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Sea-Watch wehrt sich gegen Vorwürfe – und greift Bundesregierung an


Vorwürfe gegen Seenotretter
Sea-Watch wehrt sich – und greift Bundesregierung an

Von afp, ap, ds

02.07.2019Lesedauer: 3 Min.
Carola Rackete, Kapitänin der "Sea-Watch 3": Warum sie den Hafen von Lampedusa ansteuerte, erklärte die Organisation bei einer Pressekonferenz.Vergrößern des BildesCarola Rackete, Kapitänin der "Sea-Watch 3": Warum sie den Hafen von Lampedusa ansteuerte, erklärte die Organisation bei einer Pressekonferenz. (Quelle: Guglielmo Mangiapane/reuters)
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Die Seenotretter von Sea-Watch wurden nach dem unerlaubten Manöver ihrer Kapitänin heftig kritisiert. Jetzt wehren sie sich gegen die Vorwürfe – und zeigen sich maßlos enttäuscht von der Bundesregierung.

Die Hilfsorganisation Sea-Watch hat sich gegen diverse Vorwürfe wegen der Rettung von Flüchtlingen in Italien gewehrt und stattdessen der Bundesregierung schwere Versäumnisse vorgeworfen. Sea-Watch-Kapitänin Carola Rackete hätte demnach keine andere Möglichkeit gehabt, als den italienischen Hafen Lampedusa anzusteuern: An Bord habe sich die Situation zu einem "Notstand" entwickelt, so die Organisation auf einer Pressekonferenz in Berlin.

"Wir sind sehr enttäuscht von der Bundesregierung", sagte Sea-Watch-Sprecher Ruben Neugebauer. Der italienische Innenminister Matteo Salvini habe die Häfen in seinem Land schon etwa vor einem Jahr geschlossen. "Seither hätte die Bundesregierung Zeit gehabt, eine Lösung für die Situation zu finden. Das hat sie nicht getan." Eine europäische Lösung "wäre zwar schön", sagte Neugebauer auf entsprechende Forderungen der Bundesregierung. Aber solange die Menschenrechte nicht eingehalten würden, "muss man proaktiv vorangehen".

Die "Sea-Watch 3" hatte die Flüchtlinge Mitte Juni aus Seenot gerettet und an Bord genommen. Danach irrte das Schiff von Kapitänin Carola Rackete 16 Tagen im Mittelmeer umher, bis sie sich entschloss, den Hafen von Lampedusa anzusteuern – das führte zu Empörung seitens der italienischen Regierung.

Situation an Bord habe sich täglich verschlechtert

Zuvor hatte sich die Situation an Bord täglich verschlechtert, so Sea-Watch. "Rackete hatte Angst, dass sich die Menschen etwas antun werden", erklärt Sea-Watch-Aktivist Chris Grodotzki, der selbst bei ähnlichen Seenotrettungs-Einsätzen dabei gewesen war. So hätten die Flüchtlinge die gesamte Zeit seit der Rettung an Deck des Rettungsschiffs verbracht, waren dabei Wind und Wetter ausgesetzt. Die 'Sea-Watch 3' sei kein Kreuzfahrt – "der Aufenthalt so vieler Menschen ist auf lange Sicht nicht gerade angenehm", so Grodotzski weiter.

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Dieser Zustand nage an den Psyche der Geflüchteten. Die Crew habe daher eine "Selbstmord-Wache" abhalten müssen, in denen 24 Stunden am Tag auf die Geflüchteten aufgepasst werden musste. Trotzdem wollte sich ein Mann das Leben nehmen und sprang von Bord. Die Sea-Watch-Crew konnte ihn erneut aus dem Mittelmeer retten. Grodotzki: "Wenn du das Vertrauen der Menschen an Deck verlierst, wird das Schiff zum Pulverfass." Die Einfahrt in den Hafen begründete Rackete deshalb auch mit dem medizinischen "Notstand" auf dem Schiff.

Hafenwahl sorgt für Kritik

Besonders die Wahl des italienischen Hafens sorgte für Kritik aus Rom. Schließlich hätte die Organisation auch andere Länder ansteuern können, so die Kritik. Dem entgegnete Neugebauer, dass eine solche Fahrt für die "Sea-Watch" und die Geflüchteten lebensgefährlich hätte ausgehen können. "Wir hatten bereits zwei medizinische Notfälle an Bord, drei Seemeilen von der Küste entfernt kann den Menschen schnell geholfen werden." Würde man aber über die offene See einen Hafen in Deutschland oder den Heimathafen des Schiffs in Amsterdam anfahren wollen, könnten Notfälle zum Tod eines Menschen führen – mit schwerwiegenden rechtlichen Konsequenzen für den Kapitän des Schiffs.

Ebensowenig ließ sich Rackete darauf ein, Nordafrika anzusteuern. Dort hätten den Flüchtlingen Menschenrechtsverletzungen und Folter gedroht, so die Organisation. Rackete machte daher vom "Nothafenrecht" Gebrauch und steuerte Lampedusa an.

Eigentlich hatte die Hilfsorganisation bereits für Montag eine Entscheidung der italienischen Justiz zu der festgenommenen "Sea-Watch 3"-Kapitänin Carola Rackete erwartet. Das Gericht vertagte seine Entscheidung aber.

Abschreckungseffekt nach Festnahme von Rackete

Nun befürchtet Sea-Watch, dass die Festnahme den Tod vieler Migranten im Mittelmeer nach sich ziehen wird. Dass sie abgeführt und ihr Schiff "Sea-Watch 3" beschlagnahmt wurde, könne dazu führen, dass sich Kapitäne von Handelsschiffen "in Zukunft zwei Mal überlegen werden", ob sie Menschen aus Seenot retten, so Neugebauer.

Schon jetzt sei es so, dass einige Besatzungen bewusst wegschauten. Auch italienische und maltesische Militärschiffe hätten teilweise erst reagiert, als ihnen Sea-Watch mitgeteilt habe, dass sie auf Video aufgezeichnet würden.


Der sogenannte Kampf der Europäischen Union gegen Schlepper auf dem Mittelmeer sei in Wirklichkeit ein "Konjunkturpaket für Schlepper", sagte Neugebauer. Er sei überzeugt: "Man kann Migration nicht aufhalten." Durch die Politik der geschlossenen Häfen werde die Überfahrt für Menschen, die nach Europa wollten, nur teurer und gefährlicher.

Im ersten Halbjahr 2019 sind nach UN-Angaben mehr als 27.300 Flüchtlinge und Migranten über das Mittelmeer nach Italien, Zypern, Malta, Spanien und Griechenland gekommen. Seit Jahresbeginn seien schätzungsweise 584 Menschen bei dem Versuch ertrunken.

Verwendete Quellen
  • Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa, AFP
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