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Russland: Oberstes Gericht löst Menschenrechtsorganisation Memorial auf


Memorial
Russlands Oberstes Gericht löst Menschenrechtsorganisation auf

Von afp, dpa, t-online
Aktualisiert am 28.12.2021Lesedauer: 3 Min.
Polizisten halten einen Demonstranten vor dem Obersten Gerichtshof in Moskau fest: Er fordert "Hände weg von Memorial, Freiheit für politische Gefangene".Vergrößern des BildesPolizisten halten einen Demonstranten vor dem Obersten Gerichtshof in Moskau fest: Er fordert "Hände weg von Memorial, Freiheit für politische Gefangene". (Quelle: Pavel Golovkin/dpa-bilder)
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Memorial gehört zu den wichtigsten Menschenrechtsorganisationen in Russland, sie wurde schon in den 1980er-Jahren gründet. Jetzt muss sie ihre Arbeit einstellen.

Das Oberste Gericht Russlands hat die Auflösung der Menschenrechtsorganisation Memorial International angeordnet. Das Verbot der Dachorganisation von Memorial wurde am Dienstag wegen angeblicher Verstöße gegen das sogenannte Ausländische-Agenten-Gesetz verhängt. Wie Memorial im Messengerdienst Telegram erklärte, wurden mit der Entscheidung auch die regionalen Unterorganisationen von Memorial International verboten.

Mehr als 100 Demonstranten protestierten trotz eisiger Temperaturen vor dem Gerichtsgebäude in Moskau gegen den Prozess. Es habe vereinzelt auch Festnahmen gegeben. Diplomaten aus 15 Ländern hätten den Prozess verfolgt, darunter Deutschland, teilte das Gericht der staatlichen russischen Nachrichtenagentur Ria Nowosti zufolge mit. Die Richterin begründete ihre Entscheidung nicht – sie folgte dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft.

Memorial International will sich wehren

Die Menschenrechtsorganisation selbst kündigte rechtliche Schritte gegen ihr gerichtlich angeordnetes Verbot an. "Wir werden die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs Russlands auf jede erdenkliche Weise anfechten", teilte die Organisation mit. "Und wir werden rechtliche Möglichkeiten finden, um unsere Arbeit fortzusetzen." Memorial Anwältin Tatjana Gluschkowa sagte, die NGO bereite eine Eingabe vor dem Berufungsgremium des Obersten Gerichts vor.

Zuvor wurde berichtet, dass Jan Ratschinski von der Memorial-Leitung angekündigt hatte, gegen die Entscheidung auch vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte vorzugehen. Der prominente Verteidiger Henri Resnik, der auch Mitglied des Menschenrechtsrats beim russischen Präsidenten ist, sprach von einem "gesetzeswidrigen" Richterspruch. "Aber das ist eine politische Entscheidung", sagte Resnik.

Friedensnobelpreisträger Sacharow gründete Memorial

Memorial gehört zu den wichtigsten zivilgesellschaftlichen Organisationen in Russland. Die Ende der 80er-Jahre vom sowjetischen Dissidenten und Friedensnobelpreisträger Andrej Sacharow mitbegründete Organisation setzt sich für die Aufarbeitung der politischen Verfolgung und des stalinistischen Terrors in der Sowjetunion, aber auch für die Wahrung der Menschen- und Bürgerrechte im heutigen Russland ein.

Die russischen Behörden werfen Memorial vor, gegen das sogenannte Ausländische-Agenten-Gesetz verstoßen zu haben. Als "ausländische Agenten" eingestufte Organisationen in Russland müssen sämtliche Publikationen mit einer speziellen Kennzeichnung versehen und ihre Finanzierungsquellen offenlegen. Kritiker sehen in dem Gesetz ein Instrument des Kreml zur Unterdrückung unabhängiger Stimmen in Russland.

Memorial setzt sich auch für Alexej Nawalny ein

Auch der Memorial-Unterorganisation Menschenrechtszentrum Memorial werden Verstöße gegen das Ausländische-Agenten-Gesetz zur Last gelegt. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Zentrum darüber hinaus die Verherrlichung von "Terrorismus und Extremismus" vor. Vor einem Gericht in Moskau findet am Mittwoch eine erneute Anhörung in diesem Verfahren statt. Das Menschenrechtszentrum Memorial setzt sich insbesondere für politische Gefangene in Russland ein. In diesem Jahr wies es dabei auch immer wieder auf das Schicksal des inhaftierten Oppositionspolitikers Alexej Nawalny hin.

Beobachter sehen in dem Vorgehen gegen Memorial auch den Versuch der russischen Führung, die sowjetische Geschichte umzudeuten. Während Memorial Gedenkorte für die Opfer des Stalinismus schaffen will, erinnert der Kreml an Stalin vor allem als Kriegshelden und Bezwinger des Nationalsozialismus. Aufarbeitung, wie Memorial sie betreibt, wird als Angriff auf dieses Geschichtsbild gewertet.

Steinmeier zeigt sich "fassungslos"

Auch in Deutschland löste das Vorgehen der russischen Justiz Entsetzen aus. Zuletzt hatte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier das Vorgehen gegen die renommierte Einrichtung verurteilt. Das mache "fassungslos", sagte er. Der Kreml wies die Kritik zurück. Der russische Präsident Wladimir Putin hatte Memorial vorgeworfen, Nazi-Kollaborateure im Zweiten Weltkrieg rehabilitiert zu haben.

In einer gemeinsamen Erklärung mehrerer Organisationen, darunter die Heinrich-Böll-Stiftung, Amnesty International, das Deutsche PEN-Zentrum, die Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, hieß es zudem, die Auflösung der Organisation sei ein schwerer Schlag für die russische Gesellschaft und für ganz Europa. "Memorial steht wie keine andere Organisation für ein offenes, menschenfreundliches, demokratisches Russland."

"Politisch motiviertes Urteil"

FDP und Grüne im Deutschen Bundestag sprachen von einem "politisch motivierten Urteil". "Es ist gleichzeitig ein rabenschwarzer Tag für Opfer von Gewalt, Folter und Repressionen", meinte Renata Alt von den Liberalen. "Jetzt ist es wichtig, den Mitarbeitern von Memorial proaktiv Asyl in Deutschland anzubieten."

Die Stiftung Topographie des Terrors und weitere deutsche Erinnerungsorte und Gedenkstätten zeigten sich zuletzt in einer Resolution solidarisch mit Memorial. Die Institution sei wichtig für die deutsch-russischen Beziehungen. "Vor allem die historische Aufarbeitung und dabei besonders die in der Sowjetunion verübten nationalsozialistischen Verbrechen stehen immer wieder im Fokus der Arbeit", hieß es in der Resolution. Memorial habe "unermüdlich für die Entschädigung von sowjetischen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern gekämpft".

Verwendete Quellen
  • Nachrichtenagenturen AFP und dpa
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