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Autonomes Fahren: Experten erklären, warum es in Deutschland so stockt


"Morgen keine Relevanz mehr"
Ohne Plan, ohne Tempo: Deutschlands Problem mit dem autonomen Fahren


Aktualisiert am 08.07.2025 - 09:59 UhrLesedauer: 4 Min.
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Autonomer Shuttlebus von Moja in Hamburg: Noch wird ohne Fahrgäste getestet - 2027 soll die Zulassung folgen. (Quelle: IMAGO/imago)
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Die Technik ist vorhanden, doch es fehlt an Strategie: Warum Deutschland beim autonomen Fahren nicht vom Fleck kommt – und was sich ändern müsste.

Während seiner Amtszeit (bis 2021) sagte der damalige Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU): "Beim autonomen Fahren hat die deutsche Automobilwirtschaft die Nase vorn".

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Fünf Jahre später klingt das aus Expertensicht eher wie Zweckoptimismus. Oliver Wucher, Thomas Haiz und Stephan Blankenburg sind Experten bei der Beratungsagentur Wavestone. Sie beschäftigen sich mit vernetzter Mobilität und den dazugehörigen Geschäftsmodellen – unter anderem also auch der Frage, wie autonomes Fahren eingeführt und auch noch gewinnbringend sein kann. Ihre Einschätzung: Die Technik ist da – aber eine übergreifende Strategie fehlt.

Auf dem Markt für Privatkunden geht es nur langsam voran: Die Fahrzeuge großer deutscher Autohersteller können aktuell meist Funktionen auf Level 2 oder 2+ übernehmen. Das bedeutet: Sie halten automatisch Abstand, bleiben in der Spur und bewältigen Stop-and-go-Verkehr. Doch: Die Verantwortung bleibt beim Menschen am Steuer.

"Der höhere Level 3 ist eine Herausforderung – nicht technisch, sondern juristisch", sagt Stephan Blankenburg. Denn sobald das Fahrzeug die Fahraufgabe übernimmt, trägt der Hersteller die Verantwortung. Ein heikler Punkt, wenn solche Systeme in den Massenmarkt kommen sollen.

Nahverkehr als große Chance

Besonders im öffentlichen Nahverkehr sehen die Experten deshalb Chancen für autonome Systeme. "Im Privatbereich sehe ich auf absehbare Zeit keine großen Fortschritte", sagt Oliver Wucher.

Gerade in ländlichen Regionen könnten automatisierte Shuttles Lücken schließen – dort, wo es keinen Bahnhof gibt oder der Bus selten fährt. Hier setzen Flottenanbieter an, die neue Verkehrsangebote schaffen – auch als Antwort auf den Personalmangel im Nahverkehr. Im Regelbetrieb sind diese Angebote jedoch noch nicht.

Berater Thomas Haiz sagt: "Zwar sind die Systeme in der Anschaffung teuer, aber sie können bereits nach relativ kurzer Zeit wirtschaftlich betrieben werden." Wenn das Angebot stimmt, könne auch die Nachfrage steigen – und mehr Menschen würden ihr eigenes Auto öfter stehen lassen.

Dr. Stephan Blankenburg, Thomas Heiz und Oliver Wucher
Dr. Stephan Blankenburg, Thomas Haiz und Oliver Wucher (v.l.n.r.) (Quelle: Stephan Blankenburg: Burkhardt Hellwig//Thomas Haiz: BURKart Fotografie//Oliver Wucher: Anne Kaiser)

Die Interviewpartner

Stephan Blankenburg ist Partner bei Wavestone Deutschland, berät Unternehmen aus den Bereichen Mobility, Transport, Energy und Manufacturing an der Schnittstelle zwischen Business, Technologie und Mensch.

Oliver Wucher, ebenfalls Partner bei Wavestone Deutschland, verantwortet seit 2011 als Partner den Sektor Automotive & Industry.

Thomas Haiz, Senior Manager bei Wavestone, berät Verkehrsunternehmen und Behörden an der Schnittstelle von automatisiertem Fahren, vernetzter Mobilität und strategischer ÖPNV-Entwicklung. Fokus: die Einführung zukunftsfähiger Mobilitätslösungen und deren Integration in Betrieb und Infrastruktur.

Internationale Anbieter wie Waymo, Cruise oder Baidu lassen ihre autonomen Fahrzeuge bereits im Regelbetrieb fahren – in den USA oder in China. In Deutschland dagegen laufen nur kleine Pilotprojekte.

Erste Versuche in Deutschland

In Südhessen testet das bundesweite Projekt "Kira" autonome Fahrzeuge auf Abruf. Per App können Fahrgäste einsteigen, noch begleitet von einem Sicherheitsfahrer. Ziel ist ein Betrieb rund um die Uhr – ohne Personal an Bord. Ähnliche Ansätze gibt es auch in Hamburg, Ludwigslust und Darmstadt.

"Das ist ein sinnvoller Weg, um Vertrauen in die Technik aufzubauen", sagt Thomas Haiz. Doch viel mehr als einzelne Testfelder seien das bisher nicht. "Wir brauchen nicht nur einzelne Aushängeschilder, sondern ein Testfeld, auf dem man Schlüsse für einen großflächigen Einsatz in verschiedenen Regionen ziehen kann", fordert er.

Volkswagen und Tesla starten neues Rennen

Erst kürzlich haben sowohl Tesla als auch VW Fahrzeuge für autonome Shuttle-Services vorgestellt. "Volkswagen befindet sich in einer technologisch ambitionierten Aufholjagd – das ist positiv", ordnet Thomas Haiz ein. Mit der darunter liegenden Plattform entstehe ein Fundament für automatisierte Mobilitätsangebote. Und das könnte mittel- bis langfristig auch für internationale Robotaxi-Piloten relevant sein. "Der Ausgang dieses Rennens ist offen, aber VW signalisiert, dass Europa in der Robotaxi-Debatte mitgestalten will", so Haiz.

Bei Tesla zeigen sich mittlerweile Schwächen im echten Verkehr, die US-Verkehrsbehörde NHTSA hat inzwischen Untersuchungen eingeleitet. Der Grund: Teslas Ansatz, den Verkehr ausschließlich mit Kameras statt mit Radar oder Laser zu erfassen, stößt an seine Grenzen. "Wer aber in Zukunft Robotaxis im öffentlichen Raum betreiben will, muss mehr können", sagt Haiz. Es müssten also unter anderem belastbare Sicherheitsnachweise und technische Redundanz vorgewiesen werden. Sprich: dass technische Komponenten mehrfach vorhanden sein müssen, um Ausfälle zu vermeiden.

Optimistische Vision fehlt

In Deutschland, so die Experten, fehlt es nicht an Technik, sondern am politischen Willen. Ein zersplitterter Rechtsrahmen, wenig Investitionsbereitschaft und fehlende Modellregionen bremsen den Fortschritt. Experte Stephan Blankenburg sagt: "Uns fehlt eine optimistische Vision – als Gesellschaft insgesamt".

Seine Forderung: klar definierte Testkorridore, in denen alles ausprobiert werden kann – von der Infrastruktur bis zur Wartung. In den USA oder China sei man bereits weiter. Dort dürfen ganze Straßenzüge exklusiv von autonomen Fahrzeugen genutzt werden.

Sein Kollege Thomas Haiz ergänzt: "Und die rechtlichen Anforderungen dort unterscheiden sich kaum von unseren – das Ziel bleibt: sichere Produkte für den Markt."

Autoindustrie vor dem Wandel

Auch die Autoindustrie in Deutschland steht vor einem Wandel. Oliver Wucher: "Das Auto der Zukunft ist kein Fortbewegungsmittel, sondern ein Raum." Autos könnten als mobile Büros, Wohnzimmer oder Transportmittel für Menschen ohne Führerschein genutzt werden. Wer früh ein attraktives Angebot entwickle, setze sich durch. Die Aufgabe sei es, neue Mobilitätsplattformen zu schaffen – wie es Waymo, Baidu oder Uber vormachen. "Wer heute nur Autos baut, hat morgen keine Relevanz mehr", so Wucher.

Auch im Güterverkehr könnten autonome Systeme bald eine Rolle spielen. Lkw könnten Container auf Autobahnen selbstständig bewegen – oder Pakete zu Verladestationen bringen. Enges Kolonnenfahren würde Energie sparen und Unfälle vermeiden. Doch auch in diesem Bereich fehlen bislang mutige Pilotprojekte.

Es ist Eile geboten

Hat Deutschland noch Chancen, die Technologieführerschaft zu halten? Stephan Blankenburg: "Die deutsche Autoindustrie war lange innovativ – durch Konkurrenz im eigenen Land." Doch jetzt sei Eile geboten. "Wenn wir uns nicht bewegen, kommt die Technologie nicht mehr aus Deutschland."

Die Voraussetzungen wären da: ein gutes Verkehrsnetz, ein funktionierender ÖPNV, bestehende Sharing-Angebote. Was fehlt? Erfahrung. Und das Vertrauen der Kunden, sind sich die drei Experten einig: "Akzeptanz entsteht durch Erfahrung, nicht durch Erklärvideos."

Verwendete Quellen
  • Telefonisches Interview
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