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Nach Russlands Invasion: Wie lange hält Kiew? Was passiert als Nächstes?


Ukraine-Krieg
Wie lange hält Kiew stand?


Aktualisiert am 01.03.2022Lesedauer: 6 Min.
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Russlands Vormarsch auf Kiew: Die Ukrainerin Lidia Vynogradna schildert, welchen Empfang die Hauptstädter den russischen Soldaten bereiten wollen. (Quelle: t-online)

Seit mehr als fünf Tagen greift Russland die Ukraine an. Die Hauptstadt ist bisher nicht gefallen. Ändert sich das jetzt, da ein riesiger Militärkonvoi anrollt? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Wenn man nicht so genau hinschaut, kann man es für einen endlos langen Stau auf einer Landstraße halten. Doch die Satellitenbilder zeigen einen russischen Militärkonvoi. Über knapp 65 Kilometer reiht sich Fahrzeug an Fahrzeug. Das offensichtliche Ziel: Kiew, die Hauptstadt der Ukraine.

Könnte die Stadt heute eingenommen werden? Und was würde das für den Ukraine-Krieg bedeuten? t-online beantwortet die wichtigsten Fragen.

Was wissen wir über den Militärkonvoi?

Er soll offenbar die Wende für Wladimir Putin bringen in diesem Krieg, der für den Kreml bisher nicht nach Plan lief. Neben Panzern, schwerer Artillerie und Versorgungswagen zeigen Satellitenaufnahmen eine hohe Zahl an Truppentransportern – ein Hinweis darauf, dass Russland bei der Eroberung Kiews massiv auf Bodentruppen setzen könnte. Die Gefahr eines Häuserkampfes mit vielen zivilen Opfern ist groß.

Aktuelle Satellitenbilder des US-Unternehmens Maxar zeigen, dass der Konvoi bereits am Montag gegen 11 Uhr Ortszeit den Flughafen Hostomel erreicht hatte – und damit rund 20 Kilometer vor dem Stadtzentrum Kiews stand. Einige der Fahrzeuge seien "zu zweit und zu dritt" gruppiert, andere stünden "sehr weiter auseinander", teilte Maxar mit.

Weitere Bilder deuten darauf hin, dass es entlang der Route offenbar zu Gefechten gekommen ist: Aufnahmen über der Gemeinde Ivankiv zeigen dunkle Rauchwolken über mehreren Häusern.

Das US-Unternehmen veröffentlichte zudem Aufnahmen, die Truppenverlegungen von Kampfhubschraubern und Militärfahrzeugen in Belarus nahe der ukrainischen Grenze zeigen. Laut ukrainischen Behörden ist am Dienstagmorgen ein weiterer Konvoi aus Belarus mit 33 Fahrzeugen Richtung Kiew gestartet. Es wäre der offizielle Kriegseintritt des nördlichen Nachbarn.

Täuschen uns die Bilder im Netz?

Die Bilder des massiven Konvois bedeuten zumindest eine gewisse Korrektur der öffentlichen Darstellung des Kriegsgeschehens. Die hat insbesondere in den sozialen Medien bislang nämlich eine proukrainische Schlagseite. Ukrainer laden dort Videos ihrer zahlreichen kleinen Erfolge hoch.

Die kurzen Clips – etwa von mutigen Zivilisten, die russische Panzer zum Halt zwingen – verbreiten sich rasant in der weltweiten Öffentlichkeit, weil sie die Erzählung David gegen Goliath befördern. "Ohne die große Leistung und Widerstandsfähigkeit des ukrainischen Militärs schmälern zu wollen, sehe ich viele vorschnelle Urteile", schreibt der US-Militärexperte Michael Kofman auf Twitter. So bedeutend die Geschichten auch sind, die diese Videos erzählen: Sie verzerren das Bild der militärischen Lage. Diese bleibt durch die Übermacht der russischen Truppen und deren stetem Vormarsch gekennzeichnet.

Wie lange hält Kiew?

Das ist schwer zu sagen. Es wird auch drauf ankommen, was Russland genau plant und erreichen will. Immerhin ist Kiew mit ihren über 800 Quadratkilometern und fast drei Millionen Einwohnern sehr groß.

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"Man kann nicht sagen, ob Kiew bereits heute eingenommen wird", sagt Carlo Masala, Sicherheitsexperte und Professor für internationale Politik an der Universität der Bundeswehr München, t-online. "Aber: Die Stadt ist eingekreist und lange werden die ukrainischen Truppen sie wohl nicht verteidigen können, wenn sie nicht unnötiges Leid bei der Zivilbevölkerung verursachen wollen."

Es sei "sicher nicht der Plan Putins", die Hauptstadt Kiew oder auch Charkiw "militärisch zu besetzen", sagt Hans-Henning Schröder, Russlandexperte vom Ostinstitut Weimar, t-online. "Das sind Millionenstädte, sie einzunehmen und dauerhaft zu kontrollieren würde die jetzt in der Ukraine befindlichen Truppen Putins schlichtweg überfordern."

Schröder denkt, dass Putins ursprüngliches Ziel gewesen sei, "die politische und militärische Führung gezielt auszuschalten, eine politische und militärische Enthauptung sozusagen". Das sei gescheitert, weil "der Kräfteeinsatz Russlands zu schwach war" und die Truppen "teilweise nicht gut genug vorbereitet" gewesen seien.

Doch Putin versuche das gerade zu korrigieren. "Die Hoheit über den Luftraum hat Russland nun bereits gewonnen." Das gilt als besonders wichtig, um Bodenoffensiven abzusichern.

Was könnte als Nächstes passieren?

"Ein Sturm auf Kiew kann nicht in Putins Interesse sein", sagt Russlandexperte Hans-Henning Schröder. "Es würde totales Chaos ausbrechen."

Schröder denkt, das Hauptziel bleibe die politische und militärische Führung. "Putin will sie ausschalten und stattdessen eine Marionettenregierung einrichten, die dann einen Waffenstillstand aushandelt." Für Putin sei das von großer strategischer Bedeutung: "Nimmt man den ukrainischen Soldaten das politische Zentrum, dann verliert der Kampf für sie den Sinn, auch organisatorische Dinge, wie die Beschaffung von Munition, werden schier unmöglich."

Sicherheitsexperte Carlo Masala geht davon aus, dass die Russen Kiew dazu mit schwerer Artillerie und aus der Luft unter Beschuss nehmen werden. Dann würden sie anschließend "mit leichten Einheiten" in die Stadt einziehen, um strategische Ziele zu besetzen.

Was sind die Gefahren in dieser Situation?

Es gibt etwas, das dem Sicherheitsexperten Carlo Masala besondere Sorgen macht: "Es besteht die Gefahr, dass auch thermobarische Waffen zum Einsatz kommen", sagt er. Mit verheerenden Folgen möglicherweise auch für die Zivilbevölkerung.

So ist bekannt, dass die russische Armee auch Flammenwerfer des Typs TOS-1 Buratino (Spitzname "Putins Höllensonne") in die Ukraine gebracht hat. Dabei handelt es sich um Raketenwerfer, die auf Panzerfahrgestelle montiert und mit Treibstoff beladenen Raketen bestückt sind. Der überdimensionierte Aufbau thront wie eine lange Nase auf dem Panzerchassis und gibt dem System seinen Beinamen "Buratino" – dem russischen Pendant zur "Pinocchio"-Figur.

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Die Raketen sind mit einem thermobarischen Gefechtskopf ausgerüstet und besitzen die Wirkungsweise einer Aerosol- bzw. Vakuumbombe. Nach dem Einschlag im Zielgebiet setzen die Sprengkörper eine leicht entzündliche Chemikalie frei. Zusätzlich zur normalen Druckexplosion wird mit dem feinen Aerosol die Umgebungsluft entzündet und es entsteht eine verheerende Kombination aus Hitze- und Druckwelle. Die Raketen haben eine Reichweite von 3,5 Kilometern.

Das System wurde erstmals im sowjetisch-afghanischen Krieg eingesetzt und gilt als die schlimmste Waffe, die Russland jenseits der Atombombe besitzt.

Was sagen Menschen in Kiew?

Augenzeugen berichten, dass die Stimmung bei den Menschen in Kiew angespannt, aber nicht verzweifelt ist. Der israelische Journalist Dov Gil-Har war fünf Tage in der Stadt, bevor er sich am Montagabend einem Evakuierungskonvoi in Richtung Moldawien anschloss, den die weltweit tätige jüdische Organisation Chabad Lubawitsch organisiert hatte.

"Die Nervosität in Kiew ist sehr groß", erzählt Gil-Har t-online. Er selbst sei beinahe von ukrainischen Soldaten im Zentrum der Stadt erschossen worden, weil sie ihn für einen russischen Agenten hielten. "Es gibt eine große Sorge, dass russische Agenten die Stadt infiltrieren und Sabotageakte durchführen könnten." Die Einheimischen bereiteten sich mit Straßenblockaden aus Autoreifen, Holz- und Metallstücken sowie selbst gebastelten Molotowcocktails auf die Invasion vor. "Natürlich sind die Menschen sehr nervös, aber es gibt auch ein großes Gefühl von Patriotismus."

Die 26 Jahre alte Kiewerin Elisabeth hat ihre Heimatstadt ebenfalls am Montagabend in ihrem Auto und mit ihren beiden Katzen an Bord verlassen. Ihre Eltern blieben zurück, sie wollen nicht gehen. "Ich glaube nicht, dass die Russen Kiew zerstören können, weil sie nicht genügend Eier dafür haben", sagt die IT-Expertin. "Der Heldenmut der Ukrainer und Ukrainerinnen ist viel größer und stärker. Putin wird mit unserem Präsidenten verhandeln müssen. Dies wird ein Ende finden – aber zu unseren Bedingungen. Die Ukraine wird stärker denn je aus dieser Situation hervorgehen. Das ist unser Unabhängigkeitskrieg."

Welche symbolische Bedeutung hat Kiew für die ukrainische Regierung?

Die Ukrainer wissen um die symbolische Bedeutung Kiews: Würde die Regierung fliehen müssen oder gar in russische Gefangenschaft geraten, würde Putin Fakten schaffen. "Das hätte Symbolwirkung und Putin würde seinen Regime-Change umsetzen und eine Regierung der Kollaborateure einsetzen", heißt es aus diplomatischen Kreisen der Ukraine.

Deshalb war es für Präsident Selenskyj so wichtig, sich per Selfie-Video am Regierungssitz zu zeigen. Und deshalb bemühen sich auch Abgeordnete zu zeigen, dass die politische Arbeit weitergeht.

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Tatsächlich findet ein Großteil der Arbeit aber längst im Homeoffice statt – aus Sorge vor russischen Angriffen auf Regierungsgebäude.

Was heißt das alles für den weiteren Konflikt?

Russlandexperte Hans-Henning Schröder glaubt nicht an eine vollständige Besetzung der Ukraine durch Putins Truppen. "Die Ukraine und seine 44 Millionen Einwohner dauerhaft unter Kontrolle zu halten, würde das russische Regime überfordern."

Um ein Volk von 44 Millionen Menschen zu kontrollieren, erklärt Schröder, müsste Russland die Finanzierung einer neuen Regierung gewährleisten, der Verwaltung der Ukraine, die Finanzierung einer neuen Regierung, des Sozialsystems, des Wiederaufbaus der Wirtschaft – "und das in einer Situation, in der der Rubel gerade im Keller ist".

Die Umwandlung der Ukraine in einen "Vasallenstaat" würde Putin also so viel russisches Geld kosten, dass er mit sozialen Unruhen im eigenen Land rechnen müsste, glaubt Schröder. "Diese könnten am Ende so massiv sein, dass die Bevölkerung Putin stürzt. Auch bei den Eliten könnte sich das Bewusstsein einstellen, dass Putin auf dem falschen Weg ist." Putin selbst könnte also am Ende seine eigene Machtposition schwächen.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
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