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Nach Brand in Moria: Deutschland hat seine Versprechen nicht eingelöst


Nach Brand in Flüchtlingslager Moria
Die gebrochenen Versprechen der Deutschen


09.12.2020Lesedauer: 4 Min.
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Ein Mädchen und ein Junge in dem neuen Lager im Oktober: Eigentlich sollte für Familien und Kinder nach dem Brand in Moria eine schnelle Lösung gefunden werden.Vergrößern des Bildes
Ein Mädchen und ein Junge in dem neuen Lager im Oktober: Eigentlich sollte für Familien und Kinder nach dem Brand in Moria eine schnelle Lösung gefunden werden. (Quelle: Mangolis Lagutaris/AFP/getty-images-bilder)

Nach dem Brand in Moria hat Deutschland zugesagt, Minderjährige und Familien aus dem Lager aufzunehmen. Allerdings sind erst wenige davon angekommen. Immerhin: Dafür gibt es Gründe.

Nach dem Brand in Moria ist der Schock groß: Über Nacht werden mehr als 12.000 Menschen obdachlos, das Lager auf der griechischen Insel Lesbos ist fast komplett zerstört. Zahlreiche Appelle erreichen die Politik: Am 11. September etwa, drei Tage nach dem Brand, fordern einige der größten Hilfsorganisationen in einem offenen Brief an Kanzlerin Angela Merkel einen europäischen Rettungsplan und die Evakuierung des Lagers.

Am selben Tag tritt Horst Seehofer vor die Presse. Der Bundesinnenminister verspricht schnelle Hilfe. Er persönlich werde sich dafür einsetzen, dass für die Familien mit Kindern eine rasche Lösung gefunden werde. Auf EU-Ebene solle das Thema nicht "auf einen unbestimmten Zeitpunkt in der Zukunft" vertagt werden. Seehofer fordert eine schnelle Klarheit für die Situation nicht nur auf den griechischen Inseln, sondern auch an anderen Hotspots wie etwa Spanien und Italien: "Wir werden (...) als Ratspräsidentschaft, die wir derzeit in der EU haben, nächste Woche damit beginnen, wenigstens die drängendsten Probleme in Europa (...) anzugehen."

Das ist nun drei Monate her. Was ist aus seinen Versprechen geworden?

Die Bundesregierung hatte nach dem Brand zugesagt, 150 minderjährige Geflüchtete und 1.553 Menschen im Familienverbund, also rund 400 Familien, aufzunehmen. Bisher sind laut Innenministerium aber erst 138 aus der ersten Gruppe und 149 Menschen aus der zweiten Gruppe in Deutschland angekommen.

Innenministerium: Corona-Krise erschwert die Aufnahme

Die Corona-Situation erschwere den Aufnahmeprozess, teilt eine Sprecherin des Bundesinnenministeriums auf Nachfrage von t-online mit. Der Infektionsschutz habe oberste Priorität, außerdem habe der nationale Lockdown in Griechenland die Sicherheitsbefragungen der Menschen vor Ort kurzfristig unterbrochen. Die restlichen Menschen sollen zeitnah einreisen. Auf einen genauen Termin möchte man sich jedoch nicht festlegen. Im September hatte die Bundesregierung außerdem neun Konvois mit Tausenden Hilfsgütern geschickt. Am 24. September aber habe die griechische Regierung erklärt, keine weiteren Güter zu benötigen. Seitdem habe es keine weiteren Hilfsgesuche gegeben.

Noch immer leben laut EU-Kommission 7.200 Menschen in dem Nachfolgelager von Moria, Kara Tepe oder "Moria 2" genannt. Menschenrechtsorganisationen zählen sogar mehr Einwohner, darunter viele Familien, schwangere Frauen, Kinder. Einige Zelte stehen direkt am Meer, schutzlos. Mehrere Male überfluteten bereits starke Regenfälle das Lager. Videos von Hilfsorganisationen zeigen, wie der Wind durch die Zeltreihen fegt. Wie Helfer und Menschenrechtsorganisationen berichten, gibt es kaum Toiletten, Duschen oder Elektrizität.

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"Die meisten Menschen haben nicht viel mehr als ein Zelt", sagt Erik Marquardt, der für die Grünen im Europaparlament sitzt und die Lager auf den griechischen Inseln regelmäßig besucht. Die Kinder hätten, obwohl es gesetzlich anders geregelt ist, keinen Zugang zu Schulbildung, die Menschen dürften in ihren Zelten nicht einmal heizen. Die Zustände im neuen Lager seien schlimmer als in Moria, so bewertet es nicht nur er, sondern auch die Hilfsorganisation Oxfam. Und der Winter steht erst vor der Tür.

Ende der deutschen EU-Ratspräsidentschaft steht an

Auch zu einer europäischen Übereinkunft ist es bisher nicht gekommen. Die EU-Kommission hat ein "Migrations- und Asylpaket" vorgelegt, über das diskutiert wird. Laut Innenministerium hat sich Seehofer dazu bereits mehrfach mit seinen europäischen Amtskollegen ausgetauscht. Am 14. Dezember soll das nächste Gespräch stattfinden, zum letzten Mal unter deutscher EU-Ratspräsidentschaft. Ob es zu einer Übereinkunft kommen könnte, teilt das Innenministerium nicht mit: "Den Gesprächen kann nicht vorgegriffen werden."

Von diesen Gesprächen macht die Bundesregierung unter anderem abhängig, wie viele weitere Menschen von den griechischen Inseln und anderen Hotspots aufgenommen werden. Ein deutscher Alleingang, teilte Seehofer auch nach dem Brand in Moria mit, würde die europäische Lösung gefährden. Das sehen nicht alle so: Einige Bundesländer und zahlreiche Gemeinden in Deutschland wollen selbstständig Geflüchtete aufnehmen. Seehofer hatte das schon im Sommer mit Verweis auf Bundeseinheitlichkeit abgelehnt. Der Berliner Senat will nun dagegen gerichtlich vorgehen.

EU-Kommission plant neues Auffanglager auf Lesbos

Grünen-Politiker Marquardt kritisiert die Bundesregierung für diese Haltung. "Man sollte von einer christlichen Partei erwarten können, dass sie sich dafür einsetzt, Menschen in Not zu helfen", sagt Marquardt t-online. Er kann nicht nachvollziehen, warum Deutschland nicht mehr Menschen aufnimmt: "Die Logik hinter der Aussage, nicht mehr Menschen aufzunehmen, weil es eine europäische Lösung verhindere, verstehe ich nicht. Mit dem Leid der Menschen Druck auf andere Staaten aufzubauen, ist inhuman." Das habe in den vergangenen vier Jahren auch nicht zu einer EU-weiten Lösung geführt. Bereits in den vergangenen Jahren sei es Thema im Europaparlament gewesen, dass Kinder nicht im Zelt überwintern sollten. "Nun haben wir die Situation, dass Menschen auf den griechischen Inseln im Winter leiden müssen – schon wieder", sagt Marquardt. "Es ist schockierend, dass so ein Ort in Europa im Dezember 2020 existiert."

Die Europäische Kommission hat derweil eine Absichtserklärung für ein neues Auffanglager verabschiedet. Das Zentrum soll zügige, faire und effektive Asylverfahren gewährleisten. Migranten sollen dort in Containern wohnen, es soll einen Bereich für Neuankömmlinge, Medizincontainer, Bildungsangebote und Erholungsbereiche etwa für Sport oder zum Spielen geben. Zudem ist ein Haftbereich geplant, um "effektive Rückführung zu unterstützen". Fertiggestellt werden soll das Zentrum im September – ein Jahr nach dem Brand in Moria.

Verwendete Quellen
  • Schriftliche Anfragen an das Bundesinnenministerium, Antworten am 3.12. und am 7.12.
  • Telefonat mit Erik Marquardt
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