Jetzt geht es um das "Herz des Krieges"
Die Schlacht um die Hafenstadt Mariupol gilt als richtungsweisend fΓΌr Russlands Krieg in der Ukraine. Kiew und seine Soldaten des Asow-Regiments geben die Metropole noch nicht verloren. Aber Russlands Drohungen sind eindeutig.
Nach rund 50 Tagen Belagerung durch russische Truppen gilt Mariupol als das "Herz des Krieges" in der Ukraine. Wenn Mariupol fΓ€llt, dann fΓ€llt die Ukraine, warnen seit Wochen die ukrainischen KΓ€mpfer, die sich nun in dem Stahlwerk Asowstal verschanzt haben β fΓΌr die wohl letzte und entscheidende Schlacht. Rund 2.500 KΓ€mpfer haben sich in dem fΓΌr die Region symboltrΓ€chtigen Betrieb zurΓΌckgezogen, darunter 400 SΓΆldner, wie das russische Verteidigungsministerium mitteilt. Nach ukrainischen Medienberichten sollen dort aber auch 1.000 Zivilisten, darunter viele Kinder, Zuflucht gesucht haben.
Ein russisches Ultimatum, die Waffen niederzulegen und sich zu ergeben, haben die ukrainischen KΓ€mpfer verstreichen lassen. Sie rΓ€umen am Montag ein, die russischen Soldaten seien deutlich in der Γberzahl. Trotzdem werde um die Stadt weiter gekΓ€mpft. In Moskau droht der Sprecher des Verteidigungsministeriums, Igor Konaschenkow, derweil damit, dass jeder vernichtet werde, der Gegenwehr leiste.
Ukrainischer Geheimdienst nutzt Putin-Vertrauten
Schon seit Wochen haben die ukrainischen Soldaten auf Hilfe aus Kiew gesetzt. Der ukrainische PrΓ€sident Wolodymyr Selenskyj versichert zwar immer wieder, alles dafΓΌr zu tun, um einen Fall von Mariupol zu verhindern. Aber die KΓ€mpfer fordern mehr Einsatz. Selenskyj fordert daher vom Westen schleunigst schwere Waffen. Und er droht Russland, sollten die Menschen in dem eingekesselten Werk sterben, dann bedeute das auch das Ende der Verhandlungen fΓΌr eine Beendigung des Krieges.
Der ukrainische Geheimdienst SBU lΓ€sst nun sogar den inhaftierten russlandfreundlichen Abgeordneten Viktor Medwedtschuk per Video um das Leben der Menschen in dem Werk bitten. Medwedtschuk, der beste Kontakte in den Kreml in Moskau hat, appelliert an den russischen PrΓ€sidenten Wladimir Putin und an Selenskyj, sie mΓΆgen ihn eintauschen gegen die KΓ€mpfer bei Asovstal. Und auch die ukrainische Vize-Regierungschefin Iryna Wereschtschuk bittet eindringlich, Russland mΓΆge fΓΌr Frauen und Kinder sowie andere Zivilisten in dem Werk einen humanitΓ€ren Korridor einrichten, um deren Leben zu retten.
Russland kΓΆnnte wichtige Bahnstrecken kontrollieren
Schon jetzt beklagen die BehΓΆrden Zehntausende Tote in der weitgehend zerstΓΆrten GroΓstadt. Mariupol ist der letzte Punkt an der KΓΌste des Asowschen Meeres, der noch nicht komplett von den russischen KrΓ€ften kontrolliert wird. Sollten die von Russland anerkannten Separatisten-Republiken Luhansk und Donzek formal eigenstΓ€ndig bleiben, dann hΓ€tten sie mit Mariupol den Zugang zu den Weltmeeren. Sie kΓΆnnten ΓΌber den gut ausgebauten grΓΆΓten Hafen am Asowschen Meer ihre Produktion unabhΓ€ngig von russischen Landrouten auf dem kostengΓΌnstigen Wasserweg selbst exportieren.
Viel diskutiert wird auch der Landweg von Mariupol zu der seit 2014 von Russland annektierten Halbinsel Krim. Die StraΓenverbindungen dΓΌrften jedoch wegen ihres schlechten Zustands fΓΌr Russland kaum von Interesse sein. Als wichtig auch im militΓ€rischen Sinne gelten vielmehr die weiter nΓΆrdlich verlaufenden Eisenbahnverbindungen ΓΌber das kΓΌrzlich von den russischen Truppen eroberte Wolnowacha in Richtung des bereits seit Ende Februar von Russland kontrollierten Melitopol und von dort zur Krim.
GroΓe symbolische Bedeutung fΓΌr Asow-Regiment
Vor dem Krieg stellte die nach der Separatistenhochburg Donezk zweitgrΓΆΓte Stadt des Gebietes einen groΓen Teil des ukrainischen Exports. "Die Werke von Mariupol tragen zu mehr als einem Drittel der Stahlproduktion der Ukraine bei", sagte der Generaldirektor des Konzerns Metinvest, Jurij Ryschenkow, Ende MΓ€rz. Allein durch die ZerstΓΆrungen dΓΌrfte der Verlust dieses Devisenbringers sich negativ auf den Kurs der LandeswΓ€hrung Hrywnja und damit auf das allgemeine Wohlstandsniveau der Ukraine nach dem Krieg auswirken.
Mariupol hat aber vor allem auch fΓΌr das von Neonazis und Nationalisten gegrΓΌndete Nationalgarde-Regiment "Asow" eine groΓe symbolische Bedeutung. Dem GrΓΌndungsmythos der Einheit nach befreite die Anfang Mai 2014 von Freiwilligen gegrΓΌndete Einheit knapp einen Monat spΓ€ter die damals von Separatisten kontrollierte Hafenstadt.
Mittlerweile aber hat "Asow" bereits seine Basis bei der benachbarten Hafenstadt Berdjansk verloren. Sollte Mariupol nun auch noch fallen, wΓ€re das die Niederlage des Kerns der von den russischen Truppen mit besonderer HΓ€rte bekΓ€mpften Einheit. Russland dΓΌrfte das als einen groΓen Teilsieg in seinem Angriffskrieg gegen die Ukraine feiern.
- Nachrichtenagentur dpa