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Afghanistan: Wenn Jeans zum Symbol des Widerstands werden


Taliban in Kabul
Wenn Jeans zum Symbol des Widerstands werden

Von dpa
18.08.2021Lesedauer: 4 Min.
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Bei Protesten in der afghanischen Stadt Dschalalabad: Die Taliban erschossen hier drei Menschen. (Quelle: reuters)
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Für die Bewohner der afghanischen Hauptstadt sind die Taliban Fremde. Langsam lernen die Menschen ihre neuen Herren kennen

Der Afghane Ehsan Amiri ist ein bisschen ein Trotzkopf. Vier Tage sind es nun her, dass sein Präsident Aschraf Ghani getürmt ist und die militant-islamistischen Taliban in seiner Stadt Kabul eingezogen sind. Sie patrouillieren in Autos auf seiner Straße und bewachen ein öffentliches Gebäude und ein paar Häuser in seinem Viertel. Er weiß, dass die Islamisten keine "Cowboys" mögen. So werden in Afghanistan Jeans genannt. Und trotzdem zieht er sie an, als er am Mittwoch nach drei Tagen zuhause erstmals wieder in sein Lieblingscafe in Schahr-e Nau im Zentrum der Stadt geht.

Die "Cafeteria" ist eines der beliebtesten Cafes der Stadt, und üblicherweise gepackt voll. Im Erdgeschoß sitzen normalerweise vor allem junge Männer mit schicken Frisuren und engen Hosen und lachen, im zweiten Stock gibt es einen nicht weniger ruhigen Bereich für Familien. Doch heute, erzählt Ehsan in Sprachnachrichten, ist vieles anders. "Nur ganz wenige Besucher sind hier, und fast alle tragen Piran wa Tunban", sagt er. Piran wa Tunban ist ein in Afghanistan traditionelles Kleid aus weiten Hosen mit langem Oberhemd.

Für die Bevölkerung in der Hauptstadt sind Taliban fremd

Amiri sagt, noch wird man nicht an jeder Ecke daran erinnert, dass es nun neue Herren in Afghanistan gibt. Für die städtische Bevölkerung ist es mehr ein langsames Kennenlernen jener Männer, die bislang in urbanen Zentren aus dem Untergrund agierten. Für Teile der Bevölkerung Kabuls seien die Taliban genau so fremd wie die meisten Ausländer, heißt es in der jüngsten Analyse der Kabuler Denkfabrik Afghanistan Analysts Network.

"Wir haben ganz Afghanistan in elf Tagen erobert", sagte der Taliban-Sprecher am Dienstag. Aber sie sind wohl auch selbst von ihrem raschen Erfolg überrascht. Davon, dass sie das Land regieren, kann noch nicht die Rede sein. Nur langsam und auch unter wenig Aufsehen kommen die Taliban-Führer ins Land oder zeigen sich öffentlich.

Während Amerikaner oder Deutsche am Dienstag ihre Staatsbürger und Ortskräfte vom Flughafen Kabul ausflogen, landete der Taliban Vizechef Mullah Abdul Ghani Baradar in Kandahar im Süden des Landes. Wer bei den Islamisten nun welche Aufgabe bekommt und wie das Land geführt werden soll, ist noch offen. Aus Geheimdienstkreisen heißt es, es gibt interne Ranggeleien um Posten.

So bekommen die Afghanen auch nur allmählich die Gesichter jener Männer der Bewegung zu sehen, von denen sie in den vergangenen Jahren immer nur über Internet-Erklärungen, Audiobotschaften oder über Twitter-Nachrichten gehört haben. Am Dienstag gab Sabiullah Mudschahid, der langjährige Sprecher der Islamisten, dessen Name jeder Afghane, der die Nachrichten verfolgt, kennt seine erste öffentliche Pressekonferenz. Niemand weiß freilich so genau, ob es nicht mehrere Mudschahids gab in der Vergangenheit. Aber nun haben die Afghanen erstmals ein Gesicht.

"Der ist ja wirklich gebildet"

Mit den Worten: "Der ist ja wirklich gebildet", kommentierte ein Bewohner Kabuls Mudschahids ersten öffentlichen Auftritt. Ein anderer war nicht weniger überrascht und sagte nach Mudschahids wiederholten Beteuerungen, dass kein Afghane und kein Ausländer etwas befürchten müsse, dass die Taliban ja vielleicht doch bessere Führer wären, als die bisherige korrupte Regierung.

Auch aus den Provinzen und Provinzhauptstädten gibt es aktuell kaum Berichte darüber, dass sich die Islamisten schlecht verhielten. Doch es dürften Zweifel angebracht sein. Beobachter glauben nicht, dass die Taliban bei ihrer weichen Linie bleiben, wenn sie einmal voll aufgestellt sind und beginnen, ihr bisher nur vage definiertes "islamisches System" umzusetzen.

Journalistin durfte nicht arbeiten – trotz Hidschab

Erste Anzeichen, dass sie ihre strikte Ideologie nicht über Bord geworfen haben, gibt es. Die bekannte Fernsehmoderatorin Shabnam Dauran etwa veröffentlichte am Mittwoch, sie sei nicht zur Arbeit gelassen worden – obwohl sie einen Hidschab trug und ihren Ausweis dabei hatte. "Das Regime hat sich geändert, geh nach Hause", habe man ihr gesagt.

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In den vergangenen Tagen gab es auch immer wieder unbestätigte Berichte von Hausdurchsuchungen bei ehemaligen Regierungsvertretern oder Mitgliedern der Armee. Diese scheinen noch eher die Ausnahme zu sein, als die Regel.

Auch erste, kleinere Proteste gegen die Herrschaft der Islamisten werden mittlerweile berichtet. In den Städten Chost, Kunar und Dschalalabad im Osten etwa zogen laut BBC Menschen mit der afghanischen Nationalflagge durch die Straßen. Das endete Videos in sozialen Medien zufolge teils mit Schüssen durch Taliban. Über Opfer gibt es keine gesicherten Erkenntnisse.

Porträt von Ghani übermalt

Aus dem Pandschir-Tal, der einzigen Provinz, die noch nicht von den Taliban eingenommen wurde, sollen Videos kommen, die eine Karawane von Motorrädern mit Flaggen der ehemaligen Nordallianz zeigen. In der afghanischen Botschaft in Tadschikistan soll das Porträt des geflüchteten Ghani mit dem seines Vizepräsidenten Amrullah Saleh ersetzt worden sein. Dieser sieht sich selbst als rechtmäßiger amtierender Präsident.

Die Taliban antworten auf Vorwürfe so, wie auch früher oft schon: Man wolle das Problem untersuchen und mögliche Missetäter identifizieren, gegen die rechtliche Schritte eingeleitet würden. Danach hörte man in der Vergangenheit zumeist nichts mehr.

Amiri, der seine Sachen in der Cafeteria in Kabul zusammenpackt, sagt er sehe durch die großen Glasfenster auf die Straße. Es sei immer noch weniger Verkehr als üblich, und es hätten bei weitem noch nicht alle Geschäfte wieder geöffnet. Und dann sagt er einen Satz über Kabul, der wohl für das ganze Land gelten könnte. "Es sieht nicht so aus, als ob sich die Stadt schon von dem Schock erholt hat, den sie am Sonntag erlebt hat."

Verwendete Quellen
  • Nachrichtenagentur dpa
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