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Türkei-Wahlkampf in Deutschland: "Wir möchten Erdoğan wegschmeißen"


Türkei-Wahl in Deutschland
"Wir möchten Erdoğan wegschmeißen"

Von Patrick Diekmann

Aktualisiert am 12.05.2023Lesedauer: 7 Min.
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Recep Tayyip Erdoğan im Wahlkampf in der Türkei: Der türkische Präsident setzt auch auf Wählerstimmen aus Deutschland.Vergrößern des Bildes
Recep Tayyip Erdoğan im Wahlkampf in der Türkei: Der türkische Präsident setzt auch auf Wählerstimmen aus Deutschland. (Quelle: IMAGO/Tunahan Turhan/imago images)

Recep Tayyip Erdoğan könnte bei der Türkei-Wahl seine Macht verlieren. Er hofft auf die Stimmen vieler Deutschtürken. Aber wie groß ist sein Rückhalt noch in Deutschland? Ein Blick nach Berlin.

"Och". Mezut stöhnt und schüttelt verzweifelt den Kopf. Der 53-Jährige ist gerade auf die Allemannenallee in Berlin eingebogen und sieht die lange Menschenschlange vor dem Seiteneingang des Türkischen Generalkonsulats. Eigentlich hat er Mittagspause, will nur schnell bei der türkischen Präsidentschaftswahl seine Stimme abgeben. Doch er ist nicht der einzige, der am Mittwoch diese Idee hat. Schnell wird hier heute nichts gehen.

Die Schlange vor dem Konsulat ist mehrere hundert Meter lang. Mezut reiht sich aus Versehen falsch ein. Er ist groß, sticht mit seiner hellblauen Weste und dem grauen Bart aus der Menge hervor. Vielleicht wird auch deshalb sofort ein Ordner auf ihn aufmerksam. Ein junger Mann mit roter Warnweste ruft ihm auf Türkisch zu, dass er sich hinten anstellen solle. "Ich kann es nicht ändern", murmelt Mezut und geht auf den Bürgersteig an das Ende der Schlange.

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Die wartenden Menschen dort stehen in der Sonne, das Wetter ist frühlingshaft schön. Das ist sicherlich auch ein Anreiz, um an diesem Tag wählen zu gehen. Insgesamt scheint die türkische Wahl in der deutschen Hauptstadt gut organisiert zu sein. Die großen Parteien – die konservative AKP und die kemalistische CHP – bringen Wahlberechtigte mit Kleinbussen zum Konsulat. Auch Nachbarschaftsorganisationen, Religionsgruppen und Moscheen helfen älteren Menschen bei der Anreise. Immer wieder halten Vans an der Straßenseite, Schiebetüren gehen auf und es stellen sich vier bis sechs weitere Personen in die Schlange.

Der große Andrang in Berlin zeigt: Die Türkei erwartet eine Schicksalswahl. Recep Tayyip Erdoğan und sein größter Konkurrent Kemal Kılıçdaroğlu liegen in Meinungsumfragen eng beieinander. Vor allem die Wirtschaftskrise in der Türkei führt dazu, dass die Unterstützung für den türkischen Präsidenten gesunken ist. Umso wichtiger dürften für Erdogan die türkischstämmigen Wähler aus Deutschland sein.

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Erdoğan hat in Deutschland treue Anhänger

In Deutschland leben rund 1,5 Millionen Menschen, die wahlberechtigt sind und vom 27. April bis zum 14. Mai ihre Stimme abgeben können. Die Zustimmung für den Langzeitpräsidenten war unter den türkischstämmigen Menschen in der Bundesrepublik in der Vergangenheit stets hoch. Bei den Wahlen 2018 fielen 64,8 Prozent der deutschtürkischen Stimmen auf Erdoğan, während er in der Türkei mit 52,6 Prozent der Stimmen deutlich weniger Zustimmung erhielt. Doch die Frage ist: Werden die Deutschtürken ihn auch diesmal mehrheitlich wählen?

Vor dem Ausgang des Konsulats wartet eine Frau auf ihre Familie. Sie möchte ihren richtigen Namen nicht nennen, wir nennen sie Alin. Die 19-Jährige trägt ein schwarzes Kopftuch, eine Lederjacke und einen langen schwarz-weißen Rock und blickt auf ihr Handy. Sie ist deutsche Staatsbürgerin, darf in der Türkei nicht wählen. Trotzdem hätten sie ihre Eltern mitgenommen. "Die Stimmung ist gut, aber einen Machtwechsel halte ich nicht für realistisch", meint Alin. "Wenn die Opposition an die Macht kommen würde, dann würde sich vieles in der Türkei negativ verändern. Deswegen hoffe ich, dass Erdoğan noch eine Amtszeit bekommt." Auch ihre Familie ist für die AKP und Alin hält zu ihrer Familie.

In der Vergangenheit war es eine eher leise Mehrheit, die für Erdoğan stimmte. So stehen auch in Berlin am Mittwoch seine Wähler nach ihrer Stimmabgabe gelassen auf dem Bürgersteig. Sie reden, rauchen, trinken Tee und genießen die Berliner Frühlingssonne. Niemand macht Werbung für Erdoğan. Plötzlich hält ein silberner Kleinwagen direkt vor dem Eingang des Konsulats. Eine Frau sitzt am Steuer, hat alle Fenster heruntergelassen und spielt laut Erdoğans Wahlsong. Ein Ordner kommt angelaufen, schimpft und signalisiert mit den Armen, dass die Frau weiterfahren soll.

Mustafa beobachtet vom Bürgersteig, wie die Frau wegfährt. Er schmunzelt und steckt sich eine Zigarette an. "Manche Menschen begreifen nicht, dass es keine gute Zukunft mit Erdoğan geben wird. Sie denken nur an sich", sagt der 67-Jährige. Er vermutet, dass oft finanzielle Gründe dazu führen, dass viele die AKP unterstützen. "Die leben hier und kassieren in der Türkei doppelte Rente. Sie schauen nicht darauf, was das Beste für alle Menschen ist." Damit spielt er auch auf die Wahlgeschenke an, die die türkische Regierung im Wahlkampf gemacht hat. Zum Beispiel wurde das Renteneinstiegsalter gesenkt.

"Es liegt Wechselstimmung in der Luft"

Mittlerweile ist es 12.30 Uhr in Berlin, die Schlange wird immer länger. Gülay lehnt mit dem Rücken an der Absperrung vor dem Eingang. Sie lacht und wirkt auf den ersten Blick entspannt. "Es ist langweilig, dass Erdoğan immer regiert. Ich möchte mal einen anderen Menschen sehen", witzelt die 43-Jährige. Ein paar Meter weiter links steht Fikret. Er wohnt in Berlin und auch er ist kein Erdoğan-Anhänger: "Wir möchten Erdoğan wegschmeißen. Die Türkei ist kaputt", meint der 63-Jährige. "Die Menschen, die jetzt noch diesen Präsidenten wählen, hoffen auf Geld oder sie tun es aufgrund ihres Glaubens."

Diesen Menschen wäre Freiheit nicht wichtig, sagt er. Das Argument, dass die AKP der Türkei wirtschaftlichen Aufschwung gebracht hat, lässt Fikret nicht gelten. Er schimpft: "Erdoğan ist ein Dieb. Er und seine Familie haben das Land beklaut." Seine Kritiker werfen dem Präsidenten vor, dass er, seine Familie und seine Regierung Staatsgelder veruntreut haben und mit der türkischen Mafia zusammenarbeiten.

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Dabei gibt es ganz unterschiedliche Gründe, warum die Menschen die aktuelle türkische Regierung kritisieren. "Es liegt Wechselstimmung in der Luft, deswegen bin ich hierhergekommen", sagt Dila. Auch ihren Namen hat die Redaktion auf Wunsch verändert. Die 29-Jährige ist Ärztin und erklärt, dass die Situation für Mediziner und Medizinerinnen in der Türkei nicht gut sei – zu lange Arbeitszeiten, kaum wissenschaftlicher Fortschritt und zu viel Druck. Aysegül kommt aus dem Konsulat und setzt sich ihre Sonnenbrille auf. Sie ist wütend. "Die Leute haben genug", erklärt die 43-jährige. "Die Wirtschaftskrise ist katastrophal und die Menschen in der Türkei haben Hunger. Es kann eigentlich nicht mehr schlimmer werden."

Auch Melek hat vor wenigen Minuten gewählt, sie gab ihre Stimme einem Kandidaten der Opposition. "Erdoğan kann nur gewinnen, wenn er betrügt", ist sich die 43-Jährige sicher. "Wir haben die Nase voll und wollen Veränderung." Allerdings glaubt sie nicht an einen friedlichen Machtwechsel. "Erdoğan wird nicht gehen, sondern er wird kämpfen. Deshalb könnte es in der Türkei erst einmal schlimmer werden."

Wie stabil ist die türkische Demokratie?

Diese Befürchtung teilen einige in Berlin, wenn auch nicht alle unter den Ergogan-Gegnern. Dila zum Beispiel sieht bei einem Machtwechsel keine Probleme: "Wir sind ein demokratisches Land und wählen unseren Präsidenten. Wir werden auch ein demokratisches Land bleiben."

Viele Türkinnen und Türken sind stolz auf das demokratische System der Türkei. Doch es war auch Erdoğan, der in den vielen Jahren seiner Amtszeit die Gewaltenteilung, die Meinungsfreiheit und den Einfluss des Parlaments zurückgedrängt hat – zum Schaden der Demokratie.

Dennoch besitzt er noch immer viele Anhänger in der deutsch-türkischen Gemeinde. Viele von ihnen fühlen sich von der deutschen Politik und den Medien missverstanden. Oft sehen sich die Anhänger und Anhängerinnen der AKP als besonders gläubige Muslime und aus ihrer Perspektive verteidigt der türkische Präsident ihren Glauben.

Erdoğan gab mit seiner Partei vor über zwei Jahrzehnten vielen gläubigen Muslimen eine politische Heimat, während in der streng-laizistischen Türkei die Religion und Gläubige zuvor in vielen Bereichen des öffentlichen Lebens ausgegrenzt wurden. Viele der Türkinnen und Türken, die mit ihren Familien in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts nach Deutschland auswanderten, waren eher konservative Muslime. Das erklärt zum Teil, warum Erdoğan hierzulande auf eine treue Wählerschaft bauen kann.

Wahl im Schatten der Wirtschaftskrise in der Türkei

Vor allem ältere Deutschtürken informieren sich auch in Deutschland durch türkisches Fernsehen – und Erdoğan hat die Medienwelt unter Kontrolle. Journalistinnen und Journalisten in der Türkei sitzen im Gefängnis, im internationalen Vergleich ist das Land in der Rangliste für Pressefreiheit von "Reporter ohne Grenzen" auf Platz 149 von 180. AKP-Anhänger in Deutschland nehmen die Kritik deutscher Medien an ihrem Präsidenten fast schon persönlich. Auch in Berlin winken sie ab, gehen wortlos weiter oder drehen sich um, wenn sie von Journalisten angesprochen werden.

Aber manche Erdoğan-Unterstützer gehen auch in die Offensive. Während Aysegül noch immer über den Präsidenten schimpft und ihn für die Wirtschaftskrise verantwortlich macht, stellt sich ein Mann neben sie. "Ich verstehe das nicht: Was wollen Sie?" "Hören Sie etwa zu?", fragt die Frau sichtlich verunsichert. "Ja", erwidert er. "Besprechen Sie etwas Geheimes? Vielleicht möchte ich auch etwas sagen."

Er stellt sich als Mehmed vor und er kann die Kritik an der AKP nicht verstehen. "Die Oppositionsparteien arbeiten mit den PKK-Terroristen zusammen. Ich bin für Erdoğan, denn er hat viel für die Türkei gemacht, es ist alles besser geworden", meint der 48-Jährige. "Die anderen Parteien würden das kaputtmachen, was der Präsident aufgebaut hat. Die Opposition müsste mit vielen Parteien zusammenarbeiten und ständig Kompromisse finden. Dann gibt es Chaos." Mehmed gibt wieder, was auch die AKP im Wahlkampf verbreitet. Sie wirft der pro-kurdischen HDP Nähe zur Terrororganisation PKK vor. Allerdings ist die HDP kein Teil des Oppositionsbündnisses.

Aber auch Mehmed sieht, dass Erdoğan nicht jünger wird. Für seine Nachfolge weiß er aber schon einen passenden AKP-Kandidaten: den ehemaligen türkischen Finanzminister Berat Albayrak, Erdoğans Schwiegersohn.

Letztlich ist der Ausgang der Wahl offen. Fest steht nur, dass es eng wird. Es wird auch auf die Stimmen der türkischstämmigen Menschen in Deutschland ankommen und zumindest vor dem türkischen Generalkonsulat in Berlin ist das Stimmungsbild geteilt. Aber es gibt auch Wahlberechtigte, die sich in keines der beiden politischen Lager in der Türkei einordnen.

Dazu zählt auch Mezut, der nach fast zwei Stunden aus dem Konsulat kommt, wo er endlich gewählt hat. Wen, will er nicht verraten. "Es muss mehr Frieden, Toleranz und Respekt zwischen den Menschen geben. Wir müssen mehr kuscheln", sagt Mezut nur und umarmt ohne Vorwarnung einen Reporter. Er ruft: "Die Menschheit ist eine internationale Familie" und verabschiedet sich mit einem Lachen.

Verwendete Quellen
  • Beobachtungen und Gespräche am Türkischen Generalkonsulat in Berlin
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