Putin geht es nicht darum, das Internet abzuschalten
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Die russische Regierung will das Internet unter Staatskontrolle bringen. Offiziell geht es dem Kreml um mehr nationale Sicherheit. Doch erst einmal sorgt das Gesetz fΓΌr groΓe Verunsicherung β auch im Ausland.
Seit Freitag gilt in Russland ein neues Gesetz, das die gesamte digitale Kommunikation unter die Kontrolle des Staates stellt. Sowohl die Technik als auch die Inhalte sollen von Regierungsstellen ΓΌberwacht werden. VordergrΓΌndig geht es dabei um mehr Sicherheit und grΓΆΓere UnabhΓ€ngigkeit vom Westen. Der Kreml verspricht unter anderem wirksamen Schutz vor Hackerangriffen aus dem Ausland. Kritiker vermuten hingegen, dass es der Putin-Regierung darum geht, die staatliche Zensur noch effektiver zu gestalten und politische Gegner auszuschalten.
Was bewirkt das neue Gesetz und was bedeutet es fΓΌr den Rest der Welt? Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Wie will Russland die technische Kontrolle ΓΌber ein globales Netz gewinnen?
Russlands Regierung will, dass das Land eine eigenstΓ€ndige technische Infrastruktur erhΓ€lt. Ziel ist es offenbar, eine Art Netz im Netz zu erschaffen, das sich bei Bedarf β etwa bei einem globalen Black-out β eigenstΓ€ndig weiter betreiben lΓ€sst. Dabei gehe es jedoch nicht darum, das "Runet" vom Rest der Welt abzukoppeln, beschwichtigt der Kreml. Vielmehr wolle man die AbhΓ€ngigkeit von westlichen Internetkonzernen reduzieren. Offenbar rechnet man in Moskau fest damit, dass sich die Beziehungen zu den USA verschlechtern und will sich fΓΌr den Notfall rΓΌsten.
AuΓerdem sieht das Gesetz vor, dass kΓΌnftig der gesamte Datenverkehr in Russland ΓΌber Knotenpunkte gelenkt werden soll, die von der staatlichen MedienaufsichtsbehΓΆrde Roskomnadsor genehmigt und kontrolliert werden. Die Provider mΓΌssen eine neue Technik installieren, durch die der Datenverkehr geleitet und dabei analysiert wird. Das gibt dem Staat auΓerdem die MΓΆglichkeit, die Inhalte zu ΓΌberwachen und Verbotenes auszufiltern.
Die nΓΆtige Infrastruktur muss aber erst noch aufgebaut werden. SchΓ€tzungen zufolge kΓΆnnte das Vorhaben eine halbe Milliarde Euro kosten.
Wie wird sich das Gesetz auf den Alltag der Russen auswirken?
Wie Russland das technisch umsetzen will, ist in groΓen Teilen noch unklar β ebenso wie die Auswirkungen. "Das Gesetz schafft vor allem eine groΓe Verunsicherung, und zwar sowohl bei den normalen BΓΌrgern als auch Journalisten und Unternehmen", sagt der GeschΓ€ftsfΓΌhrer von Reporter ohne Grenzen, Christian Mihr, der im engen Kontakt mit russischen Journalisten steht.
Dass die Regierung in Moskau ihre neuen Befugnisse missbrauchen kΓΆnnte, um "das Internet nach Belieben abzuschalten", wie manche Kritiker fΓΌrchten, hΓ€lt Mihr jedoch fΓΌr nahezu ausgeschlossen. "DafΓΌr ist das Kind schon in den Brunnen gefallen. Anders als in Nordkorea, wo es nie ein freies Internet gab, ist ein in sich geschlossenes Internet nur fΓΌr Russen undenkbar."
Dennoch sieht Mihr in dem Gesetz einen Angriff auf die Meinungsfreiheit in Russland. "Es fΓΌgt sich ein in eine ganze Reihe von Gesetzen, die nach den Massenprotesten von 2012 auf den Weg gebracht wurden." Damals spielten die sozialen Medien und Internetblogs eine zentrale Rolle bei der Mobilisierung der Regierungskritiker. "Seither wurden die Γberwachung und Zensur schrittweise ausgeweitet."
Schon heute fΓΌhrt der russische Staat lange Listen mit Webseiten, die von den privaten Internetprovidern gesperrt werden mΓΌssen. Jedes Jahr kommen Zehntausende neue EintrΓ€ge hinzu, darunter auch immer wieder Medienangebote und Seiten von politischen Organisationen. Auch das Karrierenetzwerk LinkedIn ist fΓΌr russische Nutzer nicht auf normalem Wege abrufbar. Hintergrund ist ein Gesetz, nach dem die Daten russischer BΓΌrger nicht auf auslΓ€ndischen Servern gespeichert werden dΓΌrfen.
Was bedeutet das neue Gesetz fΓΌr auslΓ€ndische Firmen?
Neben den heimischen Providern bekommen vor allem die Internetkonzerne aus den USA den Druck der Putin-Regierung zu spΓΌren. "Plattformen wie Facebook, Google und Twitter werden jetzt stΓ€rker an die Kandare genommen", sagt Mihr. Schon seit einer Weile lasse sich beobachten, wie die russische Regierung Einfluss auf die Plattformen ausΓΌbe und deren Umgang mit Inhalten dirigiere.
"In Deutschland und Westeuropa haben wir hΓ€ufig einen sehr negativen Blick auf die sozialen Medien", erklΓ€rt der Aktivist. "In Russland hingegen gelten diese Plattformen in vielen Kreisen als die letzten KommunikationsrΓ€ume, die Freiheit ermΓΆglichen." Jetzt gehe die Angst um, dass die Betreiber unter dem Druck der Regierung "einknicken" kΓΆnnten, um in Russland weiterhin GeschΓ€fte machen zu kΓΆnnen.
Mit dem neuen Gesetz kΓΆnnte es auch dem verschlΓΌsselten Messengerdienst Telegram an den Kragen gehen. Bereits mehrfach hatte die russische MedienaufsichtsbehΓΆrde Roskomnadsor versucht, die App unbrauchbar zu machen β bislang vergeblich. Denn die BehΓΆrde kann zwar die Server, die fΓΌr Telegram genutzt werden, auf eine Schwarze Liste setzen und russische Provider anweisen, diese zu sperren. Dadurch werden hΓ€ufig aber auch andere Onlinedienste in Mitleidenschaft gezogen, wΓ€hrend Telegram seinen Datenverkehr einfach ΓΌber Proxy-Server umleitet. Mit einer Infrastruktur in Staatshand hΓ€tten die BehΓΆrden andere technische MΓΆglichkeiten, um missliebige Dienste auszuschalten.
Ist das freie Internet in Gefahr?
Die Sehnsucht nach einem souverΓ€nen Datennetz und mehr staatlicher Kontrolle im Internet gibt es nicht nur in Russland. Im Iran trΓ€umt die Regierung schon seit Jahren von einem "Halal-Internet", also einem Internet im Einklang mit den Regeln des Islam β bislang waren die BemΓΌhungen wenig erfolgreich.
Selbst im liberalen Westen nehmen die Bestrebungen zu, das Internet und seine Inhalte strenger zu regulieren. Mit den PlΓ€nen fΓΌr eine umfassende Vorratsdatenspeicherung ist Russland beispielsweise nicht alleine. In Deutschland sollte so eine Regelung ebenfalls eingefΓΌhrt werden. Bisher existiert das Gesetz aber nur auf dem Papier, nachdem mehrere Gerichte die Vorratsdatenspeicherung als verfassungswidrig eingestuft hatten.
Auch fΓΌr Russland hegen die Gegner des neuen Gesetzes noch Hoffnung. Chinesische ZustΓ€nde seien jedenfalls nicht zu befΓΌrchten, meint ein Aktivist im GesprΓ€ch mit dem Deutschlandfunk. Es sei gut mΓΆglich, dass das Gesetz nicht so streng umgesetzt wird, wie es jetzt noch klingt. Am Ende kΓΆnnten HintertΓΌren fΓΌr die Provider offen bleiben.
Gerade Netzaktivisten finden erfahrungsgemÀà immer Wege, um sich vor einem allzu ΓΌbergriffigen Staat zu verstecken, zum Beispiel, indem sie ihre Kommunikation verschlΓΌsseln oder Anonymisierungsdienste einsetzen. Aber: Die staatlichen ΓberwachungsmaΓnahmen machen die Nutzung entsprechender Werkzeuge zunehmend schwierig und riskant, warnt Mihr.
Journalisten mΓΌssen noch vorsichtiger werden
Netzsperren etwa lassen sich leicht durch VPN-Dienste umgehen. DafΓΌr braucht es jedoch Zusatzsoftware und technisches Know-how. Und: "Auch VPNs kann man verbieten wie in China oder genehmigungspflichtig machen wie in Russland", wendet Mihr ein. "Viele Journalisten und Auslandskorrespondenten in Russland mΓΌssen jetzt noch vorsichtiger sein und sich genau ΓΌberlegen, wie sie recherchieren und wie sie mit Quellen umgehen, wenn sie diese nicht in Gefahr bringen wollen", sagt Mihr.
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Am Ende entsteht so in LΓ€ndern wie Russland ein massives Ungleichgewicht zwischen dem Staat und seinen BΓΌrgern: WΓ€hrend auf der einen Seite die RΓ€ume fΓΌr einen ungestΓΆrten, ΓΆffentlichen Austausch schrumpfen, gΓΆnnt sich der Staat immer mΓ€chtigere Instrumente, um den Diskurs im Netz in seinem Sinne zu beeinflussen. Allein das kann man schon bedenklich finden, auch ohne dass Menschen massenhaft verhaftet werden.
- Eigene Recherche
- Mit Material der dpa
- Deutschlandfunk: "Moskau verstΓ€rkt die Kontrolle ΓΌber das Internet"