenbogenfarben nicht zulassen würde.

Monatelang hatte die Fifa nicht auf die Anfrage reagiert, dann zu Turnierstart verbot sie das Tragen der Binde und drohte mit sportlichen Konsequenzen, sollten Kapitäne sie trotzdem tragen. "Man hätte es darauf ankommen lassen können", sagt Zwanziger dazu. "Stellen Sie sich das Bild vor, der Schiedsrichter zeigt vor den Kameras der Welt Manuel Neuer die Gelbe Karte. Besser hätte man den Missbrauch der Fifa nicht deutlich machen können." Doch das hätte man nicht auf den Sportlern abladen dürfen, sondern die "Funktionäre hätten die Fifa-Vorgabe nicht hinnehmen dürfen."

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Zwanziger sagt, schon bei der Vergabe sei jedem klar gewesen, dass es keine WM im Einklang mit den eigenen Fifa-Werten zu Menschenrechten geben werde. Die Fifa verweist zwar darauf, dass ab der Zwischenrunde die eigene Armbinde mit dem Spruch "No Discrimination" getragen werden könne. Doch nach dem Debakel mit der "One Love"-Binde, ist überdeutlich: Sie steht nicht für das Gleiche.

Kein Bier: Dieses gebrochene Versprechen sollte eigentlich auch der Fifa aufstoßen: Drei Stunden vor Beginn der Spiele sowie eine Stunde nach Ende jeder Partie sollte Bier an den Stadien ausgeschenkt werden. Das hatte Katar bei der Bewerbung angekündigt. Zwei Tage vor dem ersten Spiel kassierte das Land dann die Zusage, kein Alkohol dort. Sponsor Budweiser schäumte.

Doch statt den WM-Gastgeber dafür zu kritisieren, sprang Fifa-Präsident Gianni Infantino Katar sogar noch bei: Drei Stunden lang ohne Bier "wird man auch überleben. Es gibt zehn Fan-Zonen und rund 200 Orte in Katar, an denen man Alkohol trinken kann." Er sagte nicht, dass die Fan-Zonen vielfach Asphaltwüsten sind und die 200 Orte meist Bars mit Zugangskontrollen, in denen zu völlig überhöhten Preisen Alkohol verkauft wird.

Und: Den VIP-Besuchern wird im Stadion neben Bier auch Fifa-Champagner eingeschenkt. In den Luxusbereichen gibt es keine Alkohol-Einschränkungen, berichtet die New York Times.

Keine Rücksicht auf Arbeiter: 2014 kochte hoch, dass Katar, eines der reichsten Länder der Erde, Gastarbeiter für den Bau der Stadien zu einem Lohn anheuerte, den diese auch in Indien bekommen hätten. Gleichzeitig mussten sie unter sklavenartigen Bedingungen arbeiten. Katar versprach Reformen der Arbeitsgesetze. Alles sollte besser werden, die menschenrechtlich unhaltbaren Zustände vorbei sein. Waren sie nicht, sagen Kritiker.

Erst sechs Jahre später und nachdem viele Arbeiter in der Hitze gestorben waren, beschloss das Land 2020, einen Mindestlohn (264 Euro) einzuführen und das viel kritisierte Kafala-System abzuschaffen. Das hatte es katarischen Firmen ermöglicht, Arbeiter für begrenzte Zeit ins Land zu holen. Faktisch waren sie Leibeigene der Firmen, die für sie bürgten.

Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) der Vereinten Nationen lobte Katar zwar damals für die Reformen. Doch in der Praxis hapert es bis heute an der Umsetzung, beklagen Menschenrechtsorganisationen. Selbst bei den letzten WM-Bauarbeiten hätten Menschen noch unter prekären Bedingungen geschuftet und seien Willkür ausgesetzt gewesen.

Die britische Zeitung "Guardian" berichtete in einer Reportage, dass Arbeiter das Land noch immer verlassen müssen, um ein neues Visum zu beantragen, wenn sie den Arbeitgeber wechseln wollen. Damit sind sie faktisch weiterhin den Firmen ausgeliefert und können wenig dagegen tun, wenn diese ihnen keinen oder zu wenig Lohn zahlen. Human Rights Watch (HRW) erklärte bei einer Anhörung des Europaparlaments zudem, dass Arbeiter von Firmen als "geflohen" gemeldet werden können, wenn sie sich eine neue Stelle suchen. Das bedeutet das Ende des Aufenthaltsrechts.

Manche Arbeiter könnten nicht einmal das Geld verdienen, das sie zuvor an Vermittlungsgebühren zahlen mussten, um in Katar arbeiten zu dürfen, so der "Guardian".

Die Behörden teilten dazu mit: "Individuelle Fälle von Fehlverhalten" würden "kein vollständiges Bild von den Veränderungen in Katar zeichnen". Und reagierten eilig, als der "Guardian" berichtete, dass Security-Mitarbeiter für die WM nur 40 Cent in der Stunde bekommen.

Keine Klimaneutralität: Versprochen hatte Katar auch eine klimaneutrale WM. Das werde nicht eingehalten, schreibt die NGO Carbon Market Watch und verweist auf die aus dem Boden gestampften Stadien und Tausende von Fans, die aus den Nachbarländern zu den Spielen eingeflogen werden.

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Die Kataris hätten den CO2-Ausstoß für den Bau der Stadien mit rund 3,6 Millionen Tonnen zu niedrig angesetzt – das entspricht in etwa den jährlichen Emissionen der Demokratischen Republik Kongo. Tatsächlich sei die Nachnutzung nicht mitberechnet worden.

Teil der Planung sei auch gewesen, dass Fans die CO2-Belastung durch ihre Reise selbst mit Zahlungen für Klimaprojekte ausgleichen, was sicher nur ein Teil tun werde, so Carbon Market Watch. Auch sei Katars Ankündigung, den eigenen CO2-Ausstoß mit Projekten vor allem in der Türkei zu kompensieren, nicht nachvollziehbar. Es gibt Zweifel, ob Projekte tatsächlich in dem Ausmaß CO2 einsparen, wie behauptet wird.

Das Land orientiere sich nicht an den gängigen Standards für den Zertifikatehandel, kritisiert Carbon Market Watch. Tatsächlich hat Katar mit der Gulf Organisation for Research and Development (GORD) einen neuen eigenen Standard geschaffen. Damit sei es noch zweifelhafter, ob in dem Maße CO2 eingespart wird, wie es die WM und die Baumaßnahmen verursacht haben. Völlig unklar sei auch, wie die Fifa an ihrem Versprechen arbeite, 2040 klimaneutral zu sein.

Keine koschere Küche, keine öffentlichen jüdischen Gebete: Fünf Jahre lang führten Rabbis Gespräche mit Katar über koschere Küche für jüdische Fans. Hassan Al-Thawadi, Generalsekretär des Organisationskomitees, sagte diese schließlich zu. Doch zum WM-Start meldete die "Jerusalem Post", dass der Verkauf von koscheren Gerichten verboten worden sei.

Ganz so stimme das allerdings nicht, sagte Rabbi Mendy Chitrik, Vorsitzender der Allianz der Rabbiner in islamischen Ländern, t-online. Korrekt sei, dass es koschere Bagels geben wird. Qatar Airways habe einen Raum bereitgestellt, von dem aus diese ausgeliefert werden. Warme Gerichte gibt es allerdings nicht – aber auch kein Verbot, so der Rabbi. An Katar sei oft herangetragen worden, es solle ein koscheres Restaurant eingerichtet werden, wogegen sich Katar vermutlich nicht gesperrt hätte. Es habe sich aber kein Gastronom mit dem konkreten Plan gemeldet. In letzter Minute sei dann eben entschieden worden, zumindest die Bagels anzubieten.

Noch mehr Aufregung lösten Berichte aus, Katar verbiete angeblich Juden das öffentliche Gebet aus Sorge, nicht für die Sicherheit garantieren zu können. Ronald S. Lauder, Präsident des jüdischen Weltkongresses, empörte sich darüber zunächst in der "Jerusalem Post". Dann schob der Weltkongress hinterher, man müsse erst einmal aufklären, ob es sich nicht um ein Missverständnis handele.

Wort hielt Katar zumindest bei den versprochenen Direktflügen von Israel nach Katar, eine Woche vor der WM endeten die Gespräche darüber erfolgreich und es gibt erstmals die direkte Verbindung.

Kein Frauenteam: Für die Bewerbung musste Katar versprechen, Frauenfußball zu fördern. Das tat Katar auch. 2010 wurde eine Frauennationalmannschaft gegründet, die im Oktober 2010 kurz vor der WM-Vergabe bei den Arabischen Meisterschaften antrat, um 17:0, 18:0 und 12:0 zu verlieren.

2012 wurde mit Monika Staab eine deutsche Trainerin geholt, Staab startete mit großen Hoffnungen. Katar baute eine U14, eine U16 und die Seniorinnen-Mannschaft auf, gewann sogar ein Spiel mit 4:1 gegen die Malediven und fand sich auf Platz 111 der Weltrangliste. Es galt allerdings: Verheiratete Frauen durften nicht spielen.

Heute ist Katar auf der Weltrangliste nicht mehr zu finden, das Frauenteam ist weitgehend inaktiv. Im Instagram-Account des Qatar Women's Sport Committee stehen Bilder von Künstlern zur Herren-WM und Fotos eines Freundschaftsspiels der Frauenmannschaft gegen Afghanistan vor einem Jahr.

Frauenförderung sieht anders aus.

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