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Volkszählung in den USA: Kritische Pläne – Trump "sollte vorsichtig sein"


Unheimlicher Trump-Plan
"Diese Folgen könnten sie nicht mehr eindämmen"

  • Bastian Brauns
InterviewEin Interview von Bastian Brauns

Aktualisiert am 09.08.2025 - 18:34 UhrLesedauer: 8 Min.
US-Präsident Donald Trump: Amerika soll neu vermessen werden (Archivbild).Vergrößern des Bildes
US-Präsident Donald Trump: Amerika soll neu vermessen werden. (Archivbild) (Quelle: Leah Millis)
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Donald Trump plant, die amerikanische Volkszählung neu aufzusetzen. Was auf den ersten Blick technokratisch klingt, könnte die Grundfesten der US-Demokratie erschüttern, warnt die US-Expertin Terri Ann Lowenthal im Interview.

Bastian Brauns berichtet aus Washington

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Die US-Volkszählung ("Census") entscheidet nicht nur über politische Machtverhältnisse, sondern auch über die Verteilung von Billionen an öffentlichen Geldern. Donald Trump plant offenbar, sie vorzeitig und nach eigenen Vorstellungen zu verändern – mit möglicherweise verheerenden Folgen.

Im Interview erklärt Terri Ann Lowenthal, eine der führenden Zensus-Expertinnen der USA, warum die Pläne des Ex-Präsidenten nicht nur chaotisch, sondern auch verfassungsrechtlich brandgefährlich sind. Und was es bedeuten würde, wenn Millionen Menschen aus der Zählung und damit aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwinden würden.

t-online: Frau Lowenthal, US-Präsident Donald Trump hat angekündigt, die amerikanische Volkszählung, den sogenannten Census, grundlegend verändern zu wollen. Was waren Ihre ersten Gedanken, als Sie davon hörten?

Terri Ann Lowenthal: Mein erster Gedanke war, dass seine angebliche Anweisung an das Handelsministerium für eine "neue Volkszählung" sehr unklar und überhaupt nicht logisch ist.

Es lässt also gar nicht beurteilen, was es mit dieser Idee auf sich hat?

Wir benötigen wirklich mehr Informationen, um zu verstehen, was der Präsident überhaupt will. Ordnet er jetzt eine Volkszählung an, vor der eigentlich nächsten geplanten Zählung im Jahr 2030? Oder möchte er, dass das Handelsministerium, das die Zensus-Behörde beaufsichtigt, weiter an der Volkszählung 2030 arbeitet, aber sie so ändert, dass Menschen ohne Papiere von der Zählung ausgeschlossen werden? Und wenn ja, zu welchem Zweck und mit welchem Ziel? Das ist bislang vollkommen unklar, und es gibt zu diesem Zeitpunkt auch nichts Schriftliches. Mein zweiter Gedanke war darum auch: Das ist vollkommen verwirrend.

Sie verfolgen dieses Thema als Expertin schon seit Jahrzehnten. Trump versuchte schon in seiner ersten Präsidentschaft, die Volkszählung zu ändern.

Ja, nur sind wir weit über den Punkt hinaus, an dem wir während der ersten Trump-Regierung waren, die damals unsere finale Planung und die Durchführung der Volkszählung 2020 beaufsichtigte. Aber ich würde den Präsidenten auch jetzt daran erinnern, dass unsere Verfassung dem Kongress und nicht dem Präsidenten die Verantwortung für die Durchführung der Volkszählung gibt. Und zwar, indem er Gesetze dazu erlässt. Wenn der Präsident eine neue Volkszählung vor 2030 will, müsste der Kongress das geltende Recht ändern. Und wenn er die Volkszählung 2030 in einer Weise ändern will, die gegen geltendes Recht und möglicherweise die US-Verfassung verstößt, wird er sich dem Kongress und wohl auch den Gerichten stellen.

Können Sie einmal grundsätzlich erklären, was es mit der amerikanischen Volkszählung auf sich hat?

Laut unserer Verfassung muss sie alle zehn Jahre durchgeführt werden, um etwa die Anzahl der Sitze aus den 50 Bundesstaaten im US-Repräsentantenhaus proportional zu verteilen. Dass die Volkszählung sogar in der US-Verfassung steht, zeigt, dass die Gründerväter sie für so wichtig hielten, sie derart zu priorisieren. Diese Zählung ist die Grundlage unseres repräsentativen Regierungssystems und unserer Demokratie. Sie ist grundlegend wichtig für das, was wir als Land insgesamt überhaupt sind.

Es wird spekuliert, dass Trump nun einen sogenannten "Mid-Census" abhalten will. Was ist damit gemeint?

Das wäre eine Volkszählung zur Mitte des Jahrzehnts, also 2025. Dazu muss man sagen, dass die Verfassung so etwas zur Sitzverteilung im Repräsentantenhaus nicht zulässt. Aber der Kongress hat in den 1970er Jahren ein Gesetz für eine mögliche Volkszählung zur Mitte des Jahrzehnts verabschiedet. Allerdings, um aktuellere und aktuellere Informationen und Statistiken über die demografischen und wirtschaftlichen Merkmale unserer Bevölkerung, Haushalte und Gemeinden zu erhalten. Aber wie gesagt: Das Gesetz verbietet es, eine solche Volkszählung zur Mitte des Jahrzehnts zur Neuverteilung der Sitze im Repräsentantenhaus oder zur Neuziehung der Wahlkreise zu nutzen.

Trump gibt an, dass Menschen ohne gültige Aufenthaltspapiere künftig von der Zählung ausgeschlossen werden. Das würde viele Millionen Menschen betreffen. Aber warum wäre das ein dramatischer Schritt?

Die ursprüngliche Verfassung schloss eine bestimmte Gruppe von der Repräsentation im Kongress aus. Sie verlangte, Sklaven, also schwarze Amerikaner, nur als drei Fünftel einer Person für die Zuteilung von Sitzen im Repräsentantenhaus zu zählen. Diese ziemlich beschämende Vergangenheit wurde nach unserem Bürgerkrieg 1865 durch den 14. Verfassungszusatz geändert, der besagt, dass die Volkszählung "die ganze Anzahl von Personen" zählen muss. Das bedeutet: alle in den Vereinigten Staaten lebenden Personen, unabhängig vom Einwanderungsstatus.

Warum müssen Menschen ohne Papiere gezählt werden, wenn sie doch gar nicht wählen dürfen?

Die Volkszählung sollte nicht nur auf den Wahlberechtigten basieren. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Wir haben Abertausende von rechtmäßigen Daueraufenthaltsberechtigten, die zwar nicht wählen dürfen, aber in unserem Militär dienen und unser Land beschützen. Sollten sie denn nicht vertreten sein? Aber noch wichtiger: Kinder wählen auch nicht. Sollten auch sie nicht vertreten sein? Die Zuteilung von Sitzen in unserem Repräsentantenhaus bestimmt auch die Anzahl von Wahlleutestimmen im Electoral College, mit denen schließlich der Präsident gewählt wird.

Inwiefern kann sich das am Ende auswirken?

Sehen Sie, Donald Trump hat etwa bei den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2016 das sogenannte Popular Vote, also bei den absoluten Stimmen verloren, aber bei Wahlleutestimmen im Electoral College gewonnen. Diese Mehrheit ist entscheidend, und die Anzahl der Wahlleute jedes Bundesstaates basiert auf den Bevölkerungszahlen der Volkszählung des jeweiligen Bundesstaates. Die Bedeutung einer verfassungsgemäßen Volkszählung kann also gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Wer die Zählweise verändert, ändert aber weit mehr, als es auf den ersten Blick erscheinen mag – und zwar weit über Wahlen hinaus.

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Was könnte sich dadurch verändern?

Auf Grundlage der Volkszählungsdaten werden jährlich Hunderte Milliarden von Dollars zugeteilt. Seit einer umfassenden Analyse im Jahr 2021 wissen wir: Insgesamt werden jährlich sogar zwei Billionen Dollar an Bundesmitteln für die Staaten und Gemeinden direkt oder indirekt durch Volkszählungsdaten verteilt. Dabei geht es um Dienstleistungen und Programme, die die Lebensqualität in allen Gemeinden verbessern. Wenn diese Daten gefälscht werden, kann der Kongress nur noch im Blindflug agieren, um auf die Bedürfnisse der Gesellschaft einzugehen.

Um welche Programme geht es dabei konkret?

Es geht um Dienstleistungen für die Berufsausbildung und die Gesundheitsversorgung für Veteranen, um Hilfsprogramme für ältere Menschen. Wir sprechen von der Gesundheitsversorgung in städtischen und ländlichen Krankenhäusern und von deren Finanzierung. Es geht um Gesundheitsprogramme wie Medicaid und Medicare, auf die viele Millionen Menschen angewiesen sind. Mit den Mitteln werden auch Autobahnen, Brücken und öffentliche Verkehrsmitteln instand gehalten. Das Geld fließt in die Verbesserungen der ländlichen Infrastruktur, Wirtschaftsentwicklung, in den Ausbau von Schulen, in die Einstellung von Lehrern – und vieles, vieles mehr.

Und wer nicht mehr gezählt wird, zählt auch nicht mehr?

Ja, auf diese Weise werden Menschen unsichtbar gemacht.

Will Donald Trump diese Menschen also gewissermaßen verschwinden lassen?

Ich werde nicht in die Gedankenwelt unseres Präsidenten oder von den Befürwortern eines solchen Ausschlusses bestimmter Menschen von der Volkszählung eindringen. Aber wenn diese grundlegenden Daten und damit auch die realen Lebensbedingungen überall in den Vereinigten Staaten verzerrt werden, gehen Geldströme einfach an die falschen Orte. Gemeinden erhalten dann entweder mehr Ressourcen, als sie benötigen und verdienen, oder sie erhalten nicht die Mittel, die sie dringend benötigen.

Das klingt nach Chaos.

Die Volkszählungsdaten betreffen auch Unternehmen, kleine und große, die sich basierend auf diesen Zahlen täglich entscheiden müssen. Es geht darum, in welchen Gemeinden sie investieren, wo sie etwa neue Geschäfte und Restaurants planen oder etwa Bankdienstleistungen anbieten. Für Unternehmer ist es wichtig, an den richtigen Orten zu investieren, und dazu müssen sie wissen, dass sie dort die richtige Art von Belegschaft haben, die sie auch einstellen können. Kurz gesagt: Jede wirtschaftliche Entscheidung, die unser Wachstum antreibt, hängt von einem genauen Zensus ab. Volkszählungsdaten durchdringen einfach alles – Entscheidungen der Regierung, des privaten oder des gemeinnützigen Sektors wie Stiftungen oder Nicht-Regierungs-Organisationen.

Zur Person

Terri Ann Lowenthal zählt zu den führenden Expertinnen für die amerikanische Volkszählung. Sie war langjährige Beraterin im US-Kongress, unter anderem als Stabschefin des "House Subcommittee on Census, Statistics, and Postal Personnel". Als unabhängige Analystin, Autorin und Rednerin beschäftigt sie sich seit Jahrzehnten mit Fragen des "Census" und ist eine prominente Verfechterin einer fairen und verfassungskonformen Zählung in den Vereinigten Staaten. Heute arbeitet sie als Beraterin für Stiftungen, gemeinnützige Organisationen und Städte in Fragen der Volkszählungspolitik und deren Durchführung.

Jede noch so kleine Veränderung kann einen sogenannten Schmetterlingseffekt auslösen, also massive und schwer kontrollierbare Auswirkungen haben. Und Trump will gewissermaßen per Handstreich alles über den Haufen werfen?

Die Auswirkungen könnten in der Tat fundamental sein. Eine Volkszählung zu planen, vorzubereiten und durchzuführen dauert 10 bis 12 Jahre. Unser "Census" ist der größte, komplexeste und komplizierteste Vorgang, den unsere Nation durchführt, abgesehen von der Mobilisierung für einen Krieg. Die Volkszählung ist die umfangreichste Friedensaktivität Amerikas.

Einmal zum Verständnis, warum ist das so kompliziert?

Weil Menschen je nach Familien- und Haushaltsstruktur unter ganz unterschiedlichen Umständen leben, die sich zudem ganz schnell ändern können. Sie reichen von Menschen, die in Wohnwagen hinter einem Haus leben, das an einer Meile langen Einfahrt in einem ländlichen Gebiet steht, bis zu Menschen, die in 40-stöckigen Hochhäusern in einer Stadt wie New York leben, in denen man in der Lobby zuerst an einem Portier vorbeimuss. Darunter sind dann Wohnungen, die von Singles bewohnt werden oder komplett überbelegt sind.

Und wie lässt sich all das feststellen?

Zum Beispiel anhand von Fragebögen, die verschickt werden. Schon kleinste Änderungen von einigen Wörtern können die Antworten im Fragebogen verzerren. Die Altersgruppe, die übrigens seit Jahrzehnten am schlechtesten erhoben werden kann, sind kleine Kinder unter fünf Jahren. Das scheint daran zu liegen, dass viele Eltern nicht zu verstehen scheinen, dass sie auch ihre Babys in das Formular eintragen sollten. Die Komplexität ist auch hier immens. Manche Kinder leben gemeinsam mit beiden Elternteilen, andere wechselweise bei einem Elternteil, wenn beide das Sorgerecht haben. Manche leben bei der Großmutter. Und auch hier gilt: Jede Veränderung der Zahlen hat einen Effekt auf die Verteilung politischer Repräsentation und öffentlicher und privater Ressourcen.

Da jede kleine Veränderung so viele Auswirkungen haben kann, muss man sich Sorgen machen, dass hinter Trumps Vorschlag ein Angriff auf die Demokratie stecken könnte?

Wenn man liest, dass am Tag vor dem Social-Media-Beitrag zur neuen Volkszählung des Präsidenten sein leitender Berater Stephen Miller sagte, die Demokraten hätten die Volkszählung im Jahr 2020 "manipuliert", ist das besorgniserregend. Miller verwendete eine Sprache, die der des Präsidenten sehr ähnlich war, als er vergangene Woche schon die Erhebung der Arbeitslosenstatistiken verunglimpfte. (Mehr dazu lesen Sie im t-online-Interview mit dem Ökonomen Rüdiger Bachmann.)

Sehen Sie dahinter also eine gezielte Strategie?

Ich mache mir große Sorgen, weil ich es als ganz bewusste Anstrengung sehe, Statistiken grundsätzlich zu diskreditieren. Die werden aber von sehr unpolitischen, überparteilichen, berufsmäßigen Beamten produziert. Die vermessen gewissermaßen unsere Wirtschaft und demografische Trends und andere wichtige Ereignisse. Auf der Grundlage dieser wichtigen Daten werden wie gesagt fast alle Entscheidungen der Politik abgeleitet. Ich befürchte, dass die Bevölkerung schnell Vertrauen in Regierungsstatistiken verlieren wird, und das schließt die Volkszählung ein.

Welche konkreten Konsequenzen hätte das?

Wenn es in weniger als fünf Jahren zur nächsten Volkszählung kommt, könnte die Beteiligungsquote einbrechen. Schlicht, weil viele Menschen keinen Sinn mehr darin sehen, mitzuwirken. Jede noch so kleine Gemeinde im Land würde unter den Konsequenzen leiden. Der Präsident und seine Berater und alle seine Verbündeten im Kongress sollten wirklich vorsichtig sein bei dem, was sie sich herbeiwünschen. Wenn sie Erschütterungen der Volkszählung planen, die gegen das Gesetz und die Verfassung verstoßen, nimmt das kein gutes Ende. Wenn sie nicht aufpassen, sprengen sie die komplette nächste Volkszählung. Das hätte unabsehbare Folgen, die sie gar nicht mehr eindämmen könnten.

Verwendete Quellen
  • Telefonisches Interview mit Terri Ann Lowenthal
  • Eigene Recherchen
  • Truth-Social-Profil von Donald Trump (Englisch)

Quellen anzeigenSymbolbild nach unten

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