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Russlands Aktivitäten an Nato-Ostflanke: Militärflugplätze reaktiviert


Militäranalyst über Russlands Aktivitäten
"Das hat weitreichende Folgen"

InterviewVon Simon Cleven

04.05.2025 - 13:58 UhrLesedauer: 5 Min.
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Ein Kampfjet des Typs MiG-29 landet auf dem Flugplatz Seweromorsk-3 (Archivbild): Russland hat die Basis mit neuen Schutzbauten ausgestattet. (Quelle: Lev Fedoseyev via www.imago-images.de/imago)
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Russland steigert seine Militäraktivitäten entlang der Nato-Ostflanke. Gleichzeitig stellt der Kreml seine Truppen nahe der finnischen Grenze neu auf. Was es damit auf sich haben könnte, erklärt der Militärexperte Emil Kastehelmi.

Armeestützpunkte werden ausgebaut und neue Schienen gelegt, die Rekrutierungszahlen steigen und die Produktion von Militärgerät läuft auf Hochtouren: Laut westlichen Militärexperten und Geheimdienstinformationen bereitet sich Russland mit Blick auf eine Zeit nach dem Angriffskrieg gegen die Ukraine auf eine Konfrontation mit der Nato vor. Dabei rückt verstärkt die Grenzregion zu Finnland in den Fokus.

Der finnische Analyst Emil Kastehelmi beobachtet die russischen Militäraktivitäten genau. Im Interview mit t-online berichtet er von einer russischen Militärreform, die die Nato-Ostflanke betrifft. "Diese Neustrukturierung des Militärs klingt abstrakt, hat jedoch weitreichende Folgen", sagt Kastehelmi. Außerdem weiß der Militärexperte von der Reaktivierung eines eigentlich bereits verlassenen Flugplatzes der russischen Marine.

Herr Kastehelmi, Sie beobachten anhand öffentlich zugänglicher Daten wie Satellitenbilder die russischen Militäraktivitäten nahe der finnischen Grenze. Welche neuen Erkenntnisse haben Sie dabei zuletzt gewonnen?

Emil Kastehelmi: Die russischen Militäraktivitäten in dem Gebiet lassen sich in zwei Felder unterteilen: die Neuorganisation militärischer Einheiten und infrastrukturelle Maßnahmen. Die Neuorganisation bestimmt dabei die Aktivitäten, die wir derzeit am Boden beobachten können.

(Quelle: Armas Weselius)

Zur Person

Emil Kastehelmi ist ein finnischer Militärhistoriker und -analyst. Er arbeitet als Sonderredakteur bei der Zeitung "Iltalehti" und ist Mitbegründer der Analysegruppe Black Bird Group. Zuvor diente er als Nachrichtenoffizier in der Karelischen Brigade der finnischen Armee. Kastehelmi berichtet in Medien regelmäßig über den Ukraine-Krieg und veröffentlichte das Buch "Sturmbock".

Stellt der Kreml sein Militär derzeit also völlig neu auf?

Zumindest in Teilen. Als Reaktion auf den Nato-Beitritt Finnlands entschloss sich der Kreml 2024 dazu, den Leningrader Militärbezirk als eigenständige Organisationseinheit wiederzubeleben. Dieser war zuvor gemeinsam mit dem Moskauer Militärbezirk sowie der Nord- und Ostseeflotte im Westlichen Militärbezirk aufgegangen. Heute umfasst er den Nordwesten Russlands, insbesondere auch die Inseln im Arktischen Ozean.

Was bezweckt Russland damit?

Russland will die Nato-Präsenz in dem Gebiet kontern. Das ist paradox: Denn ursprünglich war es Russland selbst, das diese Präsenz und die Nato-Beitritte Finnlands und Schwedens durch seine Aggression in der Ukraine hervorgerufen hatte. Diese Neustrukturierung des Militärs klingt abstrakt, hat jedoch weitreichende Folgen.

Welche sind das?

Der neue Leningrader Militärbezirk fokussiert sich aktuell darauf, neue Einheiten zu bilden, die an der Nato-Ostflanke stationiert werden sollen. Brigaden mit Mannstärken von 3.000 bis 5.000 Soldaten werden zu Divisionen mit bis zu 12.000 Mann umgeformt. Noch sind diese Reformen im Gange. Es werden dort nicht unmittelbar neue Einheiten stationiert, und Russland kann noch auf Probleme bei der Rekrutierung und Ausrüstung der Einheiten stoßen. Das alles dient aber dazu, mehr Masse und mehr Feuerkraft für einen möglichen konventionellen Abnutzungskrieg bereitzustellen, wie er derzeit in der Ukraine tobt.

Mit welchen infrastrukturellen Maßnahmen unterstützt Russland diese Neuorganisation des Militärs?

Russland will in Petrosawodsk am Onegasee, rund 200 Kilometer von der finnischen Grenze entfernt, ein neues Armeehauptquartier errichten. Dazu sollen bestehende Stützpunkte in dem Gebiet ausgebaut werden. Anhand von Satellitenbildern kann ich bisher keine großen Veränderungen erkennen. Es gibt schon neue Lagerhallen aus den Jahren 2023 und 2024 sowie auch Bauten, die wohl zur Unterbringung von Soldaten dienen. Doch dass bisher nur kleinere Projekte umgesetzt sind, heißt nichts: Ein Hauptquartier zu errichten, bedeutet nicht, dass sofort Soldaten, Panzer und Ähnliches dort stationiert werden. Es können zunächst auch bereits bestehende Gebäude genutzt werden. Diesen Sommer könnte dort Größeres anstehen.

Außerdem heißt es, dass Russland dort massiv das Schienennetz ausbaut.

Auch das lässt sich erst im Sommer zuverlässig feststellen, wenn der Schnee geschmolzen ist und weitere Projekte erkennbar werden. Es gibt Berichte über Projekte im Leningrader Militärbezirk, die jedoch nicht zwingend mit der Militärreform zu tun haben müssen. Dies würde aus Sicht des Kremls aber durchaus Sinn ergeben: Wenn Russland seine Militärpräsenz in dem Gebiet ausbauen will, braucht es die nötige Infrastruktur. Im militärischen Sinne besonders interessant ist außerdem, was an russischen Flugfeldern in der Region passiert.

Was führt Russland dort im Schilde?

Russland reaktiviert und modernisiert alte Militärflugplätze. Nahe Murmansk und den Grenzen zu Finnland und Norwegen gibt es drei solcher Militärflugplätze: Seweromorsk 1, 2 und 3. Seweromorsk 2, auch bekannt als Safonowo, wurde 1998 geschlossen und war verlassen. Einige Hubschrauberlandeplätze wurden 2022 jedoch reaktiviert. Russland baut diesen Flugplatz jetzt weiter aus, bisher vor allem für Helikopter, doch bald könnten auch Kampfjets dort landen. Auch Seweromorsk 1 wurde renoviert und auf dem Flugplatz Seweromorsk 3 errichteten die Russen neue Schutzbauten für ihre Kampfflieger.

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Welche Schlussfolgerung ziehen Sie daraus?

Die Ukrainer haben in den vergangenen Monaten mit ihren Drohnen häufig erfolgreich Militärziele in Russland angegriffen. Nun scheint die russische Armee vorsorglich auch weiter entfernte Basen davor schützen zu wollen. Vom Flugplatz Olenja in der Region Murmansk etwa starten auch russische Flieger und feuern Raketen und Marschflugkörper auf die Ukraine ab. Zudem bietet eine größere Anzahl von Flugfeldern die Möglichkeit, Kampfjets und Helikopter besser zu verteilen, wodurch sie in der Masse nicht leicht angegriffen werden können.

Wenn Sie all diese Entwicklungen in Betracht ziehen: Für wie wahrscheinlich schätzen Sie das Szenario eines russischen Angriffs auf finnischem Boden ein?

Aktuell ist die Wahrscheinlichkeit niedrig – wenn wir von einem konventionellen Angriff sprechen. Russland steckt noch mitten in der Militärreform. Und der Großteil seiner Streitkräfte ist in der Ukraine gebunden. Doch dieser Krieg wird irgendwann enden. Und dann könnten sich die Kremltruppen schneller neu aufstellen, als bisher gedacht.

Wie kommen Sie zu der Annahme?

Es gelingt der russischen Armee bisher recht schnell, Verluste an Soldaten durch Rekrutierung wieder auszugleichen. Auch die Rüstungsproduktion läuft auf Hochtouren. Wenn es also zu einem Waffenstillstand kommt und Russland einen Teil seiner Truppen aus der Ukraine abzieht, dann sollten Finnland und die baltischen Staaten genau hinsehen. Wo gehen die Einheiten hin? Wohin wird das Militärgerät gebracht? Gibt es Demobilisierung, vielleicht sogar umfassend? Wenn das nicht geschieht, wäre das beunruhigend. Aber Russland kann auch jetzt schon auf anderem Wege Schaden herbeiführen.

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Was meinen Sie?

Hybride Angriffe. Russland führt diese bereits in hohem Maße durch: Operationen der Schattenflotte, beschädigte Unterseekabel, Sabotage von kritischer Infrastruktur auch auf dem Land. Dazu hat Putin bereits Migration als Waffe benutzt und Flüchtlingswellen an die finnische Grenze geleitet. Dazu kommen Cyberattacken. Sie merken also: Ich sehe noch keine russischen Panzer gen Finnland rollen, aber Schäden können der finnischen Gesellschaft eben auch auf anderem Weg zugefügt werden.

Russland ist derzeit stark im Ukraine-Krieg gebunden, verliert neben unzähligen Menschenleben auch große Mengen an Militärmaterial. Glauben Sie, dass es tatsächlich über die derzeitigen hybriden Bedrohungen gegen Nato-Staaten hinausgehen wird?

Wie gesagt: Das kommt darauf an, wie Russland nach dem Ukraine-Krieg agiert. Es wird zumindest immer deutlicher, dass mehr russische Truppen in der Nähe der finnischen Grenze stationiert werden sollen. Wenn noch dazu die russische Kriegswirtschaft nicht stoppt und die Rekrutierungen weitergehen, dann müssen wir besonders vorsichtig sein. Es muss nicht zu einem großen Krieg kommen, Putin kann auch wie auf der Krim seine "grünen Männchen" schicken.

Wie will Finnland eine militärische Konfrontation mit Russland abschrecken?

Finnland kann in kürzester Zeit seine große Reserve mobilisieren. Das allein wäre schon ein großes Hindernis für Russland und einmalig in Europa. Hinzu kommt die Einbindung in die Nato. Die finnische Militärdoktrin besteht zudem in der Verteidigung des gesamten Territoriums. Russland kann also nicht davon ausgehen, dass ein Versuch, Gebiet zu erobern, unbeantwortet bliebe. Finnland und Russland haben eine lange militärische Geschichte. Wir wissen, wozu Moskau in der Lage ist. Und wir sind darauf vorbereitet.

Herr Kastehelmi, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Persönliches Gespräch mit Emil Kastehelmi
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