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Wladimir Putin auf Reisen: Was er da ausheckt, kann uns nicht gefallen


Kremldespot auf Reisen
Was Putin da ausheckt, kann uns nicht gefallen

MeinungVon Wladimir Kaminer

Aktualisiert am 12.07.2022Lesedauer: 4 Min.
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Wladimir Putin bei einem Gipfel von Anrainerstaaten des kaspischen Meers in Kasachstan (Archivbild).Vergrößern des Bildes
Wladimir Putin bei einem Gipfel von Anrainerstaaten des Kaspischen Meers in Kasachstan (Archivbild). (Quelle: Alexei Nikolsky/Russian Presidential Press/TASS/imago-images-bilder)

Aus dem Westen will niemand so recht mit Wladimir Putin reden, das sehen andere aber ganz anders – besonders seine Diktatorenfreunde rund ums Kaspische Meer.

Die westlichen Ökonomen sind verzweifelt, die Sanktionen gegen Russland funktionieren nicht. Kaum werden die russischen Ölverkäufe kupiert, treiben undemokratisch geführte Länder die Preise in die Höhe – und gierige Ölmagnaten reiben sich die Hände. So kann Russland für ein Zehntel seines Öls heute reichlich mehr bekommen als vor dem Krieg.

Putin ist sogar so dreist und hat neulich zum ersten Mal seit Beginn des Krieges das Land verlassen. Er flog nach Turkmenistan, um eine neue Achse der Schurken zu schmieden und wurde dort fürstlich vom Gastgeber, einem Mann mit dem sperrigen Namen Serdar Berdimuhamedow, empfangen.

(Quelle: Frank May)


Wladimir Kaminer ist Schriftsteller und Kolumnist. Er wurde 1967 in Moskau geboren und lebt seit mehr als 30 Jahren in Deutschland. Zu seinen bekanntesten Büchern gehört "Russendisko". Im Sommer 2021 erschien sein neuestes Buch "Die Wellenreiter. Geschichten aus dem neuen Deutschland".

Der Gastfreundschaft eines Tyrannen gegenüber einem anderen Tyrannen sind keine Grenzen gesetzt. Putin durfte sogar mit einem schwarzen Auto zum Treffpunkt der Vertreter des Gipfeltreffens der Anrainerstaaten des Kaspischen Meeres vorfahren, obwohl schwarze Autos in Turkmenistan noch vom Vorgängertyrannen strengstens verboten worden waren: Nur ein einziger Mann dürfe ein schwarzes Auto besitzen: der Chef selbst.

Nun sind es eben zwei "Chefs" in schwarzen Autos geworden, der Rest kam mit weißen Autos und zusammen saßen alle an einem Tisch, dessen Größe jede Vorstellungskraft übertraf. Das Treffen fand in der Presse der westlichen Welt aber wenig Beachtung. Der Farmer aus Iowa und der Rentner aus Brandenburg wissen nicht wirklich, wie weit Turkmenistan von Tadschikistan entfernt liegt.

Immer weiter Richtung gnadenlose Diktatur

Sie können sich auch den Namen des turkmenischen Führers einfach nicht merken. Zugegeben, 14 Buchstaben sind einfach recht viel. Die Namen der deutschen Kanzler haben in der Regel zwischen vier und sechs Buchstaben, ein Berdimuhamedow wäre nahezu eine Zumutung. Dabei setzte dieses Treffen ein wichtiges Zeichen: Russland driftet immer weiter in Richtung harte Diktatur.

Je länger der Krieg dauert, desto lauter schimpfen die Propagandisten, und der Druck auf die Zivilgesellschaft wächst. Beziehungsweise, was davon noch übrig ist. Ein Dutzend Theaterhäuser in Russland haben ihre künstlerische Leitung verloren, in den Hochschulen finden ideologisch motivierte Säuberungen statt, selbst die loyalen Beamten, Banker, Professoren, namhafte Wissenschaftler und Regierungsberater werden angeklagt, isoliert und landen hinter Gittern.

Der gesellschaftliche Umbau von der Autokratie zur Diktatur wird beschleunigt. Es wäre naiv zu glauben, Putin allein rolle diesen Repressalienteppich aus; die Kräfte, die er rief, brauchen längst keinen Antreiber mehr. In einem harten Konkurrenzkampf geht es darum, noch rücksichtsloser als der Chef zu sein, den neuen Eisernen Vorhang noch schneller und höher zu bauen.

Sollte Putin jemals die Zügel der Macht loslassen, wird sein Nachfolger ein schlimmerer sein. Oder noch einmal exakt der gleiche, wie in Turkmenistan. Serdar Berdimuhamedow ist heute am Drücker, davor war es sein Vater Gurbanguly. Der wiederum löste einen gewissen Saparmyrat Nyýazow ab, der sich selbst Turkmenbaschi, Führer der Turkmenen, nannte. Na ja.

Ballettverbot für Turkmenistan

Dieser alte Diktator verabschiedete jede Menge unsinnige und diskriminierende Gesetze, verbot zum Beispiel alle Ballettvorstellungen mit der Begründung, "das Ballett liegt Turkmenen nicht im Blut". Er verbot das Tragen von goldenen Zahnkronen für Grundschullehrer, die Benutzung von Kosmetik bei Fernsehmoderatoren und öffentliches Karaokesingen.

Er verewigte seine Person in Hunderten von Denkmälern, benannte willkürlich alle Wochentage und etliche Monate um, er taufte sie mit menschlichen Namen zu Ehren seiner Mutter, seiner Frau und seiner Lieblingsdichter. Die Turkmenen sind ein sehr geduldiges und lässiges Volk, sie leben wie die Anonymen Alkoholiker nach dem Gelassenheitsprinzip: Gott gib mir die Kraft, die Dinge zu ignorieren, die ich nicht ändern kann.

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Es war ihnen vollkommen wurscht, wie der Mittwoch mit Nachnamen heißt, aber sie freuten sich trotzdem, als der neue "Chef" Mittwoch zurück in Mittwoch unbenannt hatte. Wie tolerant manche Völker ihren Diktatoren gegenüber sind, ist nicht zu fassen. Ich mag mir gar nicht vorstellen, was in Deutschland die Umbenennung eines Mittwochs in den Scholztag, um die Eltern des amtierenden Bundeskanzlers zu ehren, auslösen würde.

Eine Revolution! Gleich am ersten Scholztag würden sich die Barrikaden von Kreuzberg bis nach Aachen türmen. An anderen Orten behandeln die Völker ihre Herrscher mit mehr Nachsicht. Die unkritischen Turkmenen haben ihrem Diktator lange Zeit alles verziehen, sie beugten sich ihm, obwohl sie schon gerne Karaoke sangen und goldene Zahnkronen trugen.

Verhängnisvolles Haarefärben?

Nur eins haben sie ihm übel genommen: dass er sich die Haare färbte und das den anderen verbat. Irgendwas haben sie daraufhin wohl seinem Haarfärbemittel beigemischt, auf einmal war er tot. Was hatten die Anrainer des Kaspischen Meeres aber nun beschlossen? Eine wirtschaftliche Blockade der westlichen Welt? Wir werden es schon noch hören.

Wenn man hierzulande die Nachrichten liest, stehen wir sowieso am Rande der Apokalypse. Der deutsche Wirtschaftsminister duscht nur noch drei Minuten statt wie früher fünf, die Klimaanlage im Bundestag muss zwei Grad runtergedreht werden. Alles nur wegen Putin. Mit Erstaunen stellen die Bürger aber zudem fest: Wir waren die ganze Zeit nicht nur von russischem Gas, sondern auch von den ukrainischen Produkten abhängig.

Nicht nur Kabelbäume und Sonnenblumenöl, Weizen und Mais, alles andere kam auch aus der Ukraine. Neulich sagte der Berliner Späti-Verkäufer zu mir, er habe Lieferschwierigkeiten für kleine Cola-Dosen, sie würden nämlich in der Ukraine produziert. Die Bestattungsindustrie ist ins Stocken geraten, die Stoffe für Särge seien ebenfalls eine ukrainische Ware gewesen, wer hätte das gedacht?

Bautzener Senf, Tabak, Fischstäbchen, Lkw-Fahrer und Leihmütter, buchstäblich alles kam aus der Ukraine, sogar die Babys. Deutsche Intellektuelle haben bereits einen zweiten Brief an den Bundeskanzler verfasst, wir sollten uns sofort ergeben und nicht warten, bis uns jemand angreift. Nur dann hätten wir eine Chance bei den Jungs vom Kaspischen Meer. Und um Gottes willen keine Waffen mehr liefern, zumal auch die Waffen angeblich in der Ukraine produziert wurden.

Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten geben die Meinung der Autoren wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der t-online-Redaktion.

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