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"Putins Koch": Oligarch Prigoschin dichtet Olaf Scholz NS-Vergangenheit an


Desinformation
"Putins Koch" erfindet Nazi-Großvater für den Bundeskanzler

  • Lars Wienand
Von Lars Wienand

14.04.2022Lesedauer: 3 Min.
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Jewgeni Prigoschin: Putins Koch rührt in der Gerüchteküche frei Erfundenes zusammen.Vergrößern des Bildes
Jewgeni Prigoschin: Putins Koch rührt in der Gerüchteküche frei Erfundenes zusammen. (Quelle: Screenshot, TASS/IMAGO Images, Montage: t-online)

Mitgliedern der Bundesregierung werden hochrangige Wehrmachtsfunktionäre als Großväter angedichtet. So rächt sich "Putins Koch" für eine kremlkritische Äußerung von Olaf Scholz.

Eine Kampagne aus Russland unterstellt Mitgliedern der Bundesregierung fälschlich, dass ihre Großväter bekannte NS-Größen gewesen seien: Bundeskanzler Olaf Scholz, Finanzminister Christian Lindner und Gesundheitsminister Karl Lauterbach sind Zielscheibe. Für die absurde Behauptung – sie stammt von einem Mann aus Putins direktem Umfeld – haben die Betroffenen nur sehr knappe, sehr deutliche Worte übrig.

"Völliger Unsinn" und "Totaler Blödsinn"

Was da zu Scholz behauptet wird, kommentiert ein Regierungssprecher schlicht so: "Das ist völliger Unsinn." In Russland verbreitet sich, der Großvater von Olaf Scholz sei Fritz von Scholz, ein österreichischer Generalleutnant der Waffen-SS. Diesen gibt es tatsächlich, aber er starb 1944 bei einem russischen Panzergangriff – kinderlos. Von Scholz' echten Großeltern ist bekannt, dass sie Eisenbahnbeamte waren.

Über Lindner heißt es, sein Ahn sei Generalmajor Gerhard Lindner, bei Kriegsende Kommandeur der 346. Infanterie-Division in den Niederlanden. "Totaler Blödsinn", kommentiert Lindners Sprecher.

Noch absurder wird es bei Gesundheitsminister Karl Lauterbach: Da stört an der Behauptung nicht mal, dass der vermeintliche Großvater, Stabsführer und stellvertretender Reichsjugendführer der Hitler-Jugend, Hartmann LauterbachER heißt und nicht Lauterbach.

Hinter dem Narrativ steckt ein Mann, der eng mit Putin verbunden ist und an einer Schlüsselstelle für russische Desinformation sitzt: Jewegeni Prigoschin, auch bekannt als "Putins Koch", weil er seit einem Essen für Putin und den französischen Präsidenten Jacques Chirac 2001 milliardenschwere Catering-Aufträge vom russischen Staat bekommen hat.

Behauptung kommt vom Troll-Meister

Er gilt auch als Mitgründer der Söldner-Gruppe Wagner und steckt nach Ansicht amerikanischer und deutscher Geheimdienste hinter der "Internet Research Agency". Dazu gehört die berüchtigte Trollfabrik in Sankt Petersburg, die über Tausende von fingierten Social-Media-Accounts Propaganda verstärkt. Dem Herr der Trolle gehört aber auch ein Konglomerat an Medien, die er in den Dienst von Putins Politik stellt.

Und von dort, von "investigativen Journalisten" seiner "Patriot Media Group", will er aus Archiven die (falschen) Informationen erhalten haben. So zumindest erklärt er es auf Anfrage von t-online. Am 6. März hatte er das Posting in einem längeren Beitrag auf der Seite seiner Concorde-Group im russischen VK-Netzwerk veröffentlicht.

Löschung hat keinen Effekt

Später löschte er Teile daraus und liefert dafür eine kuriose Erklärung: Politisch bewanderte Freunden hätten ihm geraten, er solle nicht alle Deutschen beleidigen. Erreicht hatte er aber bereits, dass seine Behauptungen aufgegriffen wurden. Die Nazi-Geschichte hat sich längst verselbständigt. Die Botschaft ist dabei meist, dass Scholz mit seiner Politik der Tradition seines angeblichen SS-Großvaters folgt.

Prigoschin kommt offenbar nicht darüber hinweg, dass Scholz die zentrale Rechtfertigung Putins für den Angriffskrieg gegen die Ukraine zerpflückt hatte. Scholz hatte auf der Münchner Sicherheitskonferenz gesagt, Putins Aussage von einem Genozid im Donbass sei "lächerlich".

Von 2014 bis 2021 sind dort zwar nach UN-Angaben gut 14.000 Menschen gestorben, darunter 3.404 Zivilisten. In den vergangenen drei Jahren wurden jedoch lediglich 25, 26 und 27 zivile Opfer gezählt. So viele Zivilisten sterben jetzt vielleicht bei einem einzigen Raketenangriff der russischen "Befreier".

"Sollten an die Kette gelegt werden"

Rigoschin wütete aber: Scholz vergesse wohl die deutsche Vergangenheit. "Ohne die Russen wäre der Völkermord des Zweiten Weltkriegs wieder passiert", schrieb er kurz vor dem Beginn von Russlands Angriffskrieg: "Wenn einige europäische Politiker versuchen, die Rolle Hitlers zu spielen, dann sollten sie an eine Kette gelegt werden."

Danach kam er offenbar auf die Idee, das Motiv noch auszuschmücken: Das russische Märchen der hochrangigen NS-Großväter entstand.

Während das zunächst nur in Russland verbreitet wurde und dort etwa in der Boulevardzeitung "Express Gazeta" erschien, die eine Auflage von über 1 Million hat, ist es inzwischen auch in Deutschland angekommen.

Deutsche im Donbass macht mit

Die seit einigen Monaten überwiegend in Donezk lebende Deutsche Alina Lipp hat es in ihrem Telegram-Kanal gepostet, der Beitrag ist rund 240.000 Mal gesehen worden. In Russland verbreite sich der Beitrag gerade viral, schrieb sie und zitiert: "Die Aufgabe der Entnazifizierung erweist sich als viel umfassender als gedacht. Wenn der Nazismus in den Genen steckt. Die deutsche Führungsspitze besteht aus direkten Nachkommen der Kumpane des Führers."

Lipp fällt seit Wochen damit auf, völlig unkritisch russische Narrative und auch Fakes zu verbreiten. So hatte sie das Video einer Frau populär gemacht, die vom tödlichen Übergriff auf einen russischen Flüchtlingshelfer durch Ukrainer berichtete. Auch das war frei erfunden.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
  • Telegram
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