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Parlamentswahl in Frankreich: Emmanuel Macron sitzt in der Falle – oder?


Frankreichs Präsident Macron
"Totale Lähmung"

  • David Schafbuch
Von David Schafbuch

20.06.2022Lesedauer: 4 Min.
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Emmanuel Macron: Der französische Präsident musste bei den Parlamentswahlen eine Niederlage einstecken.Vergrößern des Bildes
Emmanuel Macron: Der französische Präsident musste bei den Parlamentswahlen eine Niederlage einstecken. (Quelle: Ludovic Marin/Reuters-bilder)

Trotz Wiederwahl steht Emmanuel Macron vor einer schwierigen zweiten Amtszeit. Ohne absolute Mehrheit im Parlament zu regieren, könnte nahezu unmöglich werden – oder Frankreichs Präsidenten beflügeln.

Olivia Grégoires Wortwahl fiel defensiv aus: "Wir werden mit all jenen zusammenarbeiten, die das Land voranbringen wollen. Die Hand ist ausgestreckt", sagte die französische Regierungssprecherin am Sonntag. Ihre Vorgesetzte, Premierministerin Élisabeth Borne, sprach von einer "neuartigen Situation", betonte aber kämpferisch, dass man alles habe, "was wir brauchen, um erfolgreich zu sein." Dabei wusste Borne vermutlich, dass auch ihr eigener Posten gerade alles andere als gesichert ist.

Der Grund für diese "neuartige Situation" in Frankreich liegt in den für Borne und ihren Präsidenten Emmanuel Macron äußert schlechten Ergebnissen der Parlamentswahl. Hatte Macron noch im April an der Urne gegen die Rechtsextreme Marine Le Pen triumphiert, musste er am Wochenende eine Niederlage einstecken: Mit 245 Sitzen verfehlte sein Bündnis Ensemble! deutlich die absolute Mehrheit von 289 Sitzen in der Nationalversammlung.

"Franzosen wollen seine Politik nicht"

Traditionell ist es üblich, dass die Partei des Präsidenten im Parlament mit einer solchen Mehrheit bestätigt wird. Stattdessen haben nun die Ränder triumphiert: Das linke Bündnis Nupes, ein Zusammenschluss der Partei des Linkspopulisten Jean-Luc Mélenchon mit Sozialisten, Grünen und Kommunisten, konnte 131 Mandate einfahren. Gleichzeitig konnte Le Pens Partei Rassemblement Nationale mit 89 Sitzen ihre Zahl an Mandaten mehr als verzehnfachen.

"Macron ist geschlagen, er ist in die Minderheit versetzt worden. Die Franzosen wollen seine Politik nicht", sagte der Vorsitzende der RN, Jordan Bardella, der Zeitung "Le Monde". Der Präsident muss sich jetzt bei der Gesetzgebung seine Mehrheit von Fall zu Fall im Parlament suchen – mit zwei starken Fraktionen, die sich bewusst als Gegenentwurf zu seiner Politik präsentierten. Kann das funktionieren?

"Die Unzufriedenheit in Frankreich mit Macron ist weiter sehr groß", meint Ronja Kempin von der Stiftung Wissenschaft und Politik zum Ergebnis der Wahl. Das Land fächere sich politisch mittlerweile in drei Teile auf: Eine extreme Rechte um Le Pen, eine politische Mitte und eine Linke, die ebenfalls von extremen Kräften dominiert werde.

Kompromisse sind zwischen den Gruppierungen nahezu unmöglich. "Opposition heißt für Le Pen Fundamentalopposition", ist sich Kempin im Gespräch mit t-online sicher. Gleiches gelte für die Linke um Mélenchon. Grundsätzlich sind Schnittmengen bei Macron und den Sozialisten oder Grünen denkbar. Allerdings ist durch die Wahl Mélenchon endgültig der starke Mann im linken Lager – und der ist eben nicht an einer Zusammenarbeit mit Macron interessiert.

Republikaner wollen nicht kooperieren

Dem Präsidenten bleibt allerdings noch die Option, Kompromisse mit den konservativen Republikanern zu schmieden. Die Partei könnte mit 61 Sitzen Macron eine Mehrheit liefern. Am Wahlsonntag erteilte jedoch Parteichef Christian Jacob dem noch eine Absage: "Wir sind in der Opposition und wir werden in der Opposition zu Emmanuel Macron bleiben."

Ronja Kempin glaubt allerdings nicht, dass die Partei diese Haltung lange durchhalten wird. Die Expertin sieht zwischen dem Macron-Bündnis und den Konservativen die größten Gemeinsamkeiten. Allerdings wolle Jacob sich nicht unter Wert verkaufen. "Die Republikaner werden Königsmacher sein. Dementsprechend wollen sie den Preis möglichst hochtreiben."

Einige Tage vor der Wahl hatte der Republikaner noch angekündigt, man wolle "eine nützliche Opposition für das Land sein." Zudem befindet sich Macron im Senat bereits in einer ähnlichen Situation: In der Kammer, vergleichbar mit dem deutschen Bundesrat, ist der Präsident schon länger ohne Mehrheit und sucht dort häufig nach Lösungen mit den Konservativen.

Außenpolitik bleibt auf Kurs

Auf zwei Feldern dürfte sich Macron allerdings trotz der schwierigen Konstellation nicht beirren lassen: In der Außen- und Sicherheitspolitik besitzt der französische Präsident deutlich größere Kompetenzen als etwa der deutsche Bundeskanzler. Seinen Kurs im Ukraine-Krieg dürfte der Präsident also größtenteils beibehalten.

Kempin glaubt lediglich, dass er seine Politik stärker erklären müsste, denn sowohl Le Pen als auch Mélenchon hatten sich vor allem vor Kriegsbeginn russlandfreundlich gezeigt. Auch Macrons Vorhaben zur Reform und Weiterentwicklung der EU seien durch die schwachen Ergebnisse nicht beeinträchtigt: "Was Europa angeht, ist Macron Überzeugungstäter. Deshalb werden ihn die Parlamentswahlen nicht beirren."

Trotzdem kommt auf den Präsidenten jetzt eine Menge Arbeit zu: Sein Kabinett wird Macron zwangsläufig umbauen müssen. Der Präsident hatte nämlich im Vorfeld der Wahl angekündigt, dass niemand der Regierung angehören könne, der seinen Sitz in der Nationalversammlung verliert. Betroffen sind davon neben anderen Umweltministerin Amélie de Montchalin und Gesundheitsministerin Brigitte Bourguignon.

Premierministerin Borne, von Macron erst im Mai ernannt, hatte zwar ihren Sitz verteidigt, gilt aber trotzdem als Wackelkandidatin. Auch andere Macron-Vertraute wie Ex-Innenminister Christophe Castaner und der Präsident der Nationalversammlung, Richard Ferrand, verpassten den Wiedereinzug.

"Totale Lähmung"

Im Umfeld des Präsidenten ist man aufgrund der Wahlschlappe offenbar alles andere als optimistisch. Ein Berater der Exekutive sprach gegenüber "Le Monde" von einer "totalen Lähmung" und einem "nutzlosen und unregierbaren Parlament". Macron bleibe nichts anderes übrig, als das Parlament aufzulösen. Laut Verfassung ist er dazu allein befugt.

Kempin nennt das allerdings ein "Spiel mit dem Feuer". Das habe sich schon in der Vergangenheit gezeigt: 1997 hatte der konservative Präsident Jacques Chirac trotz einer Mehrheit für eine Neuwahl gesorgt, was in einem Fiasko endete. Denn Chiracs Konservative bauten ihren Vorsprung nicht aus, sondern verloren ihre Mehrheit an die Sozialisten.

Nicht wenige Beobachter glauben indes, dass die schwierige Konstellation am Ende für Frankreich auch Vorteile bringen könnte. Gerade Macron, der als wenig kritikfähig und kompromissbereit gilt, sei gezwungen, andere Gedanken zuzulassen und auf Konkurrenten zuzugehen.

"Macron regiert von oben herab aus Paris", findet auch Ronja Kempin. Dass er nun zwangsläufig nicht mehr so weitermachen könne, werde möglicherweise auch alte Denkmuster des Präsidenten aufbrechen: "Jetzt Kompromisse zu schließen, kann für die französische Demokratie nur von Vorteil sein."

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Interview mit Ronja Kempin am 20.6.2022
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