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Markus Imhoof zu "Eldorado": "Flüchtlinge werden als Sklaven missbraucht"


Filmemacher Markus Imhoof
"Flüchtlinge werden als Sklaven missbraucht"

Interviewt-online, Nathalie Helene Rippich

Aktualisiert am 01.05.2018Lesedauer: 4 Min.
Afrikanische Arbeiter ernten Orangen: In Italien verdient die Mafia in der Landwirtschaft ordentlich mit. Migranten werden für die Ernte ausgebeutet.Vergrößern des BildesAfrikanische Arbeiter ernten Orangen: In Italien verdient die Mafia in der Landwirtschaft ordentlich mit. Migranten werden für die Ernte ausgebeutet. (Quelle: Franco Cufari/ANSA/dpa-bilder)
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Das Paradies Europa ist für viele Geflüchtete eine trügerische Hoffnung. Filmemacher Markus Imhoof nimmt die Zuschauer in seiner Dokumenation "Eldorado" mit auf eine beunruhigende Reise über das Mittelmeer. Ein Gespräch über die Kosten des Glücks.

Das Interview führte Nathalie Helene Rippich

Herr Imhoof, Eldorado, das Paradies – die Zustände, die Sie in Ihrem Film beschreiben, sind alles andere als paradiesisch. Wo liegt also dieses Eldorado?

Eldorado bezeichnet einen fernen Ort der Hoffnung, der aber auch mit Risiken verbunden ist: eventuell gibt es gar kein Gold dort oder man kommt auf dem Weg um. Es ist ein Synonym für das "Pursuit of happiness", das Streben nach Glück, das für Bürger der USA sogar in der Verfassung garantiert ist. Wir alle in der westlichen Welt leben in diesem vermeintlichen Eldorado.

Was erwartet die Flüchtenden auf unserer Seite des Mittelmeers?

Diese Menschen kennen unsere Lebensart aus Filmen und von Touristen: Sie möchten auch besser und länger leben. Aber wir möchten das Glück lieber nur für uns haben. Darum erwartet die Ankömmlinge tatsächlich Ablehnung und damit verbunden Demütigung.

Woher stammt die Idee für den Film "Eldorado"?

Vor fast 40 Jahren habe ich schon einen Film zu dem Thema gemacht, den Spielfilm "Das Boot ist voll". Es ging um darum, dass während des 2. Weltkriegs in der Schweiz Menschen, die aufgrund ihrer Rasse verfolgt wurden, nicht als Flüchtlinge anerkannt wurden. Jüdische Flüchtlinge wurden zurück über die Grenze geschickt – in den Tod. Der Film hat heftige Diskussionen ausgelöst, weil diese Wahrheit vielen nicht bekannt war. In dem Film kommt gar kein Boot vor, aber der Ausspruch des damaligen Justizministers sollte suggerieren: "Wenn noch einer kommt, sinken wir alle!" Jetzt sind die Boote wirklich voll, aber nicht wir ertrinken. Das will ich zeigen.

Viereinhalb Jahre haben Sie an dem Film gearbeitet, sich intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt. Die Zahl der Flüchtenden, die nach Europa gelangen, ist in dieser Zeit zurückgegangen. Ist die Krise überstanden?

Das Wort Flüchtlingskrise ist eine Täuschung, die weismacht, dass es bald vorbei ist. In Wirklichkeit beginnt es aber erst: Bald kommen auch die Klimaflüchtlinge. Wer dafür verantwortlich ist, wissen wir alle.

Und wer ist verantwortlich?

Wir. Denn wir heizen die Welt mit unserem Glück, aber die Auswirkungen müssen andere erdulden.

Der Film weist auf einen perfiden Kreislauf hin. Können Sie diesen kurz nachzeichnen und vor allem einordnen?

Abgelehnte Flüchtlinge werden in Italien von der Mafia aufgefangen und als Sklaven in der Landwirtschaft, etwa in der Tomatenernte, und zur Prostitution missbraucht. Sie hausen in Ghettos, die schlimmer sind als die Slums, aus denen sie kommen. Sie verdienen 15 Euro am Tag – für harte Arbeit bei 40 Grad in der prallen Sonne. Und weil sie keine Papiere haben, können sie sich nicht wehren.

Was tut der Staat dagegen?

Die Menschen existieren für den Staat gar nicht. Um die EU-Subventionen zu bekommen, schließen die Agrarunternehmer fingierte Arbeitsverträge mit Italienern ab, damit sie so Arbeitslosengeld, Krankenkasse und Rente kassieren – ein Feld betreten diese Arbeiter aber nie. Das machen die modernen Sklaven, die einen Teil ihres wenigen Geldes zu ihren Angehörigen nach Afrika schicken.

Hilft das Geld den Menschen dort wenigstens?

Die Tomaten, die die Flüchtlinge ernten, werden in Büchsen nicht nur in Europa, sondern auch in Afrika verkauft. Wegen der EU-Subventionen, die die Landwirtschaftsunternehmen erhalten, und wegen der Sklavenarbeit sind die Tomaten dort billiger, als die, die in Afrika wachsen. Und darum nicht mehr angepflanzt werden. Es lohnt sich nicht mehr. Das Geld, mit dem diese Büchsen in Afrika gekauft werden, kommt von den Sklaven auf den Italienischen Feldern.

Welche Rolle spielt die Wirtschaftspolitik der EU?

Der Film zeigt einen ausreisewilligen Senegalese, der 3000 Dollar Rückkehrhilfe kriegt. Davon kauft er sich davon zurück in Afrika glücklich zwei Kühe. Gleichzeitig schafft ein internationales Handelsabkommen den afrikanischen Einfuhrzoll auf Milchprodukte ab, damit wir unsere subventionierte Milchschwemme loswerden. Die ausländische Milch wird dadurch billiger als die Milch des Rückkehrers. Er wird auf keinen grünen Zweig kommen mit seinen zwei Kühen im dürren Gras. Mit unserer Wirtschaftspolitik produzieren wir Fluchtgründe.

Der Trailer zu "Eldorado"

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Sie ziehen im Film Parallelen zu ihrer Vergangenheit, fragen kindlich naiv nach dem "ich" und nach dem "wir".

Als kleines Kind habe ich die Entdeckung gemacht, dass auch alle anderen zu sich selber "ich" sagen. Wenn alle anderen auch "ich" sind, ist die Konsequenz dass daraus ein "uns" wird. Gibt es dafür eine Grenze? Wer ist "uns"? Wer sind wir? Meine Familie? Mein Land? Europa? Oder vielleicht doch die Welt?

Und sie erzählen von Giovanna. Wer war sie?

Sie ist – neben dem Film "Das Boot ist voll" – der persönliche Kern der Geschichte, eine Kindheitserfahrung. Giovanna war ein italienisches Flüchtlingsmädchen, das gegen Ende des 2. Weltkriegs in unserer Familie in der Schweiz aufgenommen wurde. Sie war ein kriegsgeschädigtes, ausgehungertes Straßenkind aus Mailand. Sie wurde meine erste Liebe. Und der Staat hat diese Liebe verhindert, weil Giovanna wieder zurück musste nach Italien, wo sie noch als Kind gestorben ist. Die Wärme, die von Giovanna ausging, begleitet und kontrastiert für mich die Beobachtungen der heutigen Flüchtlinge.

Mit der Erinnerung an das geliebte Flüchtlingsmädchen und dem Blick auf die Welt heute: Was hat die Arbeit an "Eldorado" mit Ihnen gemacht?

Die Geschichten gehen mir nicht aus dem Kopf. Ich möchte die Zuschauer mit Menschlichkeit anstecken. Wir sollten uns nicht für diese Werte verlachen lassen. Das erreicht man nicht, indem man Kreuze an die Wand nagelt, man muss diese Werte umsetzen. Kant hat gesagt: Wenn alles was wir tun, ein Gesetz sein könnte, das für alle gilt, wissen wir immer, was zu tun ist. Glück ist eine Verantwortung.

Herr Imhoof, vielen Dank für das Gespräch.

„Eldorado“, Deutschland/Schweiz 2017, 92 Minuten, seit dem 26. April im Kino

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