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Digitalstrategie der Bundesregierung: Ein Komiteechen soll’s richten


Digitalstrategie der Bundesregierung
Ein Komiteechen soll’s richten

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 21.08.2018Lesedauer: 4 Min.
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Angela Merkel begutachtet einen Roboter: Die Bundesregierung hat ein Expertenkomitee gegründet, von dem sie sich Nachhilfe in Sachen Digitalisierung erhofft.Vergrößern des Bildes
Angela Merkel begutachtet einen Roboter: Die Bundesregierung hat ein Expertenkomitee gegründet, von dem sie sich Nachhilfe in Sachen Digitalisierung erhofft. (Quelle: Wolfgang Rattay/Reuters-bilder)

Jahrelang haben Bundesregierungen das Jahrhundertthema Digitalisierung verschlafen, jetzt will Merkels Große Koalition das Thema endlich anpacken. Doch statt eines großen Aufbruchs gibt es nur ein kleines Beratergremium.

Fragt man Menschen aus Politik, Gesellschaft und Wissenschaft, die nicht kopfüber in der Tagespolitik stecken oder vorrangig mit ihren Karriereplänen beschäftigt sind, nach den größten Herausforderungen unserer Zeit, hört man in der Regel zwei Antworten: Klimawandel und Digitalisierung.

Beide Entwicklungen sind enorm komplex, schwierig zu steuern und bieten Politikern nur wenig Möglichkeit zur schnellen Profilierung. Folglich verwundert es nicht, dass beide Themen von der deutschen Politik in den vergangenen Jahren systematisch vernachlässigt worden sind. Was fahrlässig ist, wenn man sieht, wie schnell sie unsere Welt revolutionieren.

Aufgeschreckt von der Debatte über "Fake News" und die wachsende Macht von Facebook, Google, Amazon, auch mit teils bewundernd-bangen Blicken auf die rasante Entwicklung in China, versucht die schwarz-rote Bundesregierung nun, zumindest die Versäumnisse bei der Digitalisierung wettzumachen.

Im Bundestagswahlkampf spielte das Thema eigentlich nur bei der FDP eine große Rolle, nach Angela Merkels Wiederwahl hat sich das kaum geändert – und damit sind wir beim Problem. Für eine so gewaltige Herausforderung wie die Digitalisierung bräuchte es eigentlich ein eigenes Ministerium, das mit geballter Kompetenz, eigenen Zuständigkeiten und eigenem Budget die großen Themen anpackt:

  • die Entwicklung einer Strategie zur Künstlichen Intelligenz, da diese bald unsere Arbeitswelt revolutionieren wird,
  • den Ausbau des schnellen Internets, vor allem in ländlichen Regionen, durch Glasfasernetze oder wenigstens Breitband-Internet,
  • die wirtschaftspolitische und juristische Regulierung globaler Tech-Konzerne,
  • Impulse für eine breite gesellschaftliche Debatte über die ethischen Probleme von massenhafter Datenspeicherung durch Konzerne und Regierungen,
  • die Unterstützung der Bundesländer bei der Entwicklung nachhaltiger Konzepte für die Digitalisierung von Schulen und Universitäten,
  • den Aufbau eines Online-Bürgerportals, in dem jedermann unbürokratisch seine Steuererklärungen machen, einen Reisepass beantragen oder sein Auto zulassen kann, statt wie heute vielerorts monatelang auf einen Termin im Bürgeramt zu warten,
  • die systematische Digitalisierung der Verwaltung – von Ämtern und Behörden über Gerichte bis zu Polizeidienststellen,
  • eine einfache und sichere Lösung für die elektronische Personen-Identifizierung mit Ende-zu-Ende-Verschlüsselung, beispielsweise für den Einkauf per Smartphone,
  • die flächendeckende Einführung von WLan-Netzen in allen größeren Städten,
  • gemeinsam mit Universitäten und Unternehmen die Entwicklung von modernen Verkehrskonzepten und verbindlichen Regeln für das autonome Fahren,
  • die Förderung der Startup-Szene,
  • ...und, und, und.

Große Aufgaben also – aber die Große Koalition will sie lieber nur mit kleinem Besteck anfassen. Und droht sich dabei zu verzetteln. Auf ein Digitalministerium konnten sich Union und SPD in den Koalitionsverhandlungen nicht einigen, eifersüchtig wachte jeder designierte Minister über seine Zuständigkeiten. Aber irgendwas muss die Regierung ja tun, also macht sie irgendwas. Zunächst wurde im Kanzleramt die Stelle einer Staatsministerin für Digitalisierung geschaffen, die aber über keinen nennenswerten Apparat verfügt.

An diesem Mittwoch folgt der nächste Schritt: Die Bundesregierung gründet einen sogenannten Digitalrat. Sie tut also das, was man macht, wenn man sich eigentlich mit einem Problem beschäftigen müsste, aber keine große Lust darauf hat: Man schafft ein Gremium ohne klare Zuständigkeiten, ohne eigenes Budget und ohne verbindlichen Zeitrahmen, in dem es Ergebnisse produzieren soll.

Die Bundeskanzlerin ist trotzdem überzeugt, dass der Rat ihr und den Ministern tatkräftig zur Seite stehen kann. Sie spricht von einem "schlagkräftigen Gremium", besetzt mit zehn Experten aus der Praxis, "die uns antreiben, die uns unbequeme Fragen stellen".

Tatsächlich werden im Digitalrat namhafte Koryphäen aus der Digitalszene sitzen, sechs Männer und vier Frauen:

  • der Mediziner Ijad Madisch, CEO und Mitgründer eines Online-Netzwerk für Wissenschaftler,
  • die Informationswissenschaftlerin Stephanie Kaiser, Expertin für den digitalen Gesundheitssektor,
  • der Jura-Professor Urs Gasser aus Havard, Fachmann für die Beziehung von Recht, Innovation und Regulierung,
  • die Betriebswirtin Ada Pellert, Rektorin der Fernuniversität Hagen,
  • der Physiker Andreas Weigend, zeitweise oberster Wissenschaftler bei Amazon,
  • der Rechtsinformatiker Peter Parycek, Leiter des Kompetenzzentrums Öffentliche IT am Fraunhofer Fokus-Institut,
  • der Jurist Viktor Mayer-Schönberger, Professor für Internet-Recht in Oxford,
  • die Juristin Beth Simone Noveck, Professorin an der New York University und ehemalige Beraterin der Obama-Regierung,
  • der Tausendsassa Chris Boos, Gründer und Chef des auf Künstliche Intelligenz spezialisierten Startups Arago.
  • Den Vorsitz soll Katrin Suder übernehmen. Die frühere Staatssekretärin hatte im Verteidigungsministerium das Chaos der Rüstungsbeschaffung gelichtet und steht im Ruf, nicht nur klug und durchsetzungsstark zu sein, sondern auch keine Furcht vor komplexen Problemen zu haben.

Diese Qualitäten wird sie in ihrer neuen Funktion brauchen. Wobei man die Erwartungen an sie und ihre Mitstreiter nicht zu hoch schrauben darf: Wie alle Mitglieder des Digitalrats wird sie ehrenamtlich arbeiten, sich also nur zeitweise für die Aufgabe einsetzen können – anders als der Stab eines Ministeriums. Ob das reicht, um die großen Themen gründlich zu diskutieren, konkrete Lösungsvorschläge zu entwickeln und deren Umsetzung zu begleiten?

"Wir wissen, dass wir unser Vorhaben schneller umsetzen müssen", heißt es in der Bundesregierung selbstkritisch zum Thema Digitalisierung. Bleibt die Frage: Warum tut sie dann so wenig dafür?

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche



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