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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Konflikt droht zu eskalieren Nächster Krieg? Experte rechnet mit Militärschlag

Der Konflikt zwischen Pakistan und Indien droht zu eskalieren. Islamabad rechnet mit einem zeitnahen Militärschlag – doch wie wahrscheinlich ist das?
Inhaltsverzeichnis
Seit fast einer Woche gibt es Feuergefechte zwischen pakistanischen und indischen Truppen in der umstrittenen Region Kaschmir. Bislang beschießen sich die Truppen lediglich mit Kleinwaffen, also Pistolen, Gewehren und Maschinenpistolen. Doch eine Eskalation könnte unmittelbar bevorstehen. Am Mittwoch erklärte Pakistans Regierung in Islamabad, sie rechne mit einem indischen Militärschlag "innerhalb der nächsten 24 bis 36 Stunden".
Grund für die Eskalation ist ein Terroranschlag am vergangenen Dienstag im indischen Teil Kaschmirs. Mutmaßliche islamistische Terroristen töteten 26 Menschen in der Stadt Pahalgam. Mehr zum Anschlag lesen Sie hier.
Neben den regionalen Auswirkungen, die ein Krieg zwischen Indien und Pakistan mit sich bringen würde, kommt hinzu, dass beide Staaten Atommächte sind. Zwar erklärte der pakistanische Verteidigungsminister Khawaja Muhammad Asif der Nachrichtenagentur Reuters am Dienstag, Pakistan werde seine Nuklearwaffen nur dann einsetzen, wenn sein Überleben gefährdet sei – doch die Sorge vor einem nuklearen Konflikt bleibt. t-online beantwortet die wichtigsten Fragen zum möglichen Krieg zwischen Indien und Pakistan.
Wie realistisch ist ein Krieg zwischen Indien und Pakistan?
Die Wahrscheinlichkeit eines Militärschlags gegen Pakistan schätzt der Indien-Experte Christian Wagner, Leiter der Forschungsgruppe Asien bei der Stiftung Sicherheit und Politik (SWP), als hoch ein. "Die indische Regierung hat dem Militär die Freigabe für eine militärische Reaktion erteilt", sagt Wagner im Gespräch mit t-online. Die pakistanische Einschätzung, Indien werde innerhalb der kommenden 36 Stunden angreifen, kann Wagner nicht bewerten: "Ob ein Militärschlag früher oder später kommt, wird man sehen."
Eine militärische Reaktion auf den Terroranschlag in Kaschmir wird es laut Wagner allerdings mit Sicherheit geben. "Der indische Premierminister Modi steht unter Druck und muss militärisch auf den Terror reagieren." Weitere Hintergründe zum Konflikt um Kaschmir lesen Sie hier.
Derzeit gibt es vor allem nachts Schusswechsel mit Kleinwaffen an der sogenannten Kontrolllinie, von denen beide Konfliktparteien berichten.
Was ist die Kontrolllinie?
Dabei handelt es sich um eine militärische Kontrolllinie, die Kaschmir in zwei Teile spaltet. "Es ist die frühere Waffenstillstandslinie aus dem ersten Kaschmirkrieg, die seit 1972 als Kontrolllinie bezeichnet wird", erklärt Wagner.
Beide Parteien hätten einen Namen gesucht, um zu unterstreichen, dass es sich bei der Line of Control eben nicht um eine offizielle Staatsgrenze handelt – denn damit würden ja auch politische Ansprüche einhergehen, die sowohl Indien als auch Pakistan ablehnen.
"Indien beansprucht ganz Jammu und Kaschmir, auch den pakistanischen Teil", erklärt Wagner weiter. "Würde es eine 'echte Grenze' anerkennen, wäre das für Indien gleichbedeutend mit einer Aufgabe der territorialen Ansprüche."
Gibt es einen großen Krieg oder einen regional begrenzten Konflikt?
Christian Wagner geht davon aus, dass sich kriegerische Handlungen zwischen Indien und Pakistan auf Kaschmir beschränken würden und sich nicht auf die gesamte Grenze zwischen beiden Ländern ausweiten. "Abzuwarten bleibt allerdings, ob sich die Eskalation nur auf den pakistanischen Teil Kaschmirs konzentriert oder ob Indien auch die Infrastruktur von Terrorgruppen in Pakistan angreift", sagt der Experte. "Das wäre sicherlich eine deutlich größere Eskalation."
Unklar sei auch, in welcher Form ein indischer Militärschlag gegen Pakistan erfolgen könnte. "Es könnte einen Angriff mit Kommandoeinheiten geben, einen Luftschlag oder – was derzeit in der indischen Presse diskutiert wird – einen Angriff mit Drohnen", erklärt Wagner.
Auf einen solchen Erstschlag würde nach Einschätzung des Leiters der Forschungsgruppe Asien bei der SWP eine pakistanische Antwort folgen. Anschließend stünden beide Parteien in der Pflicht, den Konflikt nicht weiter eskalieren zu lassen. "An einer großflächigen regionalen Auseinandersetzung haben beide Seiten kein Interesse", so Wagner.
Warum wollen beide Seiten keinen großen, regionalen Krieg?
Die Gründe dafür sind vielfältig. "Indien sieht seine größte sicherheitspolitische Herausforderung in China, nicht in Pakistan", erklärt Christian Wagner. An der gemeinsamen Grenze der beiden Länder seien viele Truppen stationiert, die Indien nicht in einem möglichen größeren Konflikt mit Pakistan einsetzen könnte.
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In Pakistan gebe es kein Interesse an einer größeren Eskalation, weil die wirtschaftliche Lage im Land schlecht ist. Wie Daten der Weltbank zeigen, war Pakistan im Jahr 1973 das südasiatische Land mit dem höchsten Pro-Kopf-Einkommen – mittlerweile liegt Pakistan in der Region auf dem letzten Platz.
Christian Wagner erklärt, dass außerdem Sicherheitsprobleme an der Westgrenze zu Afghanistan die sicherheitspolitische Aufmerksamkeit der pakistanischen Regierung auf sich ziehen: "Dort gibt es immer wieder tödliche Gefechte mit einheimischen pakistanischstämmigen Talibangruppen, die von Afghanistan aus nach Pakistan eindringen wollen, um dort Anschläge zu verüben", so Wagner.
Warum gibt es dennoch einen Konflikt?
"Der Terroranschlag in Pahalgam hat das ganze Narrativ des Modi-Regimes untergraben", erklärt Christian Wagner. In den vergangenen Jahren habe die indische Regierung immer wieder behauptet, die Sicherheitslage in Kaschmir habe sich verbessert. "Solche Anschläge zeigen, dass die Region nicht so befriedet ist, wie die Regierung behauptet." Deshalb müsse Modi mit militärischer Härte reagieren.
Währenddessen kehrten die Machthaber in Pakistan zur konfrontativen Rhetorik des 20. Jahrhunderts zurück, sagt Wagner. Vor wenigen Wochen erklärte Asim Munir, der pakistanische Armeechef, in einer Rede, dass Pakistan bereits drei Kriege über Kaschmir geführt habe und auch noch zehn weitere führen werde.
Die Armee in Pakistan sei mächtig, erklärt Wagner. "Sie hat ein Primat gegenüber der Politik, zunehmend Einfluss gewonnen und de facto einen unbegrenzten Zugriff auf staatliche Ressourcen." Ein möglicher Konflikt mit Indien könne die pakistanische Bevölkerung hinter dem eigentlich unbeliebten Militär vereinen und die Reihen schließen, führt der Experte weiter aus.
Kann eine große Eskalation noch verhindert werden?
Bei vergangenen Krisen hätten die USA immer zwischen Indien und Pakistan vermittelt, sagt Christian Wagner. Derzeit scheine die US-Regierung wieder Kontakt mit beiden Seiten zu haben. "Präsident Trump hat allerdings erklärt, beide Seiten müssten den Konflikt unter sich ausmachen", führt der Experte weiter aus. "Das halte ich in der derzeitigen Lage für schwierig."
Allerdings hätten sich auch Länder wie Saudi-Arabien oder der Iran als Vermittler in Stellung gebracht, so Wagner. "Hinter den Kulissen wird es schon viele Aktivitäten und Gespräche geben, um eine weitere Eskalation zu verhindern."
Der Experte scheint trotzdem pessimistisch. "Ich gehe aber davon aus, dass es erst mal zu einem Militärschlag kommen wird, der sich meines Erachtens nicht mehr verhindern lässt." Anschließend werde Pakistan mit einem Gegenschlag reagieren. "Aber danach müssen beide Parteien eskalationsvermeidende Schritte einsetzen, damit eben aus dieser begrenzten Militäraktion kein größerer Krieg wird."
- Gespräch mit Dr. Christian Wagner
- deutschlandfunk.de: "Ein Anschlag befeuert den Kaschmir-Konflikt"
- reuters.com: "Exclusive: Pakistan defence minister says military incursion by India is imminent" (Englisch)
- spiegel.de: "Modi gibt Armee Freibrief für Einsatz in Kaschmir"