"Wir bereiten uns vor" Löst der Krieg im Nahen Osten eine neue Massenflucht aus?

Hunderte Menschen täglich sollen zurzeit aus dem Iran flüchten. Ob es zu größeren Fluchtbewegungen kommt, ist nach Angaben des UNHCR aber ungewiss.
Das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR stellt sich angesichts des Krieges zwischen Israel und Iran auf größere Fluchtbewegungen aus dem Iran ein. Das bestätigte der Sprecher von UNHCR Deutschland, Chris Melzer, t-online.
"Grundsätzlich haben wir immer Pläne für größere Flüchtlingsbewegungen, die wir dann im Notfall ausspielen können", so Melzer. "Wir hören Berichte, denen zufolge Menschen aus dem Iran in den Nachbarländern Armenien, Aserbaidschan und Turkmenistan ankommen. Wir können diese Berichte nicht bestätigen, bereiten uns aber auf einen Einsatz vor", so Melzer. Die Regierungen der genannten Ländern hätten sich bislang aber nicht an das UNHCR gewandt.
Krieg im Nahen Osten: t-online berichtet aus Armenien
t-online-Reporter Tobias Schibilla hält sich derzeit in Armenien auf und sprach im Grenzgebiet zum Iran mit Menschen, die aus dem Land geflüchtet sind. Er berichtet von der Angst der Menschen, aber auch von ihrer Wut auf das Regime in Teheran. UNHCR-Chef Filippo Grandi vermutet, dass es sich bei ihnen vor allem um Menschen aus den größeren Städten im Iran handelt. "Sie verfügen über einige Mittel und können der Bedrohung durch Bomben schnell entkommen", sagte Grandi der Deutschen Presse-Agentur.
UNHCR-Sprecher Melzer hob hervor, dass der Iran selbst derzeit das Land mit den meisten ausländischen Flüchtlingen ist. Etwa 3,5 Millionen Menschen hat das Land aufgenommen, die meisten von ihnen stammten aus dem benachbarten Afghanistan, so Melzer. Das Land wird seit 2021 wieder von den radikalislamischen Taliban beherrscht. Wegen der Krisen und Kriege in Afghanistan, Syrien und Irak sei das UNHCR in der Region aber schon stark vertreten und könne dort schnelle reagieren, so Melzer.
Flüchten die Menschen nach Europa?
"Wir sind wohl die einzige Hilfsorganisation, die innerhalb von 72 Stunden überall auf der Erde ausreichend Güter hinschaffen kann, um 10.000 Menschen zu versorgen", sagt Melzer. Um das zu leisten, unterhält die UN-Organisation weltweit fünf große Lager mit Zelten, Wasserkanistern und Feldbetten, erklärt Melzer. "Das größte davon befindet sich in Katars Hauptstadt Doha, also ganz in der Nähe des aktuellen Geschehens."
Melzer schließt nicht aus, dass es infolge der israelischen Angriffe zu größeren Fluchtbewegungen kommt, hält es aber für "sehr schwer vorauszusagen". Bislang spreche auch nichts dafür, dass sich größere Gruppen von Flüchtlingen aus der Region in Richtung Europa aufmachten. "Wir wissen außerdem aus früheren Krisensituationen, dass die meisten Flüchtlinge in der Nähe ihrer Heimat bleiben. Die Menschen wollen ja nicht flüchten, sondern müssen", so Melzer. "Die meisten bleiben sogar in den Grenzregionen der Länder, in die sie geflüchtet sind, damit sie so schnell wie möglich zurück können."
- Telefonat mit UNHCR-Sprecher Chris Melzer am 20. Juni
- Material der Nachrichtenagentur dpa