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Fünf Jahre nach Aufstand in Belarus: Land kann zum Risikofaktor werden


Fünf Jahre nach Aufstand in Belarus
Perspektivisch ein Risikofaktor

Gabriele Baumann

09.08.2025 - 11:04 UhrLesedauer: 5 Min.
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Alexander Lukaschenko: Der belarussische Machthaber ist seit mehr als 30 Jahren im Amt. (Quelle: Sergei Bobylev/dpa)
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Der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko hat sich vor fünf Jahren mit einer offensichtlich manipulierten Wahl an der Macht gehalten und viele Widersacher seitdem ins Gefängnis gebracht. Heute ist das Land weitgehend abhängig von Russland.

Am 9. August 2025 jährt sich zum fünften Mal der friedliche Aufstand der Belarussen gegen die schamlose Wahlfälschung durch Alexander Lukaschenko im Sommer 2020. Proteste wurden damals mit Russlands Unterstützung brutal niedergeschlagen, um Lukaschenko an der Macht zu halten. Im Januar 2025 hielt Lukaschenko eine weitere Scheinwahl ab, in der er sich mit 86,82 Prozent zum Präsidenten "wiederwählen" ließ, insgesamt ist er also bereits seit 31 Jahren an der Macht.

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Die Hoffnung der demokratischen Opposition auf ein Ende der seit 2020 andauernden Repressionen und auf einen Dialog mit dem Regime zur Versöhnung der Gesellschaft hat sich nicht erfüllt. Aber auch dem Wunsch Lukaschenkos nach präsidialer Legitimierung durch den Westen wurde in fünf Jahren nicht entsprochen. Seit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine 2022 wird Belarus im Westen als Ko-Aggressor betrachtet und bleibt international weitgehend isoliert.

(Quelle: Konrad-Adenauer-Stiftung)

Zur Person

Gabriele Baumann leitet das Auslandsbüro Belarus der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung mit Sitz in Vilnius. Zuvor war sie für die Stiftung unter anderem in Sankt Petersburg, Kiew und Stockholm tätig.

Die demokratische Opposition im Exil konnte in der Zwischenzeit funktionierende politische Strukturen in Vilnius und Warschau aufbauen. Das Übergangskabinett fungiert als Exilregierung, das Büro der 2020 gewählten Swetlana Tichanowskaja als Präsidialadministration. Der Koordinierungsrat übernimmt die Rolle eines Parlaments und vertritt die belarussische Gesellschaft inklusive politischer Parteien und Zivilgesellschaft.

All diese Institutionen treten weitgehend geschlossen auf und verfügen im Unterschied zum Gewaltherrscher in Minsk über Anerkennung im westlichen Ausland. In vielen Parlamenten der EU-Mitgliedsstaaten, auch im Bundestag, wurden überparteiliche Gruppen von Abgeordneten "für ein demokratisches Belarus" ins Leben gerufen. Im Europarat sind die demokratischen Kräfte von Belarus in der Parlamentarischen Versammlung vertreten. Ihr Ziel ist die Erreichung der europäischen Integration ihres Landes.

Bislang sind die Möglichkeiten der Opposition, Einfluss auf die politische Situation im Land zu nehmen, sehr begrenzt. Unabhängige Medien im Exil dagegen erreichen konstant einen bedeutenden Teil der Bevölkerung in Belarus. Daneben sind soziale Medien wie TikTok oder YouTube wirkungsvolle Instrumente, um Unmut über lokale Missstände auszudrücken. Noch sind beide Kanäle nicht abgeschaltet oder als "extremistisch" verboten worden.

Doch auch für ein "Like" unter einem vermeintlich harmlosen Post verhängt das Regime drakonische Haftstrafen. Repressionen gegen die Gesellschaft sind in den letzten fünf Jahren nie zum Stillstand gekommen, gehen im Gegenteil mit zunehmender Härte weiter.

Gesellschaft gespalten bis zerrissen

Die Tatsache, dass ein Vorgehen gegen Teilnehmer der Proteste von 2020 laut Strafgesetzbuch nach fünf Jahren verjähren würde, hat nach Auskunft der Menschenrechtsorganisation Viasna allein in Minsk zur Einleitung von Hunderten Ermittlungsverfahren geführt. Laufende Gefängnisstrafen werden mit der zusätzlichen Begründung "extremistischer Aktivität" oder auch "böswilligen Ungehorsams gegenüber der Gefängnisadministration" um viele Jahre verlängert und verschärft. Fünf Jahre nach Beginn der Proteste befinden sich noch immer über 1.200 politische Gefangene in den Strafanstalten des Landes, täglich kommen neue hinzu.

Lukaschenkos außenpolitische Isolation und der Sanktionsdruck führten zu einer beschleunigten Integration mit Russland im Rahmen des Unionsstaates. Infolgedessen ist die Souveränität von Belarus vor allem in der Wirtschaft und im Sicherheitsbereich praktisch verschwunden. Die Gesellschaft ist nach 2020 politisch gespalten und geografisch nach dem großen Exodus 2020 und 2021 zerrissen.

Mehr Distanz zu Russland

Beide politischen Seiten von Belarus, die demokratische Opposition im Exil und das diktatorische Regime in Minsk, hatten bislang kaum Schnittmengen für einen Dialog. Die außenpolitischen Erfolge der demokratischen Kräfte beeindruckten das Regime in Minsk kaum, auch wenn dem Übergangskabinett von Tichanowskaja vor Kurzem große "Anteilnahme" zuteilwurde, indem ihm das Label "terroristische Vereinigung" angehängt wurde.

Dieser eingefahrene Status quo scheint jetzt in Bewegung gekommen zu sein. Die Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage von Lukaschenkos Hauptverbündeten Russland, dessen potenzielle weitere Eskalation im Krieg gegen die Ukraine und die US-amerikanischen Neuansätze sind hier ausschlaggebend.

Lukaschenko versucht, die westliche Ausrichtung der Außenpolitik zu aktivieren, um etwas mehr Distanz zu Russland zu schaffen. Gerade dieses Interesse am Erhalt eines souveränen Belarus, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen, bildet daher nun die minimale Schnittmenge, welche die Hoffnung auf einen Dialog nicht schwinden lässt.

Tichanowskis Freilassung ein "Vorschuss"?

Auch die Frage des Machttransits vom alternden Lukaschenko hin zu Personen aus seinem Umfeld könnte die Dialogbereitschaft des Regimes unter Einbeziehung alternativer Kräfte aus der Gesellschaft steigern. Ansonsten verbliebe dem Machthaber nur, weiter mit dem Kreml zu verhandeln, dem gegenüber er in einer schwächeren Position ist. Noch nie hat Lukaschenko allerdings in 31 Jahren an der Macht mit der Opposition direkt verhandelt.

Die Freilassung einiger politischer Gefangener wie die von Sergej Tichanowski, welche im Rahmen des Besuchs von Trumps Sondergesandten für die Ukraine, Keith Kellogg, in Minsk erwirkt wurde, ist eher als Vorschuss von Lukaschenko zu verstehen. Lukaschenko erinnerte noch im Rahmen eines Diplomatentreffens am 31. Juli 2025 daran, dass er nun Schritte wie Sanktionserleichterungen von der US-Seite für seine bisherigen "Vorschüsse" erwartet. Auch die Opposition sieht in Trumps Initiativen eine Möglichkeit, die festgefahrene politische Krise in Belarus anzugehen.

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Das Regime eskaliert zumindest rhetorisch

Bewegung in den zaghaften Austausch zwischen dem Regime und den demokratischen Kräften von Belarus kommt in einer Phase, in der sich eine militärische Eskalation andeutet: Im September findet in Belarus die Übung "Sapad 2025" statt. Auch an der Grenze zur Ukraine eskaliert das Regime zumindest rhetorisch: Eine neue Spezialeinheit soll gebildet und in der Region Gomel nahe der Grenze zur Ukraine stationiert werden. Lukaschenko und Putin bekräftigten bei ihrem jüngsten Treffen Anfang August ihre Absicht, russische atomar bestückte Oreschnik-Raketen bis zum Ende des Jahres in Belarus stationieren zu wollen. Perspektivisch ist Belarus klar ein Risikofaktor.

Lukaschenko hat kein Interesse daran, mit eigenen Streitkräften in den Krieg hineingezogen zu werden, zumal die Bevölkerung in Belarus mit über 80 Prozent deutlich die direkte Teilnahme am Krieg ablehnt. Diese Sichtweise wollen die demokratischen Kräfte durch ihre Dialogangebote stärken.

Eine ausführliche Strategie zur Aufnahme des Dialogs soll am 9. August 2025 in Warschau auf der Jahreskonferenz der demokratischen Kräfte diskutiert werden. Nach diesem Wochenende sollte ein Dialogangebot an das Regime seitens der demokratischen Kräfte im Raum stehen. Ob dies mehr Bewegung in die Situation in Belarus bringt oder die Situation genauso festgefahren bleibt wie in den vergangenen fünf Jahren, bleibt abzuwarten.

Die im Gastbeitrag geäußerten Ansichten geben die Meinungen der Autoren wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der t-online-Redaktion.

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