Intransparenz und Chaos Schwere Vorwürfe gegen Hilfsorganisation in Gaza

Bei der Verteilung von Hilfsgütern im Gazastreifen brach Chaos aus, zwei Personen kamen ums Leben und Dutzende wurden verletzt. Die Hilfsorganisation vor Ort steht aber nicht nur deswegen in der Kritik.
Die humanitäre Lage im Gazastreifen ist prekär, viele Menschen hungern. Die private, von den USA unterstützte Hilfsorganisation Gaza Humanitarian Foundation (GHF) soll nun Abhilfe schaffen und Hilfsgüter für die Bevölkerung liefern.
Bei der ersten Verteilaktion im Süden des Palästinensergebiets kam es am Dienstag allerdings zu chaotischen Szenen. Tausende offenbar hungrige Palästinenser stürmten das Gelände in Rafah. Nach Angaben der UN kamen zwei Personen ums Leben und mehr als 40 Menschen wurden verletzt, die meisten durch Schüsse israelischer Soldaten. Die Stiftung dementiert dies. Es seien keine Schüsse auf palästinensische Menschenmengen in dem Zentrum abgegeben worden und es habe keine Todesopfer gegeben. Die israelische Armee hatte mitgeteilt, Soldaten hätten außerhalb des Zentrums Warnschüsse abgegeben.
Trotzdem soll die Organisation weitermachen. Dabei ist sie auch über die Geschehnisse dieser Woche hinaus umstritten. Was bisher bekannt ist:
Warum übernimmt eine private Organisation die Verteilung von Hilsgütern?
Israel will verhindern, dass die Hamas Zugriff auf die Hilfsgüter erlangt. Die israelische Regierung wirft der Terrororganisation vor, internationale Hilfslieferungen für die notleidenden Menschen im Gazastreifen zu kapern und zu horrenden Preisen auf dem Schwarzmarkt zu verkaufen. Die Hamas weist die Vorwürfe zurück.
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Israel wiederum wirft UN-Organisationen wie dem jahrzehntelang im Gazastreifen tätigen Palästinenserhilfswerk UNRWA schon lange vor, von der Hamas unterwandert zu sein, und will deshalb keine Hilfen für die Bevölkerung im Gazastreifen darüber abwickeln.
Nach eigenen Angaben nahm die GHF am Montag ihre Arbeit im von der Hamas kontrollierten Gazastreifen auf. Ihr zufolge wurden bislang 8.000 Lebensmittelpakete verteilt, was 462.000 Mahlzeiten entspreche.
Wer steckt hinter der GHF?
Das ist gar nicht so leicht zu beantworten. Wie die "New York Times" berichtet, wurde die GHF von Israelis ins Leben gerufen, die Verbindungen zur Regierung in Jerusalem haben. Grund für die Gründung war der zunehmende internationale Druck auf Israel wegen seiner bisherigen Blockade von Hilfslieferungen in den Gazastreifen. Im Februar wurde die Stiftung in Genf registriert, unterhält aber soweit bekannt bislang kein Büro in der Stadt.
Das US-Außenministerium hatte die Gründung der privaten Stiftung Anfang Mai verkündet. Die USA sind bisher das einzige Land, das die GHF unterstützt.
Doch noch bevor die Arbeit in Gaza aufgenommen wurde, gab es die erste Kontroverse. Da nicht transparent gemacht wurde, wer die Geldgeber der Stiftung sind, trat der US-amerikanische Geschäftsführer der Stiftung, Jake Wood, zurück. "Es ist klar, dass der Hilfsplan nicht umgesetzt werden kann, während die Prinzipien der Menschlichkeit, Neutralität, Unparteilichkeit und Unabhängigkeit gewahrt bleiben – Prinzipien, bei denen ich keine Kompromisse eingehen möchte", erklärte Wood in seinem Rücktrittsschreiben. Wood ist ein ehemaliger Leiter humanitärer Operationen und Angehöriger der US-Marines, schreibt die "Jüdische Allgemeine".
Julie Billaut, Professorin und Expertin für humanitäre Hilfe am Genfer Graduate Institute für Internationale Studien, sagt der "Tagesschau" dazu: "Angeblich soll die Bank Goldman Sachs für die Finanztransaktionen zuständig sein." Und weiter: "Es ist wirklich eine Art Büchse der Pandora. Je weiter man nachforscht, desto mehr stellt sich die Frage, was an dieser Organisation humanitär sein soll."
Ebenfalls verwirrend: Es gibt laut der "Jüdischen Allgemeinen" mindestens zwei weitere Organisationen, die den Namen Gaza Humanitarian Foundation tragen – einmal in den USA und einmal in der Schweiz.
Welche Kritik gibt es?
Die UN und internationale Hilfsorganisationen kritisieren die GHF wegen der Umgehung der UN. Die UN schließen eine Zusammenarbeit derzeit aus. Der neuen Stiftung wird zudem vorgeworfen, einseitig die israelischen Ziele im Gazastreifen zu unterstützen. Die Ausrichtung der Stiftung stimme deshalb nicht mit ihren Grundprinzipien der Unparteilichkeit, Neutralität und Unabhängigkeit überein.
Israel wird international vorgeworfen, Hunger als Waffe einzusetzen und durch das Zurückhalten von Hilfsgütern wie Lebensmitteln und Medikamenten die Menschen zum Verlassen bestimmter Gebiete im Gazastreifen zwingen zu wollen.
Eine Gruppe von NGOs, darunter ActionAid, warnte ihrerseits vor Hilfe als "humanitärem Deckmantel für eine militärische Strategie der Kontrolle und Enteignung".
Auch die Arbeitsweise der GHF steht in der Kritik. Diese sieht vor, die Hilfslieferungen über sogenannte sichere Verteilzentren zu den Menschen zu bringen. Nach Ansicht von Menschenrechtsorganisationen zwingt diese Taktik die Bewohnerinnen und Bewohner des Gazastreifens dazu, in die Nähe dieser Zentren zu ziehen, um überleben zu können.
Die Schweizer Organisation Trial International forderte vergangene Woche die Schweizer Behörden zu Ermittlungen gegen die GHF auf. Dabei solle festgestellt werden, ob ihre Arbeitsweise im Einklang mit dem nationalen und internationalen humanitären Recht stehe.
- juedische-allgemeine.de: Kontroverse um neue Stiftung für Gaza-Hilfe
- tagesschau.de: Was steckt hinter der Stiftung?
- Mit Material der Nachrichtenagentur AFP