Warum die Stiko oft so langsam ist
Im Zuge der Corona-Pandemie kommt der StÀndigen Impfkommission besondere Aufmerksamkeit zu und sie erntet viel Kritik. Doch wie funktioniert das Gremium und was muss geÀndert werden?
Die Empfehlungen der StĂ€ndigen Impfkommission sind immer wieder hochumstritten â es gibt Kritik sowohl an den inhaltlichen Entscheidungen als auch am Arbeitstempo. Zuletzt sorgte der Beschluss vom vergangenen Donnerstag, nur Kindern mit Vorerkrankungen und Kontakt zu Risikogruppen die Corona-Impfung zu empfehlen, bei vielen fĂŒr Unmut und KopfschĂŒtteln.
Zum Vergleich: In den USA werden seit Anfang November alle Kinder zwischen fĂŒnf und zwölf Jahren geimpft, in Israel seit Mitte November. Und auch die EuropĂ€ische Arzneimittelbehörde (Ema) empfahl bereits Ende November die Zulassung des Impfstoffes von Biontech/Pfizer fĂŒr alle Kinder dieser Altersgruppe. Erst zwei Wochen spĂ€ter kam dann die (zudem eingeschrĂ€nkte) Stiko-Empfehlung.
Auch bei der Booster-Impfung â zunĂ€chst fĂŒr Ăltere, dann fĂŒr alle â reagierte die Stiko vergleichsweise spĂ€t. WĂ€hrend in Israel schon Ende Juli Auffrischungsimpfungen fĂŒr ĂŒber 60-JĂ€hrige angeboten wurden und ab September fĂŒr alle ab zwölf Jahren, kam in Deutschland die Empfehlung fĂŒr den dritten Piks Anfang Oktober â fĂŒr ĂŒber 70-JĂ€hrige. Erst seit Mitte November besteht die Empfehlung zum dritten Piks fĂŒr alle ab 18 Jahren. Wer steckt hinter diesen Entscheidungen?
Was ist die StÀndige Impfkommission?
Die Stiko wurde 1972 als unabhĂ€ngiges Expertengremium am Robert Koch-Institut (RKI) gegrĂŒndet â mit dem Ziel, auf Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse Empfehlungen fĂŒr notwendige Schutzimpfungen in Deutschland zu geben. Aktuell setzt sie sich aus 18 Expertinnen und Experten zusammen, die ehrenamtlich arbeiten und alle drei Jahre neu berufen werden. Sie kommen aus unterschiedlichen Wissenschaftsbereichen, dem öffentlichen Gesundheitsdienst und der niedergelassenen Ărzteschaft. Zehn von ihnen arbeiten aktuell in der "Arbeitsgruppe Covid-19-Impfstoffe."
Was ist die Aufgabe der Stiko?
Auf der Seite des RKI heiĂt es dazu: "Die StĂ€ndige Impfkommission entwickelt Impfempfehlungen fĂŒr Deutschland und berĂŒcksichtigt dabei nicht nur deren Nutzen fĂŒr das geimpfte Individuum, sondern auch fĂŒr die gesamte Bevölkerung." Und an anderer Stelle heiĂt es: "Die Stiko fĂŒhrt bei der Erarbeitung von Impfempfehlungen in erster Linie eine Risiko-Nutzen-Bewertung durch. Dabei ist neben dem individuellen Nutzen fĂŒr die geimpfte Person auch der Nutzen einer Impfung fĂŒr die ganze Bevölkerung zu sehen, der durch Herdeneffekte erreicht werden kann und sogar in bestimmten FĂ€llen die Eliminierung einer Erkrankung möglich macht."
Es geht also nicht nur um die EinschĂ€tzung des Nutzens einer Impfung fĂŒr den einzelnen, sondern auch um die epidemiologische Dimension, welche Auswirkung die Impfung also auf die gesamte Bevölkerung hat.
Wie arbeitet die Stiko?
Sie bewertet die Krankheitslast in Deutschland, die Sicherheit und Wirksamkeit der einzelnen Impfstoffe und fĂŒhrt eine Risiko-Nutzen-Bewertung fĂŒr die breite Anwendung der Impfung in der Bevölkerung durch, so das RKI. Dazu ĂŒberprĂŒft die Kommission die vorhandenen Untersuchungen, Veröffentlichungen und Daten aus klinischen und wissenschaftlichen Studien.
Daraus entwickeln die Experten ein mathematisches Modell, um "die epidemiologischen und gesundheitsökonomischen Folgen einer Impfempfehlung abschÀtzen zu können".
Deutlich wird: AuĂerhalb von Corona ist das ein sehr langwieriger Prozess, der mit dem Aufkommen des neuen Virus deutlich verkĂŒrzt werden musste. Ăblicherweise kommt die Stiko erst nach einem bis drei Jahren zu einer Impfempfehlung.
Welchen Einfluss haben die Impfempfehlungen?
Da es in Deutschland bislang (noch) keine allgemeine Impfpflicht gibt, sind die Empfehlungen nicht rechtlich bindend. Allerdings orientieren sich viele Ărzte an den Urteilen der Stiko. So schreibt das RKI: "Wenn die individuell (von einem Arzt, Anm. d. Red.) gestellte Impfindikation jedoch nicht Bestandteil einer fĂŒr Deutschland gĂŒltigen Zulassung und der Fachinformation des entsprechenden Impfstoffes ist, erfolgt die Anwendung auĂerhalb der zugelassenen Indikation. Das hat im Schadensfall Folgen fĂŒr Haftung und EntschĂ€digung und bedingt besondere Dokumentations- und AufklĂ€rungspflichten des impfenden Arztes."
HeiĂt: FĂŒhrt eine vom Arzt vorgenommene Impfung, die von der Stiko (auch etwa in einer bestimmten Altersgruppe) nicht empfohlen wird, zu einem Impfschaden, kann der Arzt in Haftung genommen werden.
Was sagen die Kritiker?
BemĂ€ngelt wird vielfach das Arbeitstempo der Stiko in der Corona-Pandemie. Fest steht: Es handelt sich um ein ehrenamtlich arbeitendes Gremium. Eine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag ergab: Die StĂ€ndige Impfkommission verfĂŒgt nur ĂŒber 3,5 Vollzeitstellen. Diese Jobs wurden auch seit Ausbruch der Pandemie nicht aufgestockt.
Ex-Gesundheitsminister Spahn (CDU) hatte die Stiko in der Vergangenheit wegen ihres Vorgehens wiederholt kritisiert, die Zahl ihrer Stellen aber nicht aufgestockt. So erklĂ€rte Stiko-Mitglied Martin Terhardt Anfang Dezember im Deutschlandfunk: "Wir sind in der Stiko mit allen Aufgaben zur Covid-Impfung wirklich ausgelastet und am Rande der Möglichkeiten, was die Ressourcen hergeben. Wir wĂŒrden gern oft schneller sein. Aber das liegt daran, dass wir nicht genĂŒgend Ressourcen an der GeschĂ€ftsstelle im Robert Koch-Institut haben. Die ist personell völlig ĂŒberfordert in der jetzigen Situation und da arbeiten alle völlig an ihrem körperlichen Limit."
Besonders harsche Kritik an der Stiko kam aus Israel. In der ARD-Sendung "Panorama" hatte der Kommissions-Vorsitzende, der emeritierte Ulmer Virologe Thomas Mertens, eingerĂ€umt, dass bestimmte Entscheidungen der Kommission "aus der heutigen Perspektive" zu spĂ€t erfolgt seien. So wĂ€re es laut Mertens "wahrscheinlich gĂŒnstiger gewesen, mit dem Boostern frĂŒher anzufangen".
Der ehemalige Leiter des israelischen Impfprogrammes, Ronnie Gamzu, zeigt sich in der gleichen Sendung schockiert von dieser Aussage: "Das war einfach total falsch. Wir hatten klare Beweise, wir haben die Daten. Es gab keine wissenschaftliche Basis dafĂŒr zu sagen, die Auffrischungsimpfung bringe nur den ĂŒber 65- oder ĂŒber 70-JĂ€hrigen etwas. Wir haben gesehen, dass die Zahl der Antikörper auch bei 40-JĂ€hrigen zurĂŒckgeht. Was fĂŒr Beweise braucht man denn noch?"
Was ist geplant?
Der neue Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) will die StĂ€ndige Impfkommission besser ausstatten. Die Stiko sei wissenschaftlich frei, und da sollte die Politik sich nicht einmischen, sagte der SPD-Politiker am vergangenen Donnerstagabend in der ARD. Er glaube aber, dass sie schneller sein könnte, wenn sie mehr Personal hĂ€tte. "DafĂŒr werde ich sorgen."