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Drohende russische Invasion: "Sie beschießen uns seit Tagen"


Menschen aus der Ukraine berichten
"Sie beschießen uns seit Tagen"

  • Daniel Mützel
Von Daniel Mützel und Serhii Klymenko

Aktualisiert am 21.02.2022Lesedauer: 5 Min.
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Eine Frau zeigt Einschläge von Artilleriegranaten in Mykolajiwka in der Region Luhansk: Seit Donnerstag feuern prorussische Separatisten auf Wohngebiete und Militäreinrichtungen nahe der Front.Vergrößern des Bildes
Eine Frau zeigt Einschläge von Artilleriegranaten in Mykolajiwka in der Region Luhansk: Seit Donnerstag feuern prorussische Separatisten auf Wohngebiete und Militäreinrichtungen nahe der Front. (Quelle: Alexander Reka/Tass/imago-images-bilder)

Die Ereignisse in der Ukraine überschlagen sich: Seit Donnerstag sind nahe der Front die heftigsten Kämpfe seit Wochen ausgebrochen – die Vorboten einer Invasion? Wie drei Ukrainer die Kriegsgefahr sehen.

Es sind beunruhigende Nachrichten, die derzeit aus der Ukraine kommen. Am Freitagnachmittag kündigten die Anführer der prorussischen Separatisten im Osten des Landes an, Zivilisten aus den besetzten Provinzen nach Russland zu evakuieren. Angeblich, um sie aus der Schusslinie des ukrainischen Militärs zu bringen, das eine militärische Rückeroberung der Gebiete plane. Eine Behauptung, die durch nichts belegt ist und die Russland als Vorwand dienen könnte, seinerseits einen Angriff zu starten

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Kurze Zeit später melden Nachrichtenagenturen eine "große Detonation" im Zentrum von Donezk, der besetzten Separatistenhauptstadt – ein mögliches weiteres Puzzleteil in einer groß angelegten russischen Kampagne. Am Abend gibt es Berichte über Explosionen in Luhansk, der zweiten Hauptstadt der abtrünnigen Milizen. US-Geheimdienste hatten zuvor gewarnt, der Kreml könnte einen Angriff unter falscher Flagge inszenieren, um einen Einmarsch zu rechtfertigen.

Heftigster Artilleriebeschuss seit Wochen

Noch am Mittwoch schien es erste Anzeichen für eine Deeskalation zu geben. Doch Putins angekündigter Abzug erwies sich als Bluff. Stattdessen findet seit Donnerstag der stärkste Artilleriebeschuss auf ukrainischem Territorium seit Langem statt. Insgesamt 60 "Brüche des Waffenstillstandsabkommens" durch schwere Waffen zählte das ukrainische Militär an diesem Tag. Zum Vergleich: Ende Januar waren es in der Region Donezk – eine der beiden Front-Regionen im Donbass – rund zwei Einschläge pro Tag. Das bestätigte der Chef der regionalen Militäradministration, Pavlo Kyrylenko, damals gegenüber t-online.

Am heftigsten traf es am Donnerstag die Kleinstadt Stanytsya Luhanska in der Nähe der "Volksrepublik Luhansk", einer der beiden Marionettenstaaten der Separatisten: Insgesamt 31 Mal schlugen Granaten der moskautreuen Milizen in den Ort ein, unter anderem im Musikzimmer eines Kindergartens. Zum Zeitpunkt des Einschlags befand sich dort kein Kind, zwei Lehrer erhielten einen Schock.

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t-online konnte am Freitag mit drei Ukrainern über die drohende Kriegsgefahr sprechen. Zwei von ihnen leben direkt an der Front und stehen seit Tagen unter heftigem Artilleriebeschuss. Wie erleben sie die Lage? Fürchten sie den "großen Krieg", wie viele Ukrainer den Einmarsch nennen?

"Fenster und Dächer flogen davon" – Natalja Cvetikova aus Stanytsya Luhanska

"Sie beschießen uns seit zwei Tagen", sagt Natalja Cvetikova, die in Stanytsya Luhanska lebt, dem Ort, in dem der Kindergarten beschossen wurde. "Am Donnerstagmorgen hat es begonnen. Es flogen Granaten in Wohngebiete und Gebäude des Militärs. Die Detonationen waren teilweise so stark, dass Fenster und Dächer wegflogen. Eine Gasleitung wurde getroffen, sodass wir bis abends keinen Strom hatten."

Die Reparaturfirma habe die Separatisten gebeten, den Beschuss für eine Weile auszusetzen, damit sie notwendige Reparaturen vornehmen könne, erzählt die Mitte-60-Jährige. "Aber die russischen Besatzungstruppen haben einfach weiter geschossen."

In dem kleinen Ort im Windschatten der Stadt Luhansk, der selbsterklärten Hauptstadt der abtrünnigen Provinz "Volksrepublik Luhansk", war es für lange Zeit eher ruhig geblieben. Nun befinden sich die Einwohner im Epizentrum einer vielleicht bald beginnenden Invasionskampagne der russischen Armee: "Fünf Häuser sind komplett abgebrannt, zwei weitere stehen nur noch zur Hälfte", sagt Cvetikova am Telefon.

"Ich habe trotzdem keine Angst." Seit acht Jahren helfe sie dem ukrainischen Militär, so gut sie könne. "Wenn du deine Familie beschützt, darfst du keine Angst haben."

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"Deutschland hat die Lehren aus dem Zweiten Weltkrieg vergessen" – Yuriy Zolkin aus Stanytsya Luhanska

Auch Yuriy Zolkin erlebt die Bombardements durch Artilleriegeschütze derzeit hautnah mit. "Seit Donnerstagmorgen fliegen um Luhansk herum Granaten herunter: in Artema, Schtschastja, Stary Aydar und in anderen umliegenden Dörfern. Aber Luhansk selbst haben sie nicht angefasst, dort haben die Separatisten das Sagen. Sie haben also gezielt die Dörfer in ukrainischer Kontrolle beschossen."

Zolkin wohnt auch in dem 10.000-Einwohner-Ort Stanytsya Luhanska. Der frühere Chef der Gemeindeverwaltung glaubt trotz des Beschusses nicht, dass Russland eine Invasion starten werde. "Die Wetterverhältnisse sind nicht günstig. Bei den warmen Temperaturen gefrieren die Felder nicht. Die russischen Panzer würden im Matsch steckenbleiben."

Dennoch beobachte er eine sehr gefährliche Eskalation: "Die Separatisten beschießen ukrainische Gebiete aus Wohngebieten heraus, um bei einer möglichen Reaktion des ukrainischen Militärs zivile Opfer in Kauf zu nehmen. Damit schaffen sie einen Vorwand für weitere Angriffe."

Umso wichtiger sei es, dass die Ukraine von außen beschützt werde. Die aktuelle Debatte um die Nato verfolge er genau, sagt Zolkin. Die Tatsache, dass der deutsche Kanzler Olaf Scholz jüngst in Moskau sagte, ein Nato-Beitritt der Ukraine stehe derzeit "nicht auf der Tagesordnung", fand er enttäuschend. "Deutschland hat wohl seine Lehren aus dem Zweiten Weltkrieg vergessen: Wir haben einen neuen Hitler, der auf der europäischen Bühne auftaucht, und der heißt Putin." Der Kremlchef versuche, ein russisches Großreich wieder zu errichten und gehe dafür über Leichen.

"Eine Nato-Mitgliedschaft ist unsere einzige Garantie, ein Leben in Sicherheit und Frieden zu führen. Warum will man uns diese Perspektive wegnehmen?"

"Russland wird definitiv angreifen" – Maryana Zhaglo aus Kiew

Auch viel weiter im Westen des Landes fürchtet man die heraufziehende Kriegsgefahr. Sollte der Kreml angreifen, werde die Armee von verschiedenen Seiten einmarschieren, vermuten westliche Geheimdienste. Die gemeinsame Militärübung mit Belarus hat Russland in die Lage versetzt, nur rund 100 Kilometer entfernt von Kiew Soldaten und schweres Kriegsgerät zu stationieren.

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"Die Granaten, die jetzt im Donbass auf Zivilisten geschossen werden, sind eindeutig Provokationen vonseiten Russlands. Das ist die Vorstufe einer Invasion", sagt Maryana Zhaglo, 52 Jahre, aus Kiew. Die Marketing-Analystin ist eine Reservistin der ukrainischen Territorialen Verteidigungskräfte (TDF), einem militärischen Freiwilligenverband, der offiziell zur Armee gehört.

"Putin hat sich selbst in eine Ecke getrieben, aus der er nicht mehr ohne Gesichtsverlust herauskommt. Ich bin sicher, dass Russland angreifen wird", sagt die Mutter dreier Kinder.

Jeden Samstag trainiert Zhaglo mit anderen Zivilisten – Architekten, Friseuren, Lagerarbeiter, Investmentbanker – in einem Wald nahe Kiew taktische Formationen und das Schießen. Ihre Einheit ist das 130. Verteidigungsbataillon der TDF, das im Falle eines Angriffs die Hauptstadt verteidigen muss.

"Putin hat sich verkalkuliert. Er hat nicht damit gerechnet, dass die Welt nicht nachgeben wird und sich hinter die Ukraine stellt. Er hat unterschätzt, wie sehr die Ukrainer zusammenrücken und sich nicht von ihm spalten lassen. Wir sehen auch immer mehr Freiwillige, die sich bei den TDF einschreiben und bereit sind, ihr Land zu verteidigen."

"Wir wissen, dass zahlreiche russische Spezialeinheiten auf ukrainischem Territorium operieren und ein Manöver unter falscher Flagge durchführen könnten, indem sie zum Beispiel Granaten in die Separatistengebiete abfeuern." Russland könne sich also seinen Vorwand selbst basteln, "dazu müssen gar keine ukrainischen Geschosse fliegen", schreibt Maryana auf WhatsApp.

"Also egal, was wir tun, Putin wird einen Vorwand finden, um uns anzugreifen. Im Moment ist das sehr wahrscheinlich."

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
  • Telefonat mit Natalja Cvetikova
  • Telefonat mit Yuriy Zolkin
  • WhatsApp-Chat mit Maryana Zhaglo
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