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Coronavirus ist wieder auf dem Vormarsch – sieht so die zweite Welle aus?


Kurz vor dem Herbst: Das Coronavirus ist wieder auf dem Vormarsch

Von Laura Stresing

Aktualisiert am 26.08.2020Lesedauer: 6 Min.
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Passanten mit Alltagsmaske: Die Fallzahlen steigen wieder. Wie gefährlich ist die Situation kurz vor dem Herbst?Vergrößern des Bildes
Passanten mit Alltagsmaske: Die Fallzahlen steigen wieder. Wie gefährlich ist die Situation kurz vor dem Herbst? (Quelle: Ralph Peters/T-Online-bilder)

Neuinfektionen, 7-Tage-Inzidenz und R-Wert: In den Zahlen zur Coronavirus-Epidemie zeichnen sich kurz vor dem Herbst einige beunruhigende Trends ab. Trotzdem ist die Ausgangslage eine andere als noch im Frühjahr. Wo stehen wir heute und warum sehen manche Beobachter akuten Handlungsbedarf? Eine Datenanalyse.

Manche haben Angst vor einer zweiten Welle. Andere glauben, sie ist längst da. Unstrittig ist: Die aktuellen Entwicklungen in der Coronavirus-Epidemie in Deutschland bereiten den Experten Sorgen und erhöhen den Handlungsdruck auf die Politik.

Ein Blick in die Daten zeigt, warum das Robert Koch-Institut (RKI) wieder zu mehr Vorsicht mahnt und manche Länderchefs und Minister ihre Strategie überdenken.

1. Die Zahl der Neuinfektionen steigt

Nach Wochen, in denen nur einzelne, scheinbar leicht zu kontrollierende Ausbrüche für Schlagzeilen sorgten, steigen die Fallzahlen der registrierten Covid-19-Erkrankungen seit Mitte Juli wieder deutlich stärker an. Am 21. August meldeten die Gesundheitsämter mehr als 2.000 neue Coronavirus-Infektionen an einem einzigen Tag.

Die Aussagekraft solcher Spitzenwerte ist zwar begrenzt, da sich unter der Woche die Nachmeldungen von den Wochenenden häufen. Berechnet man jedoch den Durchschnitt für die jeweils letzten sieben Tage, zeigt die Kurve immer noch einen anhaltenden Trend nach oben.

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Das RKI führt den Anstieg unter anderem auf vermehrte Ansteckungen bei Feiern im Familien- und Freundeskreis und im Urlaub zurück.

2. Mehr Tests – und mehr positive Befunde

Die Zahl der durchgeführten Corona-Tests spielt ebenfalls eine Rolle, denn je mehr getestet wird, desto eher werden Fälle von der Statistik erfasst. Letztendlich müssen wir aber immer davon ausgehen, dass es zu jedem Zeitpunkt der Epidemie mehr Infektionen gab, als offiziell gezählt wurden. Die Frage ist nur, wie hoch die Dunkelziffer ist.


Deutschland testet vergleichsweise viel. Zuletzt fielen knapp ein Prozent der durchgeführten Labortests positiv aus. Das ist eine deutliche Steigerung im Vergleich zum Juli und ein Zeichen dafür, dass es tatsächlich eine objektive Zunahme im Infektionsgeschehen gibt.

Besonders beunruhigend: Bei den Reihentestungen mit Personen, die eine eher geringe Infektionswahrscheinlichkeit haben, die weder Symptome zeigen, noch einen nachgewiesenen Risikokontakt hatten, würde man eigentlich davon ausgehen, dass der Anteil der positiven Befunde niedriger ausfällt. Doch das Gegenteil ist der Fall.

3. Die Testkapazitäten sind bald erschöpft

Derzeit liegt Deutschland knapp hinter Italien, wo ein Prozent der Befunde positiv ausfällt. Nach Einschätzung der WHO ist eine Positivrate im niedrigen einstelligen Bereich ein Hinweis darauf, dass ein Land die Epidemie im Griff hat.

Trotz dieses "Erfolgs" ist die aktuelle Teststrategie umstritten. Die Gesundheitsminister haben sich jetzt darauf verständigt, die kostenlosen Pflichttests für Reiserückkehrer wieder einzustellen. Der Grund: Die Labore stoßen an ihre Grenzen. Die Kapazitäten werden jetzt an anderer Stelle dringender gebraucht, beispielsweise für das Umfeld von Risikopatienten und in der Pflege. Mit anderen Worten: Es gibt auch ohne Partytouristen genug Verdachtsfälle und Testanlässe, sodass wieder stärker priorisiert werden muss.

Wir merken also zum zweiten Mal in der Pandemie: Gewissenhaftes Testen muss man sich erst mal leisten können. Je mehr Fälle es gibt, desto mehr Testkapazitäten werden benötigt, um das Virus wieder einzufangen. Die Zahl der absoluten Fälle sind Teil der Gleichung – nicht ihr Ergebnis.

4. Statt einzelner Hotspots gibt es überall Ausbrüche

Auch in der geografischen Verteilung der Fälle zeigt sich eine bedenkliche Entwicklung. Statt einzelner Hotspots gibt es jetzt viele Ausbrüche gleichzeitig. Der Vergleich der sogenannten 7-Tage-Inzidenz im Juli und August macht den Unterschied deutlich.

Mitte Juli gab es mehr als 100 Landkreise, in denen über eine Woche hinweg keine neuen Covid-19-Fälle aufgetreten sind. Diese Zahl ist laut dem aktuellen Situationsbericht auf gerade einmal 15 zusammengeschrumpft. Dem gegenüber stehen nun 16 Landkreise, die die kritische Schwelle von 25 Neuinfektionen überschreiten.

Die gute Nachricht ist: Die Lage scheint in weiten Teilen gut beherrschbar. 126 Landkreise melden eine immer noch geringe Inzidenz von weniger als fünf Fällen je 100.000 Einwohner. Insgesamt zahlt sich aus, dass viele Menschen ihre sozialen Kontakte reduziert haben, Großveranstaltungen verboten sind und (illegale) Feierlichkeiten die Ausnahme bleiben.

5. Das Altersprofil hat sich verändert

Die Menschen, bei denen heute Covid-19 diagnostiziert wird, sind deutlich jünger als die positiv getesteten Patienten aus dem Frühjahr. Inzwischen machen die unter 30-Jährigen etwa die Hälfte der registrierten Neuinfektionen aus, obwohl ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung nur 30 Prozent beträgt.

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Das liegt nicht nur daran, dass die milden und asymptomatischen Fälle unter Jugendlichen im Zuge der erweiterten Teststrategie eher erkannt werden. Die gesunkenen Hospitalisierungs- und Fallsterblichkeitsraten deuten darauf hin, dass junge Menschen tatsächlich häufiger erkranken – vielleicht, weil sie unvorsichtiger sind.

Die älteren Risikogruppen können hingegen aktuell offenbar erfolgreich vor einer Ansteckung geschützt werden. Die Zahl der schweren Verläufe geht infolgedessen zurück. In den Krankenhäusern und Intensivstationen ist trotz steigender Fallzahlen noch Platz. Der Anteil der Verstorbenen hat sich nach einem vorläufigen Höhepunkt Ende Mai bei etwa 4 Prozent stabilisiert.

Doch je mehr Fälle es gibt, desto schwerer lässt sich verhindern, dass das Virus in die Risikogruppen getragen wird, warnt das RKI. Hinzu kommt, dass bald auch in den letzten Bundesländern die Schulferien enden. Wie sich das auf die Fallstatistik auswirkt, bleibt abzuwarten. Doch die Hinweise verdichten sich: Kinder sind genauso ansteckend wie Erwachsene. Es ist nur bisher nicht so stark aufgefallen.

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6. Der R-Wert ist für Wochen nicht mehr unter 1 gesunken

"Flatten the Curve", die Kurve flach halten. So lautete das im April und Mai ausgegebene Motto. Eindrücklich rechnete die Kanzlerin vor, dass das Gesundheitssystem schon im Sommer an seine Belastungsgrenze stoßen würde, wenn der R-Wert über 1 bleibt und sich die Infektionszahlen weiter exponentiell entwickeln.

Das ist zum Glück nicht passiert. Doch im Juli und August ist der R-Wert erneut über Wochen hinweg nicht mehr unter 1 gesunken. Müsste man nicht längst wieder die Reißleine ziehen?

Ein R-Wert > 1 bedeutet: Im Schnitt steckt ein Infizierter etwas mehr als einen Menschen an – die Fallzahlen steigen. Ein R-Wert < 1 bedeutet: Das Virus wird zurückgedrängt.

Aus 1.000 Fällen werden bei R=1,2 innerhalb einer Generationszeit (derzeit geht man von vier Tagen aus) 1.200 Fälle. Bei gleichbleibendem Tempo hätten wir im Oktober rein rechnerisch 10.000 neue Fälle innerhalb weniger Tage. So weit wird es vermutlich nicht kommen. Der R-Wert ist schließlich keine Konstante und reagiert sensibel auf Verhaltensänderungen in der Bevölkerung. Schon eine kurzzeitige und lokal begrenzte Kontaktsperre kann die Trendwende bringen. Das gilt insbesondere bei einer insgesamt niedrigen Inzidenz. Die Zahl der Neuinfektionen bietet hier den entscheidenden Kontext.

Wie behalten wir die Lage im Griff?

Es gibt Hoffnung, dass die "zweite Welle" deutlich kontrollierter abläuft und dass es gelingt, die Epidemie dauerhaft in den Griff zu kriegen. Im Vergleich zum Frühjahr – und zu anderen Ländern – ist die Ausgangslage in Deutschland derzeit eigentlich günstig.

  • Die Zahlen steigen, aber sie steigen sehr viel langsamer als noch im März.
  • Dank der höheren Testkapazitäten haben wir heute vermutlich ein sehr viel genaueres Bild von der tatsächlichen Lage.
  • Wir wissen mehr über das Virus und seine Übertragungswege. Die Rolle der Aerosole und Superspreading-Events ist inzwischen gut erforscht und macht deutlich, dass die größte Gefahr von geschlossenen, schlecht belüfteten Räumen und Menschenansammlungen ausgeht.
  • Viele Menschen passen ihr Verhalten an die Situation an und schränken sich freiwillig ein und halten sich an die "AHA-Regeln" (Abstand, Hygiene, Alltagsmaske).

Allerdings zeigt sich auch, dass die Politik nicht gänzlich auf Freiwilligkeit setzen kann. Die Klagen über Verstöße gegen Partyverbote und eine generelle Nachlässigkeit bei der Einhaltung von Abstandsregeln und Maskenpflicht nehmen zu. Einige Länder reagieren mit Kontrollen und Bußgeldern.

Schulen und Gesundheitsämter brauchen Hilfe

In vielen Lebens- und Arbeitssituationen sind freiwilliger Verzicht und Abstandhalten jedoch keine Option. Das RKI bringt mehrere schwere Ausbrüche mit den Bedingungen in landwirtschaftlichen und fleischverarbeitenden Betrieben, sowie Gemeinschaftsunterkünften und Flüchtlingsheimen in Verbindung. Auch Bewohner und Mitarbeiter in Krankenhäusern und Pflegeheimen sind einem höheren Ansteckungsrisiko ausgesetzt. Hier sind Arbeitgeber und Staat gefragt, für ausreichenden Schutz zu sorgen – und die Erfahrungsberichte von Betroffenen legen nahe, dass hier noch viel Luft nach oben ist.

Auch für die Schulen fehlt vielerorts ein funktionierendes Konzept, wie Unterricht unter Corona-Bedingungen stattfinden kann. Mit einem Brandbrief an die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen klagten Schulleiter zuletzt über fehlendes Reinigungspersonal, Platzmangel und Fenster, die sich nicht öffnen lassen. Ähnlich alarmierend äußern sich viele Gesundheitsämter, die schon jetzt kaum mit dem Identifizieren und Isolieren aller Fälle hinterherkommen. Hier macht sich auch die verschleppte Digitalisierung im öffentlichen Gesundheits- und Schulsystem bemerkbar.

"The Hammer and the Dance": Jetzt wird getanzt

Es wird Zeit, sich besser auf den Herbst vorzubereiten. Bund und Länder wollen gemeinsam nachjustieren. Doch die Vorstellungen, was künftig verboten und was erlaubt sein soll und welche Maßnahmen ausgebaut oder zurückgefahren werden sollen, gehen teilweise weit auseinander.

Nach Einschätzung des Autors und Datenanalysten Tomas Pueyo besteht die Strategie der erfolgreichsten Länder im Umgang mit der Pandemie in einer Methode, die er als "The Hammer and the Dance" bezeichnet ("Der Hammer und der Tanz"). Der erstmals im März auf der Online-Plattform Medium veröffentlichte gleichnamige Aufsatz wurde in viele Sprachen übersetzt und fand auch im Kanzleramt Beachtung.

Demnach folgen auf die notwendigen harten Einschnitte zu Beginn der Pandemie mehrere Phasen, in denen abwechselnd gelockert und verschärft wird. Die betroffenen Länder lernen schrittweise, mit der Pandemie umzugehen.

In Deutschland sorgt nun aber der Föderalismus für reichlich Trubel auf der Tanzfläche. Und während die einen noch vorsichtig ihre Tanzschritte einstudieren, wollen die anderen den Hammer am liebsten gleich ganz beiseite legen.

Verwendete Quellen
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