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Donald Trump im Corona-Chaos: Dieses Versagen verzeihen sie ihm nicht


Post aus Washington
Dieses Versagen verzeihen sie ihm nicht

MeinungEine Kolumne von Fabian Reinbold, Washington

Aktualisiert am 26.06.2020Lesedauer: 4 Min.
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Donald Trump beim Auftritt in Wisconsin: Der Monat Juni gerät zum Albtraum.Vergrößern des Bildes
Donald Trump beim Auftritt in Wisconsin: Der Monat Juni gerät zum Albtraum. (Quelle: Evan Vucci/ap)

Amerika erlebt eine neue dramatische Welle an Corona-Fällen und Donald Trump flüchtet sich wieder in eine Fantasiewelt. Seine Nation scheint dem Präsidenten das Versagen in der Krise nicht länger zu verzeihen.

Es ist, als ob wir in Amerika in einer Zeitschleife feststecken. Vor genau drei Monaten schrieb ich hier in dieser Kolumne, dass Amerika vor einer dramatischen Verschärfung der Corona-Lage steht, während der Präsident gedanklich in einer Fantasiewelt Zuflucht sucht.

Seitdem ist wahnsinnig viel passiert, und doch muss ich diesen Satz jetzt so ein zweites Mal schreiben: Amerika steht vor einer dramatischen Verschärfung der Corona-Lage.

Statt in New York werden jetzt in Houston die Intensivbetten knapp, statt des Nordostens erleben jetzt der Südwesten und der Südosten einen beängstigenden Anstieg der Ansteckungen. Am Mittwoch und Donnerstag zählte man landesweit neue Rekorde an Neuinfektionen. Noch sind es abstrakte Zahlen, bald schon werden wir Bilder aus überlasteten Krankenhäusern sehen.

Am Dienstagabend erlebte ich immerhin einen US-Präsidenten, der den Ernst der Lage erkannt hatte. Er sagte, jetzt gelte es, auf die Experten zu hören, und sich beim Wahlkampf etwas zurückzunehmen. Es war allerdings nicht der Amtsinhaber, sondern sein Vorgänger.

Ich war bei einem Gespräch Barack Obamas mit Joe Biden für dessen Wahlkampfspender zugeschaltet – wegen Covid alles virtuell. Obama, ganz in Schwarz, rührte kräftig die Werbetrommel für seinen früheren Vize.

Zeitgleich sprach Donald Trump in einem Gotteshaus namens "Dream City Church" in Phoenix, Arizona – dem Staat mit der höchsten Rate an Neuinfektionen. Mittelgroße Halle, vollgepackt mit Menschen ohne Masken. Trump rätselte auf der Bühne, wofür das "19" bei Covid-19 steht und sinnierte, der hervorragende Job, den er mache, werde "von der Geschichte anerkannt werden, eines Tages."

In der "Dream City Church" träumte sich der Präsident also wieder einmal in eine Parallelwelt, in der man ihm die Rolle als Krisenmanager abkauft. Hier in der Wirklichkeit tut das seine Nation schon lange nicht mehr.

Trumps Amerika hat das Virus nicht unter Kontrolle. Das liegt zu einem großen Teil am Präsidenten und den verbündeten Gouverneuren in den Bundesstaaten, die schon aus dem Tragen einer Maske ein Politikum machen.

Doch das Virus kontrolliert, wie Amerika Trump sieht. Der Juni bescherte Trump eine erschreckende Umfrage nach der anderen. Für das lauteste Raunen in Washington sorgte am Mittwoch eine neue Erhebung der "New York Times". Biden 50 Prozent, Trump 36 Prozent, bundesweit. Eine Momentaufnahme, gewiss, aber auch ein dramatischer Vorsprung.

Noch wichtiger sind allerdings die Einzelergebnisse: In den wohl wahlentscheidenden Bundesstaaten liegt Biden mit rund zehn Prozentpunkten vorn – darunter sind die drei, in denen Trumps knappe Siege ihm den Gesamtwahlsieg bescherten: Michigan, Pennsylvania und Wisconsin. Aber auch in Staaten wie Arizona, Florida und North Carolina.

Biden punktet quer durch die wichtigen Wählergruppen. Liegt bei Frauen deutlicher vorn als einst Hillary Clinton, führt bei den Moderaten und Unabhängigen klar, macht bei den Rentnern viel Boden gut.

Was ist da passiert? Hat Biden plötzlich im virtuellen Wahlkampf aus seinem Keller geglänzt? Ist mit großen Reformentwürfen aufgetrumpft? Nichts dergleichen. Während Biden zufrieden an der Seitenlinie steht, sind alle Augen auf Trumps Umgang mit Amerikas Krisen gerichtet.

Interessieren Sie sich für US-Politik? Unser Washington-Korrespondent Fabian Reinbold schreibt über seine Arbeit im Weißen Haus und seine Eindrücke aus den USA unter Donald Trump einen Newsletter. die dann einmal pro Woche direkt in Ihrem Postfach landet.

60 Prozent sind laut NYT nicht nur mit Trumps Krisenmanagement unzufrieden, sondern wollen, dass sich die Regierung mit Priorität um die Eindämmung von Corona kümmert, auch wenn die Wirtschaft darunter leidet. So argumentiert auch Biden, während Trump es andersherum will: Economy first.

Trump nutzt jeden Auftritt weiterhin, um der Nation zu sagen, wie toll die Konjunktur lief, bevor das Virus kam. Wie super man teste, auch wenn er es für übertrieben halte. Und zur großen Rassismusdebatte, die seit dem Tod George Floyds vor einem Monat tobt, fällt ihm auch nicht mehr ein, als dass die Arbeitslosenzahlen von Schwarzen und Latinos vor der Krise so gering wie noch nie waren. Das alte Programm. Ganz so, als sei es bald ganz wie früher. Doch die Mitte der Nation ist bei diesen Fragen längst woanders und spürt: Der Präsident ist der Krise nicht gewachsen.

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Die Amerikaner sehen ja, dass es woanders in der Welt deutlich besser läuft. Einer Nation, die laut Erhebungen so unglücklich ist wie seit 50 Jahren nicht und so wenig stolz wie seit 20 Jahren nicht, helfen die Selbstbeschreibungen als "großartigstes Land der Welt" oder als Land, "das am Ende immer gewinnt" (Trump) nur bedingt.

Die Verbündeten bei Fox News und im Senat machen sich nun Sorgen, schlagen öffentlich Alarm und geben Ratschläge. Trump ahnt selbst, dass er verlieren könnte. Am Donnerstagabend sehe ich auf dem Fernsehschirm einen Präsidenten, der selbst im höchst freundlichen Interview bei "Fox News" wie unter Schock wirkt.

Ein Nebensatz Trumps lässt mich aufhorchen. Über Biden sagt er: "Der Mann kann nicht einmal reden. Und er wird Euer Präsident werden, weil mich manche Menschen nicht lieben, vielleicht, weil alles, was ich tue, ist meinen Job zu machen." Das klang auf Englisch genauso seltsam wie in meiner Übersetzung und zeigt, dass der mächtigste Mann auf Erden vor allem geliebt werden will.

Der Juni, der am Abend des Monatsersten mit einem nur durch Tränengas und Blendgranaten ermöglichten Fototermin vor einer Kirche begann, war ein einziges Desaster für den Präsidenten. Vielleicht gilt der Monat in den Erzählungen später als Anfang vom Ende, vielleicht als Tiefpunkt vor einer neuen Aufholjagd.

Es sind noch lange 130 Tage bis zum Wahltag. Wenn wir 130 Tage zurückblicken, dann stand Mitte Februar die Vorwahlkampagne Joe Bidens am Abgrund und ein Multimilliardär namens Mike Bloomberg galt als aussichtsreicher Trump-Gegner. Es wird also noch sehr viel passieren.

Was Trump macht, kann ich mir gut vorstellen: Er wird den Kulturkrieg befeuern, die Demonstranten verteufeln, die den Statuen zu Leibe rücken oder die Polizei umkrempeln wollen, sein Wahlkampfteam umbauen, wird Biden mit allem auch nur erdenklichen Schmutz bewerfen.

Alles noch drin, alles noch vorstellbar – doch einen Gedanken hat dieser Juni den Amerikanern greifbar gemacht: Donald Trump ist schlagbar.

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