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Waffenexport-Stopp: Benjamin Netanjahu hat selbst Deutschland verprellt


Deutschland stoppt Rüstungsexporte
Man kann nicht drastischer scheitern

  • Philipp Michaelis
MeinungEin Kommentar von Philipp Michaelis

Aktualisiert am 09.08.2025 - 09:23 UhrLesedauer: 5 Min.
Israels Ministerpräsident Netanjahu im Weißen HausVergrößern des Bildes
Hat Israel in die Isolation geführt: Ministerpräsident Benjamin Netanjahu. (Quelle: -/Pool via AP/dpa/dpa-bilder)
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Die Bundesregierung hat den Export von Waffen nach Israel gestoppt, die in Gaza eingesetzt werden können. Dieser nie da gewesene Schritt muss das Ende der Ära Benjamin Netanjahus einleiten.

In der offiziellen Erklärung von Bundeskanzler Friedrich Merz zum Rüstungsimport-Stopp steckt Historisches: "Unter diesen Umständen genehmigt die Bundesregierung bis auf Weiteres keine Ausfuhren von Rüstungsgütern, die im Gazastreifen zum Einsatz kommen können." Man möchte den Satz vor Schreck ein zweites Mal lesen. Doch es ist wahr: Zum ersten Mal überhaupt versagt Deutschland einer israelischen Regierung die Unterstützung.

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Nirgends auf der Welt herrscht mit Recht so viel Verständnis für den Existenzkampf Israels als in Deutschland. Nirgends ist die Zurückhaltung größer, seiner Staats- und Militärführung die Wahl ihrer Mittel im Kampf gegen blutgierige Terroristen vorzuwerfen. Keine Nation schmerzt es mehr, sich auch nur ein winziges Stück von einer israelischen Regierung zu distanzieren. Dass es jetzt doch passiert, dass Deutschland seine militärische Unterstützung zurückziehen muss, widerspricht auf den ersten Blick zutiefst seiner Staatsräson: Israels Sicherheit jederzeit garantieren zu wollen.

Der zweite Blick aber macht klar: Ministerpräsident Benjamin Netanjahus Wüten hat die Bundesregierung davon überzeugt, dass der Moment erreicht ist, an dem ein Unterschied zwischen "Israel" und "der israelischen Regierung" gemacht werden muss. Deutschland hat sich von Netanjahu abgewandt, nicht von Israel. Das ist der springende Punkt. Netanjahu ist dafür verantwortlich.

Man könnte einwenden: Aus deutscher Sicht kommt diese Differenzierung zwar Jahre zu spät. Aus Netanjahus Sicht aber ist sie eine Katastrophe, denn: Andere Staaten werden womöglich folgern: Wenn selbst Deutschland Netanjahus Weg nicht mehr mitgeht, dann können und müssen wir das auch nicht mehr. Netanjahu hat diese Entwicklung selbst verursacht. Deshalb muss sie das Ende seiner politischen Karriere einleiten.

Nichtmal mehr Deutschland auf der Seite

Inmitten der arabischen Hemisphäre, in Schussweite von Regimen wie dem Iran oder Fanatikern wie der Hamas, der Hisbollah und der Huthis im Jemen, die ihm nach Vernichtung trachten, muss Israel auf verlässliche Partner bauen können. Wenn aber selbst Deutschland, dessen Selbstverständnis sich über Generationen hinweg durch die Verantwortung für die Fürchterlichkeit der Shoa definierte, nicht mehr anders kann als sich tatsächlich gegen Netanjahu und sein rabiates Kabinett zu stellen, dann ist er nicht mehr tragbar.

Natürlich war Netanjahu nach dem namenlos brutalen Angriff der Hamas im Oktober 2023 zum Handeln gezwungen. Nicht zuletzt deshalb, weil Militärführung und Geheimdienste unter seiner Verantwortung dieses Blutbad nicht vorausgesehen und verhindert hatten. Dieses Versagen brachte ihn unter Zugzwang, und Netanjahu reagierte mit größtmöglicher Härte. Auch, um sein politisches Überleben zu sichern, überzog er dabei völlig. So wurde Gaza zu dem, was es heute ist: Eine Hölle.

Die "Umstände" hat Netanjahu selbst herbeigeführt

So führte er selbst "diese Umstände" herbei, von denen in der Erklärung der Bundesregierung die Rede ist. Sie meinen das rücksichtslose Vorgehen der israelischen Regierung nicht nur gegen Hamas-Terroristen, sondern gegen alle Menschen im Gazastreifen.

Der neue zerstörerische Feldzug, den Netanjahu dieser Tage anschiebt, ist explizit als Grund für den Stopp der Rüstungsexporte genannt. Er beabsichtigt, den gesamten Gazastreifen einzunehmen, sein Sicherheitskabinett hat bereits zugestimmt. Es gibt offenbar kein wirksames Korrektiv mehr für seine Vorstöße. Dass sein Armeechef auf die Folgen für die im Gazastreifen noch festgehaltenen israelischen Geiseln hinwies, wischte er vom Tisch. Die unabsehbaren Konsequenzen für die palästinensische Zivilbevölkerung ohnehin. Folge: Nicht einmal Deutschland möchte sich mehr auf die Seite derer stellen, die für noch mehr Leid im Gazastreifen verantwortlich sein wollen.

Benjamin Netanjahu hat Deutschland von seiner Seite vertrieben, gegen dessen Willen und wider dessen DNA. Die historische Verantwortung des deutschen Volkes gegenüber Israel, die über Jahrzehnte zurecht schwerer wog als Israels schon lange bedenklich harte Gangart gegen alle Palästinenser, hat durch seinen Starrsinn ein moralisches Gegengewicht bekommen, das Berlin nicht länger ignorieren kann.

Netanjahu wird als der israelische Regierungschef in die Geschichte eingehen, der die Unterstützung der Bundesregierung für israelische Politik temporär unmöglich gemacht hat. In seiner Funktion kann man politisch nicht drastischer scheitern. Nur unter einer besonneneren Führung kann sich Deutschland wieder fest an Israels Seite stellen. Es wäre das Beste für beide Seiten.

Die Bilder aus Gaza sind unerträglich geworden. Hungrige Menschen, die herabfallenden Paletten hinterherhetzen, um unter Einsatz ihres Lebens ein bisschen Mehl für ihre Familien zu erkämpfen. Apokalyptische Aufnahmen flächendeckender Zerstörung, zuletzt aus den Ladeklappen der Flugzeuge festgehalten, die die Paletten abgeworfen hatten. Bilder vom tausendfachen Tod und Leid, vom Hunger und vom Elend der palästinensischen Menschen. Netanjahu hat diese Szenen in Kauf genommen. Ihre Wirkung auf die Weltöffentlichkeit (und auf Deutschland) ist seine Verantwortung.

Weil Netanjahu mit dem Beschluss einer weiteren verheerenden Bodenoffensive zu weit gegangen ist. Dass er über Jahre hinweg widerrechtlich Siedlungen in Palästinensergebieten errichten ließ, fand kaum ein Wort der Kritik aus Deutschland. Zivile Kollateralschäden bei Militäraktionen gegen die Hamas? Aus Berlin kam Verständnis. Luftschläge und Bodenoffensiven nach dem grauenhaften Angriff der Hamas im Oktober 2023? Es gab keinen Zweifel, auf wen Israel sich verlassen konnte.

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Netanjahu hat die deutsche Solidarität als Freibrief missverstanden, ohne Rücksicht auf Verluste im Gazastreifen vorzugehen. Frankreich, Großbritannien, Portugal und Kanada haben ihm zuletzt die Unterstützung entzogen, als sie ankündigten, die palästinensischen Autonomiegebiete als Staat anerkennen zu wollen. Netanjahu blieb unnachgiebig. Als sowohl Israel als auch der Iran im Juni die vereinbarte Waffenruhe zwischen beiden Erzfeinden brachen, entlud US-Präsident Donald Trump eine schimpfwort-strotzende Tirade auf beide: Netanjahu blieb unbeeindruckt.

Eine neue Terroristengeneration wächst heran

Mit seinen neuerlichen Angriffsplänen auf Gaza hat er nun aber selbst Deutschland gegen sich aufgebracht. Um seine bröckelnde Koalition mit rechten Kräften zu stützen, also um des eigenen Machterhalts willen, und aus Angst vor einem drohenden Korruptionsverfahren, vor dem ihn sein Amt noch schützt, eskaliert er seine Gangart gegenüber den Palästinensern immer weiter. Sein Land ist von Feinden umgeben und von Freunden weitgehend isoliert, sieht man von der unberechenbaren US-Regierung ab, die an einem Engagement im Nahen Osten aber wenig Interesse hat.

Der israelische Ministerpräsident ist so zu einer Gefahr für Israel geworden. Zudem wächst im Gazastreifen eine neue Generation potenzieller Hamas-Terroristen heran, auf dem fruchtbaren Nährboden aus Wut, Verzweiflung und Demütigung, den Netanjahu stetig beackert. Diese Tatsachen auszusprechen ist nicht gleichzusetzen mit Antisemitismus, selbst wenn viele Antisemiten es tun, auch auf deutschen Straßen.

Sich gegen einen solchen Regierungschef zu wenden, verstößt nicht gegen die deutsche Staatsräson, für das Existenzrecht Israels einzutreten. Im Gegenteil. Es ist eine logische Konsequenz daraus.

Verwendete Quellen
  • Eigene Überlegungen.
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