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Neuer Rechtsaußen-Club der EU: Darum lässt Orban die AfD nicht mitspielen


Europas neuer Rechtsaußen-Club
Er lässt die AfD nicht mitspielen

  • Daniel Mützel
Von Daniel Mützel

Aktualisiert am 11.07.2021Lesedauer: 6 Min.
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Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban: Die AfD will er in seiner Allianz der Rechtspopulisten nicht dabei haben.Vergrößern des Bildes
Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban: Die AfD will er in seiner Allianz der Rechtspopulisten nicht dabei haben. (Quelle: imago-images-bilder)

Ein neues Rechtsaußen-Bündnis sagt der EU den Kampf an. Es versammelt die politischen Schwergewichte im rechten Lager und zahlreiche kleinere Parteien. Nur die AfD darf bislang nicht mitmachen – das wird vermutlich auch so bleiben.

Vor wenigen Tagen veröffentlichten 16 rechte Parteien ein Manifest, das die EU reformieren soll und "legitimen Widerstand" ankündigt. Die Brüsseler Behörden, so heißt es dort, seien zunehmend ein "Werkzeug radikaler Kräfte", die das Recht auf nationale Selbstbestimmung aushebeln und einen "europäischen Superstaat" anstreben. Um die Zerstörung der Traditionen aufzuhalten, müssten sich national gesinnte Parteien zusammentun und die EU in eine "Gemeinschaft freier Völker" zurückführen.

Mit dabei sind die politischen Schwergewichte der europäischen Rechten: die Fidesz-Partei des ungarischen Premiers Viktor Orban, die polnische Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) von Jaroslaw Kaczynski, die italienischen Lega von Ex-Innenminister Matteo Salvini und der französische Rassemblement National unter Marine Le Pen.

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Auch die spanische Vox, die österreichische FPÖ und die italienischen Fratelli d'Italia haben unterschrieben. Die 16 Unterzeichner sind derzeit in den zwei großen Fraktionen rechts der Mitte beheimatet, den Europäischen Konservativen und Reformern (EKR) und der Identität und Demokratie (ID).

Von den großen Rechtsaußenparteien fehlte nur eine in der Liste: die AfD.

"Wir würden das 1:1 unterschreiben"

Formiert sich hier ein rechter Machtblock in Europa ohne die deutschen Rechtspopulisten? "Noch sind wir nicht so weit. Die Deklaration ist aber ein erster Schritt in diese Richtung", sagt der Chef der Lega-Delegation im Europäischen Parlament, Marco Campomenosi. Das Bündnis respektiere die bestehenden Fraktionen EKR und ID, aber er hoffe, dass es schon bald eine neue Fraktion gebe, die alle rechten Parteien unter einem Dach vereine.

Eine vereinte Rechte käme auf 134 Abgeordnete im EU-Parlament und wäre die zweitgrößte Fraktion. Doch der Weg dorthin ist weit, die Unterschiede zwischen den Parteien teils erheblich. Dass die AfD, die mit der Lega schon seit Jahren von einem neuen rechten Machtblock träumt, im Anfangsstadium aussortiert wurde, verdeutlicht das. "An uns ist es nicht gescheitert", sagt Campomenosi.

Auf den ersten Blick spricht wenig gegen eine Signatur der AfD unter die Deklaration. Der Text handelt von der Familie als "Keimzelle der Nation", dem Selbstbestimmungsrecht der Völker und einem vermeintlich "moralistischen Aktionismus" Brüssels, der die freien Nationen unterwerfe – es sind Positionen, die jeder AfD-Europaabgeordnete im Schlaf abspulen kann.

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"Wir würden das 1:1 unterschreiben", sagt der AfD-Bundessprecher Jörg Meuthen. "Würden", das heißt: Wenn man dürfte.

Denn es gab offenbar jemanden, der etwas dagegen hatte, dass die Meuthen-Truppe ihre Unterschrift unter die Erklärung setzte. Und dieser Mann heißt Viktor Orban.

Einseitige Sympathiebekundung

Dabei warb Meuthen noch vor wenigen Monaten offensiv um Orbans Gunst. Als dessen Fidesz-Partei die Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP) verließ, fackelte Meuthen nicht lange und bot ihm zwei Wege der Zusammenarbeit an: Entweder man bilde gemeinsam eine neue Großfraktion, der neben AfD und Fidesz alle rechtskonservativen Parteien angehörten. Oder Orban schließe sich Meuthens ID-Fraktion an. "Orban ist bei uns willkommen!", lockte der AfD-Chef am 3. März.

Aber der ließ Meuthen abblitzen.

"Von Orban kam keine Reaktion", sagt Meuthen heute. Was erst ein paar Wochen später klar wurde: Der ungarische Premier hatte eigene Pläne.

Wie sich die Allianz formierte

Rechte Parteien reden seit Jahren über eine engere Kooperation im EU-Parlament. Orban wäre der "Schlüssel", um daraus endlich Nägel mit Köpfen zu machen, berichteten mehrere Beteiligte des Bündnisses. "Die Ungarn gingen erst zu den Polen, danach zu den Italienern." Anfang April machten Orban, Salvini und der polnische Premier Mateusz Morawiecki ihre Absichten öffentlich und verkündeten bei einem Treffen in Budapest eine "europäische Renaissance auf der Basis christlicher Werte".

Um die Bedeutung des Tête-à-Tête zu unterstreichen, ließen sich die drei in symbolträchtigen Posen ablichten. Eine vierteilige Hochglanzfotoserie, veröffentlicht auf Morawieckis Twitter-Profil, zeigt das Trio beim vertieften Gespräch, beim Räsonieren vor historischer Kulisse oder beim andächtigen Gemeinsam-auf-die-Donau-Gucken – drei Volkstribune mit präsidialer Gravitas, die das Schicksal Europas umtreibt.

Die Gespräche über die Bildung einer Allianz nahmen nach und nach Konturen an. Erste Entwürfe eines Manifests machten die Runde. Bald öffnete sich der exklusive Dreierclub aus ungarischer Fidesz, polnischer PiS und italienischer Lega, weil kleinere Parteien unruhig würden und ihre Berücksichtigung einforderten, berichtet ein Teilnehmer der Gespräche t-online. Hinzustießen der Rassemblement National (RN) die Fratelli d'Italia und die spanische Vox.

Wieder nicht dabei: die AfD.

Das ist insofern bemerkenswert, als dass die AfD-Abgeordneten Seite an Seite mit ihren Fraktionskollegen von der Lega und dem RN in Ausschüssen sitzen und eigentlich im ständigen Austausch sind. Doch die Deutschen blieben im Dunkeln. Meuthens Parteikollege Gunnar Beck sagt: "Ich wusste von nichts."

Die Entscheidung, die deutschen Rechtspopulisten draußen zu halten, überraschte auch so manchen Abgeordneten. "Ich kann es auch nicht ganz verstehen", sagt der Lega-Politiker Marco Campomenosi. Sein Parteichef Salvini arbeitete mit Meuthen schon seit Jahren an der Vision einer vereinten europäischen Rechten im Parlament. Das Bündnis, das sich jetzt in Ansätzen formiert hat, ist gewissermaßen auch Meuthens Baby.

Doch der AfD-Chef sitzt nicht mehr am Tisch. "Noch nicht", sagt Meuthen bei einem Besuch in seinem Straßburger Parlamentsbüro überzeugt. Das lose Bündnis sei ohnehin noch weit davon entfernt, eine eigene Fraktion zu gründen. Sollte es tatsächlich irgendwann dazu kommen, "sind wir dabei", glaubt der AfD-Chef.

Doch Meuthen weiß: So einfach ist es nicht. Es gibt Gründe, warum die anderen die Deutschen nicht mitspielen lassen.

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"In naher Zukunft" kein Platz für die AfD

Dabei ist Meuthen, so scheint es, gar kein Vorwurf zu machen. Im neuen Bündnis reden sie gut über ihn, insbesondere bei der Lega und dem Rassemblement National hat Meuthen Sympathien.

Doch der AfD-Chef ist auch nicht das Problem, seine Partei ist es. Genauer: jene Teile um den Rechtsaußen Björn Höcke, die sich auf dem AfD-Parteitag im April mehrheitlich für den deutschen EU-Austritt ausgesprochen haben. "Die EU muss sterben, wenn Deutschland leben will", sagte damals ein Redner. Der Dexit wurde offizielle Parteilinie der AfD – und zum Sargnagel für Meuthens Europapläne.

Denn der Parteitagsbeschluss ging an Meuthens Noch-Verbündeten in Brüssel und Straßburg natürlich nicht vorbei. Die Vizechefin von Orbans Fidesz-Partei und ungarische Familienministerin Katalin Novak nannte den Beschluss ein No-Go: Wer wie die AfD die EU verlassen wolle, komme nicht für eine Zusammenarbeit in Frage, so Novak in einem Interview. Man strebe nach einer Reform der EU, nicht nach einem Exit. Ihr "natürlicher Partner" in Deutschland sei weiterhin die CDU/CSU.

Auch Jérôme Rivière vom Rassemblement National sieht den Dexit als Hemmschuh für eine weitergehende Kooperation in der neuen Allianz. "Auch wir waren mal für einen Frexit", den französischen EU-Austritt, "aber wir sind reifer geworden." Er wolle der AfD nicht reinreden, betonte aber, dass "keiner im Bündnis eine Exit-Position habe".

Hermann Tertsch von der spanischen Vox wird deutlicher: Der Dexit-Beschluss sei ein "großer Fehler" gewesen. "Ich hoffe, dass die AfD das korrigiert", so Tertsch auf Anfrage. Allerdings bezweifle er, dass das so schnell passieren werde. "In naher Zukunft wird es wohl keinen Platz für die AfD in dieser Gruppe geben."

Der erklärte Dexit-Gegner Meuthen weiß natürlich, dass sich seine Partei mit dem Beschluss keine Freunde in Europa gemacht hat. Die AfD in einen vereinten rechten Machtblock zu führen, wäre gewissermaßen sein europapolitisches Lebenswerk. Ist er verärgert, dass ihm Höcke und das Dexit-Lager – Meuthen nennt sie "Fundis" – seine Pläne ruinieren?

"Ach, nein. So ist Politik. Es ist ein stetes Werben um Mehrheiten." Auf dem Parteitag im Dezember würden die Karten neu gemischt. Meuthen hofft, dann den Dexit-Klotz am Bein endlich abschütteln zu können.

"Können Putin-Verehrung nicht akzeptieren"

Ob das reicht, um sich ein Ticket in Europas neuem Rechtsaußen-Club zu erschleichen, ist zweifelhaft. Denn Gegenwind kommt auch von der polnischen PiS-Partei. Der Europaabgeordnete und frühere Vizepräsident des EU-Parlaments, Zdzislaw Krasnodebski, sieht die AfD noch weit entfernt von einem tauglichen Bündnispartner.

"Wenn ich die Bismarck-Lobreden von Alexander Gauland höre oder so manche Äußerungen von Björn Höcke, dann bin ich skeptisch, dass die Partei in naher Zukunft so weit ist", sagt Krasnodebski. Zudem sei das Russland-Bild der Partei aus polnischer Sicht verstörend. "Wir können nicht akzeptieren, dass jemand Putin verehrt."

Immerhin möchte Krasnodebski der AfD ein Hintertürchen offenlassen. Er verweist auf den "mäßigenden Effekt", den die PiS, die sich immer noch in der christdemokratischen Tradition sehe, auf radikalere Parteien im Bündnis bereits hatte. "Nicht wir sind extremer geworden, sondern die anderen moderater." Für die AfD stelle er sich das ähnlich vor.

Ob es dazu kommt, ist fraglich. Es wäre eine merkwürdige Ironie, wenn die AfD ihre Parteitagsbeschlüsse ändert, nur um bei einer rechten Super-Allianz mitmachen zu dürfen. Für das Dexit-Lager wäre das wohl nur eine andere Form der Unterwerfung, ein Ausverkauf der eigenen Positionen, weil in Brüssel jemand das so will. Schwer vorstellbar, dass sich die Austrittsbefürworter davon überzeugen lassen.

Sollte sich der Traum einer rechten Großfraktion im EU-Parlament erfüllen, wird er wohl ohne die AfD geträumt werden.

Verwendete Quellen
  • eigene Recherchen
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