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Russland im Ukraine-Krieg: Putin hat sich ein Problem vom Hals geschafft


Kolumne "Russendisko"
Unter Russlands Generälen geht die Angst um

MeinungEine Kolumne von Wladimir Kaminer

Aktualisiert am 02.06.2024Lesedauer: 3 Min.
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Wladimir Putin und Sergei Schoigu: Der russische Präsident schützte seinen Kumpel, meint Wladimir Kaminer.Vergrößern des Bildes
Wladimir Putin und Sergei Schoigu (Archivbild): Der russische Präsident schützte seinen Kumpel, meint Wladimir Kaminer. (Quelle: Sergei Karpukhin/imago-images-bilder)

Statt an der Front befinden sich einige russische Generäle nun im Knast. Was ist da los? Der Machtmensch Wladimir Putin sichert sich seine Position, meint Wladimir Kaminer.

Mit der Absetzung des unpopulären Verteidigungsministers Sergei Schoigu hat der russische Präsident seinen langjährigen Freund aus der Schusslinie genommen. Schließlich war dieser Mann jahrzehntelang Putins persönlicher Freizeitgestalter. Mit Schoigu ist Putin durch dick und dünn gegangen, in der Taiga hat er mit ihm im Zelt geschlafen, sie sind auf Bärenjagd gegangen, ritten halbnackt auf Pferden, angelten große Fische und küssten einen Tiger aufs Maul.

Am liebsten hätte Putin Schoigu als Minister behalten. Doch während eines Krieges muss Privates und Berufliches voneinander getrennt werden. Das Verteidigungsministerium war zu mächtig geworden und musste abspecken. Nachdem der abgesetzte Verteidigungsminister in den Sicherheitsrat, also in Sicherheit gebracht worden war, begann der russische Geheimdienst eine großangelegte Säuberung der Generalität.

(Quelle: Frank May)

Zur Person

Wladimir Kaminer ist Schriftsteller und Kolumnist. Er wurde 1967 in Moskau geboren und lebt seit mehr als 30 Jahren in Deutschland. Zu seinen bekanntesten Werken gehört "Russendisko". Sein aktuelles Buch "Gebrauchsanweisung für Nachbarn" (mit Martin Hyun) ist im März 2024 erschienen.

Fünf hochrangige Generäle wurden innerhalb einer Woche verhaftet, es waren nicht nur die sogenannten Arbat-Generäle, Bürohengste, die traditionell in Verdacht stehen, leidenschaftlich korrupt zu sein. Der stellvertretende Leiter des Generalstabs wurde abgeführt sowie die rechte Hand des ehemaligen Verteidigungsministers, der Chef der Personalabteilung des Verteidigungsministeriums und zwei bekannte Armeegeneräle.

Der General Popow von der 58. Armee mit dem Rufnamen "Spartakus", angeblich unter Soldaten sehr beliebt, war für die Abwehr der ukrainischen Konterattacke letztes Jahr zuständig, er erlaubte sich Kritik an Vorgesetzen, schimpfte öffentlich über die "Sturköpfe im Generalstab" und nannte seine Soldaten "meine Gladiatoren".

Armeeeigentum verschachert?

Der zweite verhaftete General wurde dagegen von Soldaten gehasst und galt als "Metzger". Beiden Generälen wird nun Korruption und Amtsmissbrauch vorgeworfen sowie Entwendung von Armeeeigentum. So soll der "Spartakus" Panzerigel und irgendwelche nicht näher beschriebenen "Metallkonstruktionen" verschachert haben, angeblich seien diese "Konstruktionen" jenseits der Front sehr begehrt und fänden in Höfen und Gärten Verwendung.

Eine Einheit des Geheimdienstes FSB arbeitete unermüdlich daran, Beweismaterial zu sichern. Eigentlich ist die Staatssicherheit für solche Anklagen gar nicht zuständig, dafür hat die Armee ihre eigenen Kontrollorgane und Sicherheitsdienste. Die Armee hat einen riesigen Apparat zur internen Aufklärung solcher Delikte, sie war schon immer ein Staat im Staat, mit allen Strukturen, die eine zivile Gesellschaft hat. Die Armee verfügt über eigene Wohnstädte, eigene Betriebe und Fabriken, eigene Kranken- und Theaterhäuser, eigene Knäste und Ferienlager, sie backt ihr eigenes Brot und näht die Uniformen.

Das Geld sprudelt bei den Militärs. Das Verteidigungsministerium Russlands hat den größten Etat, mit den anderen Ministerien nicht vergleichbar. Laut offiziellem Staatsbudget gehen für das Militär acht Prozent des Bruttoinlandsproduktes drauf, inoffiziell soll die Summe sogar mindestens doppelt so hoch sein. Warum mitten in einem Krieg, in einer unstabilen Situation der Armee ein solcher Stoß von hinten zugefügt wird, darüber grübeln viele Beobachter.

Eine weit verbreitete Meinung ist, dass Putin über den Verlauf des Krieges von den Sicherheitsdiensten falsch informiert wurde. Er glaube nämlich, den Krieg bereits gewonnen zu haben. Die Unterstützung des Westens für die Ukraine bröckele weiter, die Demokratien Europas fielen beständig auf seine Masche mit der Atombombe rein und gingen in die Knie, die gut motivierten Soldaten würden von Dorf zu Dorf rennen: Kurzum, alles deute darauf hin, dass Putin vor einem großartigen Abschluss seiner politischen Kariere steht. Und er dann als Gewinner eine neue Weltordnung zugunsten seines Regimes diktieren könne.

Chance für die Ukraine?

Das einzige Problem dabei: Die Siegesgeneräle, die sich einbilden, sie könnten trotz Putin den Krieg gewinnen. Über die Illoyalität mancher Armeegeneräle wurde Putin schon früher berichtet, er machte sich Sorgen und beschloss vorbeugend, noch vor dem Ende des Krieges die Generäle zu bestrafen, die jede Angst verloren haben. Die russische Staatssicherheit und die Armee hatten schon immer gegeneinander intrigiert, jetzt hat der Geheimdienst grünes Licht für die Säuberungsaktionen bekommen und ging auf die Generäle los.

Dadurch wird die Position der Staatssicherheit im inneren Zirkel der Macht gestärkt und die der Armee geschwächt. Doch wenn man den Präsidenten gut kennt, weiß man, dass sehr bald auch mit einer Säuberungsaktion in den Reihen der Staatssicherheit zu rechnen ist. Die Siege und Niederlagen beschäftigen Putin nur am Rande, letzten Endes hat er mit den Niederlagen in Tschetschenien und einem Unentschieden in Georgien schon Erfahrungen gemacht.

Putin weiß, wie man derlei leicht für die öffentliche Wahrnehmung in Siege verwandeln kann. Das Einzige, was ihn wirklich beschäftigt, ist der Erhalt seiner Macht, denn nur solange er am Lenkrad sitze, lasse sich das russische Schiff steuern. Die abgemähte Generalität schwächt und diskreditiert eindeutig die ohnehin bereits ermüdete russische Armee. Es bietet sich eine Chance für die Ukraine.

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