Er fordert radikale Reformen Verbandschef warnt vor "süßem Gift aus Russland"

Für den Präsidenten des Chemieverbands, Markus Steilemann, gibt es kein Zurück zu russischem Gas. An die Bundesregierung richtet er klare Erwartungen.
Der Präsident des Chemieverbands fordert von der neuen Bundesregierung rasche und mutige Reformen: "Wir brauchen radikale Reformen in der Energiepolitik, bei den Unternehmenssteuern und beim Thema Bürokratie", sagte Markus Steilemann, Präsident des Verbands der Chemischen Industrie (VCI), im Interview mit der "Süddeutschen Zeitung". "Ein Tanz auf Eierschalen oder Trippelschritte helfen nicht."
Zudem sei Tempo wichtig, sagte Steilemann, der Chef des Leverkusener Kunststoffherstellers Covestro ist: "Die neue Regierung muss in den ersten hundert Tagen Reformen raushauen, als gäbe es kein Morgen."
Unter anderem verlangte der Manager, die Energiewende billiger zu gestalten: Die Ampel-Regierung habe noch "dem ideologiegetriebenen Mantra" angehangen, "möglichst schnell möglichst viele Wind- und Solaranlagen zu bauen, selbst wenn die Kosten für das Stromnetz aus dem Ruder laufen", klagte er. Stattdessen müsse der Ausbau möglichst intelligent geschehen, "also entsprechend dem wirklichen Bedarf und nahe den Industriezentren, wo der Strom benötigt wird".
Industrie kann Aufwärtstrend vermelden
Steilemann warnte in dem Interview auch davor, wieder russisches Gas zu importieren, sollte in der Ukraine einmal Frieden herrschen: "Preiswertes Gas aus Russland war ein süßes Gift", sagte er. "Wir haben ja erlebt, wie die russische Regierung unsere Abhängigkeit gegen uns eingesetzt hat. Daraus muss man Lehren ziehen."
Steilemanns Firma, das einstige Dax-Mitglied Covestro, wird gerade von einer Tochtergesellschaft des Öl- und Gaskonzerns Adnoc aus den Vereinigten Arabischen Emiraten übernommen. Der Manager sagte der SZ, der Kauf werde Covestro schnelleres Wachstum ermöglichen: "Unser Geschäft ist sehr zyklisch, die Umsätze schwanken. Da überlegen Sie als Manager eines börsennotierten Unternehmens fünfmal, ob Sie die Zwei-Milliarden-Investition für eine neue Anlage freigeben", sagte Steilemann. Der neue Eigentümer denke langfristiger als der Kapitalmarkt: "Das macht solche Investitionen einfacher – und auch Übernahmen. Die sind ebenfalls Teil unserer Wachstumsstrategie."
Insgesamt hat die deutsche Chemie- und Pharmaindustrie ihre lange Flaute hinter sich gelassen. Im ersten Quartal legte der Umsatz um 4,4 Prozent gegenüber dem Vorquartal zu auf 54,8 Milliarden Euro, teilte der VCI in Frankfurt mit. Damit habe die Branche mit rund 480.000 Beschäftigten hierzulande den Einbruch der vorherigen Monate wieder wettgemacht.
"Sollte der Zollkonflikt nicht weiter eskalieren und die Bundesregierung wie angekündigt ein Wachstumspaket auf den Weg bringen, könnten sich die Perspektiven für unsere Branche bereits in diesem Jahr aufhellen", sagte VCI-Präsident Steilemann. Der VCI begründete die Erholung mit einer Belebung in fast allen Sparten, sowohl im In- wie im Ausland. Die Bewertung der aktuellen Geschäftslage habe sich verbessert.
Allerdings hätten sich die Geschäftserwartungen eingetrübt: So schmälere die Zollpolitik der USA die Exportchancen der Chemie und ihrer Kunden. Zudem könnten chinesische Waren verstärkt nach Europa umgeleitet werden und den Druck erhöhen. Pharmaunternehmen fürchten hohe Zölle auf dem wichtigen US-Markt.
- Vorabmeldung der "Süddeutschen Zeitung"
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa