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Russen spekulieren: Vize-Ministerin nach Frankreich geflohen?


Flucht nach Frankreich?
Russen rätseln über gefeuerte Vize-Verteidigungsministerin


Aktualisiert am 02.07.2024Lesedauer: 4 Min.
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Tatjana Schewzowa: Sie stand lange an der Seite von Verteidigungsminister Sergej Schoigu.Vergrößern des Bildes
Tatjana Schewzowa: Sie stand lange an der Seite von Verteidigungsminister Sergei Schoigu. (Quelle: Sergei Bobylev/imago-images-bilder)

Russlands Präsident Putin hat im Verteidigungsministerium aufgeräumt, Minister und Vizeminister ausgewechselt. Über die angebliche Flucht einer entlassenen Vizeministerin gibt es nun wilde Gerüchte.

Es wäre eine Meldung, die Russland erschüttern könnte – aber sie findet sich bisher nur auf wenigen Nachrichtenseiten und nicht auf offiziellen Kanälen: In Russland wird heftig darüber spekuliert, ob sich die entlassene Vizeverteidigungsministerin Tatjana Schewzowa nach Frankreich abgesetzt hat. Würde eine Generalin aus dem Innersten von Putins Militärapparat tatsächlich in Nato-Gebiet flüchten, wäre das politischer Sprengstoff. In Russland befeuert die Meldung in jedem Fall die Diskussion um Korruption.

Was zuerst nur durch Gerüchte und ein wenig bekanntes Portal an die Öffentlichkeit gelangte, hat jetzt Fahrt aufgenommen durch einen Bericht einer der reichweitenstärksten Nachrichtenseiten. Die nationalistische Seite "ZargradTV" des orthodoxen Oligarchen Konstantin Malofejew hat das Thema aufgegriffen, das andere große Portale und die russischen Nachrichtenagenturen bisher ignorieren.

Der "ZargradTV"-Bericht bezieht sich auf ein vor wenigen Jahren gegründetes Portal, "Yuridicheskaya Gazeta" ("Juristische Zeitung"), das sich viel mit innenpolitischen Themen befasst und in den vergangenen Wochen das Verteidigungsministerium zum Dauerthema hatte. In der "Juristischen Zeitung" war am 26. Juni zu lesen, was "im Internet offiziell unbestätigte Information" sei: Die Ex-Vizeministerin Schewzowa habe ihre Koffer gepackt und sei nach Frankreich geflogen.

Schewzowa wurde am 17. Juni entlassen

Schewzowa hatte nur wenige Tage vorher ihren Job verloren und ist seitdem von der Bildfläche verschwunden. Am 17. Juni hatte Präsident Wladimir Putin sie und drei weitere Vizeminister des Verteidigungsministeriums per Dekret entlassen. Es war der nächste Schritt beim großen Aufräumen im Militär: Ende April war Schewzowas Amtskollege Timur Iwanow festgenommen worden, bis dahin zuständig für militärische Bauprojekte. Er sitzt wegen Bestechlichkeit in Haft, und ihm folgten weitere hohe Militärs und Ministeriumsmitarbeiter. Verteidigungsminister Sergei Schoigu wurde von Wladimir Putin am 12. Mai abgesetzt.

Schewzowa ist die Frau, die im Ministerium bereits seit 2010 für Budget und Geldflüsse verantwortlich war. Sie hatte einen ersten Korruptionsskandal schon unter Schoigus Vorgänger, Anatoli Eduardowitsch Serdjukow, überstanden. Putin hatte ihn 2012 im Zuge von Betrugsvorwürfen um Immobilienverkäufe des Ministeriums entlassen.

Wenn Korruptions- und Betrugsvorwürfe gegen hohe Politiker in Russland laut werden, ist das oft auch ein Ausdruck davon, dass sie in Ungnade gefallen sind. Die Berichte über den neuen Skandal rückten Schewzowa zunehmend in den Mittelpunkt. Es sei kaum glaubwürdig, dass sie von weiteren Ermittlungen verschont geblieben wäre, hieß es. Ersetzt wurde sie in ihrem Amt durch die Tochter eines Cousins von Putin.

Bericht führt genüsslich Wohlstand vor

Die "Juristische Zeitung" schrieb diverse Fortsetzungstexte um Schewzowa und darüber, welche Kreise die Korruption im Ministerium zieht. Das Portal hat eine Gästeliste, wer alles zur luxuriösen Feier zum 50. Geburtstag von Schewzowa eingeladen und anwesend war und vermutet darunter Helfer bei der Flucht. Aus einer früheren Steuererklärung erfahren Leser, dass das Ehepaar neben zwei Immobilien in Sankt Petersburg in Moskau eine Residenz in bester Lage am Ufer der Moskwa für umgerechnet 20 Millionen Euro besitzt. Man fährt Mercedes, ein Mercedes GLK-Geländewagen und Vito-Transporter sollen dem Paar gehören. "Yuridicheskaya Gazeta" will auch erfahren haben, dass die Kinder westlich betreut worden seien von Erzieherinnen, die aus Großbritannien eingeflogen wurden.

Dem Portal bescheren die Berichte große Klickerfolge. Hunderttausende Russen haben sie gelesen. Schewzowa habe ein Vermögen in Kryptowährungen angehäuft, sie habe Helfer gehabt, schreibt das Portal. Das sei weiter nicht bestätigt, "aber dem hartnäckigen Schweigen der offiziellen Medien nach zu urteilen, ist es so". Die Logik: Weil die anderen Medien das Thema verschweigen, sei das eine Bestätigung. Es berichtete auch sonst kein Medium in Russland, nur diverse Militärblogger stiegen empört ein.

Das hat sich inzwischen durch "ZargradTV" geändert. Die Seite gehört zu den fünf reichweitenstärksten Seiten in der Kategorie Nachrichten in Russland. Sie schreibt von den Fluchtgerüchten und kolportiert, wie der neue Verteidigungsminister Andrej Beloussow die Entwicklung aufgenommen habe: "Beloussow ist äußerst empört."

Nationalistisches Portal schert aus russischen Medien aus

Wieso die Seite ausschert und anders als die anderen russischen Nachrichtenseiten das Thema aufgreift, ist unklar. Das Medium ist nicht boulevardesk, sondern in seiner Ausrichtung vor allem politisch getrieben und verfolgt dabei auch oft eine eigene Agenda. Das Portal hat gute Zugänge zu Hardlinern in der Regierung, aber offenbar auch keine definitive Klarheit über die angebliche Flucht nach Frankreich erhalten: "Offizielle Quellen bestätigen dies weder noch dementieren sie", heißt es in dem Bericht.

Der Oligarch Konstantin Malofejew, dem "ZargradTV" gehört, war ein Treiber für den Krieg in der Ukraine. Er ist eng verbunden mit der orthodoxen Kirche und unterstützt auch fundamentalistische christliche Bewegungen im Westen. Sein Chefredakteur ist der faschistische Ideologe Alexander Dugin. "ZargradTV" tritt sehr nationalistisch und antiwestlich auf. Die Redaktion will zumindest erfahren haben, dass Schewzowa in ihrer Funktion gar nicht an militärische Staatsgeheimnisse gelangt sei und diese nicht mitgenommen haben könne.

Das russische Verteidigungsministerium hat auf eine Anfrage von t-online vom Montagmorgen bisher nicht geantwortet. Ein Nato-Sprecher wollte die Meldung nicht kommentieren, verwies dafür auf französische Stellen. Von dort liegt t-online noch keine Reaktion vor.

Vor allem das Schweigen im Westen lässt bei den russischen Militärbloggern Zweifel wachsen – der Tenor: Wenn die Ex-Vizeministerin sich jetzt auf Nato-Gebiet aufhalte, dann hätte man es zumindest vom Westen als Propagandameldung erfahren.

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