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Rästelhafter Medizinfall: Warum sich ein Junge ständig die Knochen brach


Ein rätselhafter Patient
Vom Bauch zum Bruch

spiegel-online, Heike Le Ker

29.01.2017Lesedauer: 4 Min.
Lange Zeit tappten die Ärzte im Dunklen, was hinter den rätselhaften Knochenbrüchen eines Siebenjährigen stecken konnte.Vergrößern des BildesLange Zeit tappten die Ärzte im Dunklen, was hinter den rätselhaften Knochenbrüchen eines Siebenjährigen stecken konnte. (Quelle: Thinkstock by Getty-Images-bilder)
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Ein Junge bricht sich immer wieder die Knochen. Wachstumsstörungen oder Misshandlung sind nicht der Grund. Vielmehr liegt es an einer häufigen Krankheit.

Als sich der Junge das dritte Mal in zwei Jahren einen Knochen bricht, wird der Kinderarzt hellhörig. Dass es offenbar bei keinem der Brüche einen Unfall oder einen heftigen Zusammenprall gegeben hat, findet er ungewöhnlich. Der Mediziner schickt den Siebenjährigen und seine Eltern zur Vorstellung in die pädiatrische Abteilung der Universitätsklinik im portugiesischen Coimbra.

Die Ärzte dort befragen den Jungen und seine Eltern genau: Was ist wann und bei welcher Bewegung passiert? Hat der Junge chronische Krankheiten? Gibt es Auffälligkeiten in der Familie?

Die Familie berichtet, dass einmal der rechte Oberarmknochen, dann der linke, dann wieder der rechte gebrochen ist. Mal ist es in der Schule passiert, mal zu Hause, nie beim Sport. Zwar gab es jedes Mal ein kleines Trauma, stabile Knochen würden das aber normalerweise verkraften, schreiben die Mediziner um die Kinderärztin Filipa Dias Costa im Fachmagazin "BMJ Case Reports".

Misshandlungen waren nicht die Ursache

Die Ärzte müssen auch Misshandlung ausschließen, aber weder bei der Befragung noch bei der Untersuchung des Jungen finden sie Hinweise darauf. An seinem Skelett entdecken sie keine Auffälligkeiten, die Knochenbrüche sind ohne Komplikationen gut verheilt und verursachen ihm keine Schmerzen mehr. Seine Gelenke lassen sich normal bewegen, er hat keine Wunden oder Narben, die gebrochenen Stellen wurden immer ohne vorherige Operation mit einem Gips ruhig gestellt.

Chronische Krankheiten sind weder bei ihm noch in der Familie bekannt, auch Medikamente nimmt er nicht. Die Röntgenbilder geben den Ärzten auch keine Hinweise auf Erkrankungen wie etwa eine Osteoporose, bei der die Dichte der Knochen abnimmt.

Ebenso scheint eine Wachstumsstörung unwahrscheinlich, das Kind hat eine durchschnittliche Statur. Es ist normal groß, hat weder Über- noch Untergewicht und erscheint fit. Dreimal die Woche spiele der Junge Fußball, sagen die Eltern, zudem ernähre er sich gesund: Durchschnittlich nehme er jeden Tag mehr als einen halben Liter Milch oder Joghurt zu sich.

Die Standarduntersuchungen im Labor sind normal: Leberwerte, Blutbild, Urinanalysen - alles ist wie im Lehrbuch. Wichtige Mineralien wie Kalzium und Magnesium liegen im Normbereich, ebenso verschiedene Hormone, die den Knochenstoffwechsel beeinflussen. Auch die Nieren, die in das Gleichgewicht von Knochenauf- und -abbau eingebunden sind, scheinen problemlos zu funktionieren.

Ein Enzymwert macht die Ärzte stutzig

Allein ein Wert, die sogenannte Alkalische Phosphatase, ist zu niedrig. Das Enzym kommt im Knochen vor, spielt aber auch bei Leber- oder Gallenerkrankungen eine Rolle.

Was hat das Kind bloß? Die Ärzte intensivieren ihre Suche im Labor. Sie lassen verschiedene Antikörper bestimmen, die bei unterschiedlichen Krankheiten erhöht sein können. Endlich landen sie den entscheidenden Treffer: Gleich mehrere Antikörpergruppen sind erhöht, die bei Unverträglichkeit von Gluten vorkommen.

Bei der auch Zöliakie genannten Erkrankung produziert das Immunsystem Antikörper gegen das Klebereiweiß Gluten. Das steckt in zahlreichen Getreidesorten wie Weizen, Roggen, Hafer und Gerste. Verzehrt ein Zöliakiekranker glutenhaltige Lebensmittel, kommt es auf Dauer im Darm zu Entzündungsreaktionen. Die normalerweise in tiefe Furchen eingefaltete Schleimhaut bildet sich zurück. Das Verdauungsorgan kann wichtige Bestandteile aus der Nahrung nicht mehr ungestört herausfiltern - Mangelernährung droht.

In Industrieländern gehört die Zöliakie zu den häufigsten lebenslangen Erkrankungen, Schätzung zufolge ist bis zu ein Prozent der Bevölkerung davon betroffen. Allerdings hat längst nicht jeder deshalb Probleme, nur rund 20 bis 30 Prozent der Betroffenen leidet unter Beschwerden. Typischerweise zählen dazu Bauchschmerzen, Blähungen, Durchfall, Gewichtsverlust, Abgeschlagenheit.

Auf Nudeln, Kekse, Kuchen verzichten

Dass der Junge außer den Knochenbrüchen keine weiteren Beschwerden hat, ist ungewöhnlich. Die Ärzte ziehen einen Gastroenterologen zu Rate, der bei einer Magen-Darm-Spiegelung eine Probe aus dem Zwölffingerdarm entnimmt. In dem Gewebe erkennen die Spezialisten einen deutlichen Rückgang der typischen Auffaltung. Von vier möglichen Krankheitsstufen liegt der Junge bei Grad 3b, damit hat sich sein Darm bereits stark verändert.

Die Therapie der Krankheit ist theoretisch simpel, die Umsetzung aber oft schwierig. Denn die Betroffenen müssen lebenslang Gluten meiden. Das bedeutet für die meisten eine radikale Umstellung der Ernährungsweise. Brot, Nudeln, Kekse, Bier, Kuchen und auch viele Fertigprodukte müssen vom Speiseplan gestrichen werden. Erlaubt sind Mais, Reis, Hirse, Amaranth, Buchweizen, Kartoffeln sowie Gemüse und Obst. Manche Menschen mit Zöliakie reagieren auch auf Milchprodukte empfindlich, weil sie Milchzucker nicht vertragen.

Auch dem Jungen und seinen Eltern fällt es trotz intensiver Beratung zunächst schwer, die Ernährung umzustellen. Weil die Erkrankung familiär gehäuft auftritt, untersuchen die Ärzte auch den Bruder ihres Patienten. Der Zehnjährige hat ebenfalls Zöliakie. Obwohl er keinerlei Beschwerden hat, produziert sein Immunsystem Antikörper gegen Gluten.

Nach erneuter Beratung gelingt es der Familie nun besser, auf glutenhaltige Nahrungsmittel zu verzichten. Der große Junge entwickelt keine Symptome. Auch bei dem kleinen Bruder sind schon nach elf Monaten keine Antikörper mehr nachweisbar - und seine Knochen bleiben heil.

Transparenzhinweis
  • Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
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