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Was Yildirims Yücel-Aussagen wert sind


Zufall, Taktik oder Ablenkung?
Was Yildirims Yücel-Aussagen wert sind

Eine Analyse von Stefan Rook

Aktualisiert am 15.02.2018Lesedauer: 4 Min.
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Der Ministerpräsident der Türkei, Binali Yildirim: Er "hofft" auf Bewegung im Fall Deniz Yücel.Vergrößern des Bildes
Der Ministerpräsident der Türkei, Binali Yildirim: Er "hofft" auf Bewegung im Fall Deniz Yücel. (Quelle: dpa)

Der türkische Ministerpräsident Binali Yildirim erklärt, er "hofft" auf eine Freilassung von Deniz Yücel. Aber: Gibt es wirklich Hoffnung für Yücel?

Exakt ein Jahr nach der Festnahme von Deniz Yücel sorgt der türkische Ministerpräsident Binali Yildirim mit Bemerkungen über den inhaftierten "Welt"-Korrespondenten für Aufsehen. "Ich hoffe, dass er in kurzer Zeit freigelassen wird. Ich bin der Meinung, dass es in kurzer Zeit eine Entwicklung geben wird", erklärte er in einem Interview zum Auftakt seines Deutschlandbesuchs. Schon war von "Bewegung im Fall Yücel" oder "Hoffnung für Yücel" zu lesen. Doch was steckt hinter den Aussagen von Yildirim, welche Rolle spielt Erdogan in der Angelegenheit und was könnte die Freilassung Yücels für das deutsch-türkische Verhältnis bedeuten?

Erdogan zu Yücel-Auslieferung: "Auf keinen Fall, solange ich in diesem Amt bin, niemals"

Yildirim hat im Interview mit den ARD-"Tagesthemen" nichts wirklich Verbindliches gesagt. Er "hoffe" und es werde "Entwicklungen geben". Mehr kann der türkische Ministerpräsident wohl auch nicht zusagen – ohne in Konflikt mit Präsident Recep Tayyip Erdogan zu geraten. Denn Erdogan hat Yücel, für den weiter keine Anklageschrift vorliegt, öffentlich als "Spion", "deutschen Agenten" (März 2017) und "Terroristen" (April 2017) bezeichnet und damit quasi vorverurteilt. Zu einer möglichen Auslieferung von Yücel an Deutschland erklärte Erdogan im April 2017: "Auf keinen Fall, solange ich in diesem Amt bin, niemals."

Was an Yildirims Aussagen soll unter diesen Vorzeichen Hoffnung machen? Yildirim ist zwar formell Regierungschef, maßgeblich ist aber Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan. Dass der Ministerpräsident "hofft", dass Yücel bald freigelassen wird, kann als Geste des guten Willens an die Bundesregierung verstanden werden. Vor allem durch den Fall Yücel befindet sich das deutsch-türkische Verhältnis auf einem historischen Tiefpunkt. Yildirim sagt nun: "Lasst uns eine neue Seite aufschlagen, die Vergangenheit vergessen, in die Zukunft blicken und unsere Beziehungen noch weiter ausbauen." Er weiß, dass das ohne eine Freilassung von Yücel nicht geschehen wird.

Wie Yücel freikommen könnte

Erdogan muss nun also einen Weg finden, wie er Yücel freilassen und dennoch sein Gesicht wahren kann. Diese Wege zur Freilassung durch ein türkisches Gericht gibt es:
Das Verfassungsgericht: Dort hat Yücel Beschwerde gegen seine U-Haft eingereicht. Das Oberste Gericht könnte jederzeit entscheiden. Die Regierung hatte das Verfassungsgericht im Januar für seine Anordnung kritisiert, zwei andere regierungskritische Journalisten freizulassen. Nach der Kritik hatten sich untergeordnete Gerichte geweigert, die Entscheidung umzusetzen – die Journalisten sind weiter in U-Haft. Im Fall Yücel hat Yildirim nun aber ausdrücklich gesagt, dass er sich dessen Freilassung erhofft.

Ein Strafgericht: Sobald eine Anklageschrift vorliegt, könnte ein Strafgericht das Verfahren eröffnen (oder die Anklage verwerfen). Das Gericht entscheidet zum Auftakt des Prozesses und in regelmäßigen Abständen, ob der Angeklagte weiter in U-Haft bleiben muss. Im Oktober verfügte ein Gericht die Freilassung des deutschen Menschenrechtlers Peter Steudtner und verhängte keine Ausreisesperre. Steudtner konnte ausreisen, obwohl der Prozess weiterläuft.

Was wäre, wenn Yücel wirklich freikommt?

Yücels Freilassung kann nur ein erster Schritt zur Normalisierung des deutsch-türkischen Verhältnisses sein. Außer ihm sitzen mindestens weitere 38 Journalisten in der Türkei in Haft – wie Yücel teilweise seit Monaten oder sogar Jahren ohne Anklage. Reporter ohne Grenzen schätzt die Zahl der Medienschaffenden, also Journalisten, Medienmitarbeiter und Blogger, auf über 100. Die Freilassung Yücels ändert nichts am Schicksal der restlichen inhaftierten Journalisten oder an der prekären Lage der Pressefreiheit und der Menschenrechte an sich in der Türkei.

Der Grünen-Politiker Cem Özdemir fordert klare Worte zur Menschenrechtslage in der Türkei. Die Bundesregierung müsse endlich Klartext reden und "aufhören zu kuscheln", sagte Özdemir. Es müsse klar gemacht werden: "Es gibt weder Erleichterungen beim Tourismus noch gibt es Erleichterungen beim Zollhandelsabkommen noch sonst irgendwo, ohne dass es dafür messbare Fortschritte bei den Menschenrechten gibt."

Reporter ohne Grenzen sieht Deniz Yücel als Geisel der Türkei und fordert dessen sofortige Freilassung. "Die ein Jahr anhaltende politische Geiselhaft von Deniz Yücel ist unerträglich. Dass immer noch keine Anklageschrift vorliegt und die türkische Justiz an den haltlosen Anschuldigungen festhält, ist eine Schande für die Türkei", sagt Geschäftsführer Christian Mihr im Interview mit t-online.de.

Journalisten dürfen nicht zu Tauschobjekten werden

Der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Niels Annen, hofft auf eine baldige Freilassung von Yücel. "Wir wissen natürlich alle, es entscheidet am Ende nicht das Gericht, sondern die türkische Politik", sagte Annen und stellte klar: "Es geht um Deniz Yücel, aber es geht auch um weitere Gefangene. Und ich glaube, dass die türkische Seite inzwischen auch verstanden hat: Ohne eine Freilassung der Gefangenen wird es keine wirkliche Normalisierung im Verhältnis zwischen unseren Ländern geben." Eine solche Krise könne nicht durch "Geschäftemacherei" gelöst werden.

Genau das könnte der Hintergedanke der türkischen Seite sein: Im Tausch für die Freilassung von Yücel stimmt die deutsche Regierung weiteren Waffenlieferungen in die Türkei zu. Das wäre ein extrem heikles Manöver. Zum einen, weil die Türkei militärisch in den Krieg in Syrien eingegriffen hat und die Bundesregierung sich nicht sicher sein kann, dass deutsche Waffen nicht auch dort eingesetzt werden. Zum anderen, weil bei türkischen Politikern und besonders bei Erdogan der Eindruck entstehen könnte, verhaftete Journalisten eignen sich als Druck- und Tauschobjekt.

In einer vorherigen Version dieses Artikels wurde der türkische Ministerpräsident Binali Yildirim fälschlicherweise als Außenminister bezeichnet. Wir haben diesen Fehler inzwischen korrigiert.

Verwendete Quellen
  • - eigene Recherchen, dpa
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