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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Konflikt zwischen Kirche und Politik Premierminister Armeniens will Kirchenchef seinen Penis zeigen

In Armenien schwelt ein Konflikt zwischen der orthodoxen Landeskirche und der politischen Elite. Der Streit hat mitunter skurrile Auswüchse.
Im Jahr 301 nach Christus ließ sich der armenische König Trdat III. taufen und machte das Land im Kaukasus damit zum ersten christlichen Land der Welt. Bis heute spielt die armenisch-orthodoxe Kirche eine wichtige Rolle in der Kaukasusrepublik: Mehr als 90 Prozent der Armenier gehören ihr an. Immer wieder versuchen Kirchenobere, Einfluss auf die Politik im Land zu nehmen.
Das bekommt auch der aktuelle armenische Premierminister Nikol Paschinjan zu spüren. Er möchte die Gesellschaft reformieren und als Teil der Neuausrichtung auch einen Friedensvertrag mit dem Nachbarland Aserbaidschan unterzeichnen – seit dem Ende der Sowjetunion führten die beiden Länder drei Kriege gegeneinander. Die nationalistisch geprägte Kirche steht diesem Plan skeptisch gegenüber und greift Paschinjan für dessen Friedenspläne immer wieder persönlich an.
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Paschinjan will Kirchenoberhaupt Penis zeigen
So auch am Montag, als der Sprecher des Katholikos, also des Oberhaupts der armenischen Kirche, Sareh Aschurjan, einen Facebook-Post absetzte, in dem er Paschinjan mit dem Jesus-Verräter Judas verglich und ihm vorwarf, beschnitten und somit kein "echter Christ" zu sein.
Paschinjan schluckte den Köder – und reagierte mit einem skurrilen Gegenvorschlag, den er über sein eigenes Facebook-Profil absetzte. Er wandte sich direkt an den Katholikos und bot ihm und seinem Sprecher an, beide im privaten Rahmen in seinem Büro zu empfangen und "sie vom Gegenteil zu überzeugen". Er wolle sie seine Genitalien ausführlich begutachten lassen, damit sie sehen, dass Paschinjan nicht beschnitten sei.
Schwelender Konflikt zwischen Kirche und Staat
Der verbale Schlagabtausch ist ein weiterer Höhepunkt einer seit Wochen eskalierenden Auseinandersetzung zwischen der Regierung und der Kirche. Ende Mai hatte Paschinjan die Geistlichen öffentlich kritisiert und erklärt, viele Kirchen seien nur noch "Lagerhallen". Zudem warf er dem Kirchenoberhaupt vor, entgegen seiner Gelübde Vater eines Kindes zu sein. Dabei sprach er von einer "Gefahr für die spirituelle Sicherheit" des Landes – und von einer Bedrohung der "nationalen Sicherheit".
In der Folge verbreiteten regierungsnahe Medien das Foto und den angeblichen Namen der Tochter Karekin II. Zudem veröffentlichte das regierungsfreundliche Portal Civic.am am Dienstag ein siebenseitiges Dokument, das angeblich ein "Putschplan der Opposition" sein soll. Darin werden unter anderem die Kirche, mehrere armenische Geschäftsleute, Politiker und Vertreter der armenischen Gemeinschaft in Bergkarabach als mutmaßliche Unterstützer benannt.
Samwel Karapetjan, einer der im Dokument genannten Unternehmer, hatte sich in den sozialen Netzwerken wiederholt hinter die Kirche gestellt. Anfang Juni hatten ihn die armenischen Behörden wegen angeblicher Aufrufe zum Umsturz in Untersuchungshaft genommen. Am Dienstag wurde er aus dem Gefängnis in Armavir in eine Isolationszelle des Geheimdienstes überstellt.
- oc-media.org: "Armenian PM Pashinyan offers to show his penis to head of Church" (Englisch)
- eurasianet.org: "Church-state feud in Armenia takes a detour to crazy town" (Englisch)
- Facebook-Profil von Nikol Paschinjan