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Proteste in Belarus: Das Volk will keinen schmutzigen Deal mehr


Proteste in Belarus und Libanon
Das Volk will keinen schmutzigen Deal mehr

MeinungVon Gerhard Spörl

Aktualisiert am 17.08.2020Lesedauer: 4 Min.
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Proteste in Belarus: Lukaschenkos Zeit läuft ab.Vergrößern des Bildes
Proteste in Belarus: Lukaschenkos Zeit läuft ab. (Quelle: imago-images-bilder)

Gleich in drei Teilen der Welt erheben sich Tausende Demonstranten gegen das herrschende System. Der Westen schaut oftmals nur zu – und kann doch beeindruckt sein.

In drei Ländern herrscht momentan Aufruhr, es gehen die Menschen auf die Straße und würden am liebsten ihre korrupten, selbstgefälligen Regime loswerden. In Hongkong dauern die Auseinandersetzungen mit der Staatsmacht am längsten an und dort gehen die wahren Herrscher in Peking mittlerweile am härtesten gegen die Opposition vor.

In Belarus ließ sich der Dauerherrscher Lukaschenko vom massiven Widerstand wegen der manipulierten Wahl vor einer Woche überraschen. Und im Libanon gehen die Menschen nach der Explosion im Hafen von Beirut gegen die schwache, inkompetente Regierung von Gnaden der Hisbollah vor.

Wir schauen von außen zu, nehmen Anteil, unsere Regierungen beteiligen sich an Sanktionen, die Diplomaten sprechen vor und versuchen zu mäßigen. All das ist richtig, all das verlangen sich Demokratien ab, auch wenn sie sich keinen Illusionen über ihren Einfluss hingeben und kaum auf Einsicht oder gar Mäßigung bei der KP Chinas, den theokratischen Regime in Iran oder in Russland erwarten, eben jenen größeren Mächten hinter den kleineren im Vordergrund.

Lukaschenkos Zeit läuft ab

Alexander Lukaschenko hat vor ein paar Tagen mit Wladimir Putin telefoniert. Offenbar ist er auf Rückversicherung bedacht, vielleicht hält er es sogar für möglich, dass er hinweggefegt wird. Seine Widersacherin Swetlana Tichanowskaja hat er ins Exil getrieben. Seine Sicherheitskräfte greifen Demonstranten auf und lassen sie im Gefängnis verschwinden. Nichts davon wirkt so abschreckend, wie er es gewohnt ist. 26 Jahre der Herrschaft über das 9,5 Millionen-Land sollten genug sein. Die Zeit läuft für Lukaschenko ab, selbst wenn er sich dank Putin behaupten kann.


Zwangsherrscher wie er gehen einen Deal mit ihrem Volk ein: Ich sorge für euch und ihr lasst mich machen. Lange ging das gut. Im Vergleich etwa zur Ukraine geht es Berlarus mehr als passabel. Der Staat verfügt über Industriekonglomerate, Traktorenfabriken und Großraffinerien. Der Staat ist der Patron. Arbeiter und Rentner bekommen Löhne und Pensionen zuverlässig ausgezahlt. In vielen Nachbarstaaten gilt diese Sicherheit als Errungenschaft.

Die Abhängigkeit von Russland beruht auf den Ölimporten. 24 Millionen Tonnen Rohöl führt Belarus zu Vorzugspreisen ein. Das ist mehr als das Land braucht. Deshalb verfiel Lukaschenko auf einen Bauerntrick und verkauft sechs Millionen Tonnen auf dem Weltmarkt zu Weltmarktpreisen. Auch deshalb war er im eigenen Land beliebt und galt im nahen Ausland als schlauer Fuchs.

Ein Alibi – nicht mehr

Der Libanon ist ein herrliches Land mit einem komplizierten politischen Pakt auf religiöser Grundlage, der die Ämter zwischen schiitischen und sunnitischen Muslimen und den Christen verteilt. Auch das ging einige Zeit gut. Bürgerkriege und Kriege haben das Land jedoch ruiniert. Die wahre Macht im Lande ist die Hisbollah von iranischen Gnaden.

Jahrelang lagen 2.750 Tonnen Sprengstoff im Hafen von Beirut. Zuerst auf einem Schiff, das vom russischen Eigner aufgegeben worden war, dann in einem Lager. Vor zwei Wochen ereignete sich diese monströse Explosion, die das ganze Land erschütterte, angeblich ausgelöst durch Schweißarbeiten. Die Erklärung überzeugt eigentlich niemanden. Die Analogie mit dem Brand in Notre Dame liegt verdächtig nahe – ein Alibi, nicht mehr. Die Hafenbehörden hatten die Regierung auf die gewaltige Gefahr im Lagerhaus aufmerksam gemacht. 2.750 Tonnen! Nichts passierte. So etwas nennt man organisierte Verantwortungslosigkeit.

Hassan Nasrallah ist der Chef der Hisbollah. Er lebt permanent in wechselnden Verstecken aus Angst vor Attentaten. Er hielt in der vergangenen Woche eine Ansprache, die man sich auf YouTube in englischer Übersetzung anhören kann. Wer ein Prachtexemplar an Gefühllosigkeit für fast 200 Tote und knapp 3.000 Verletzte erleben möchte, liegt bei Nasrallah goldrichtig.


Zwangsherrscher sind gut beraten, wenn sie Demonstranten nicht nur für bezahlte Agenten des Auslandes erklären. Aus Gründen der Beruhigung sollten sie wenigstens zu fingierter Selbstkritik fähig sein. Ihr Überleben ist ja ohnehin gesichert, weil im Zweifelsfall der große Bruder eingreift. Allerdings drehen sie meistens die Logik um und verhalten sich anders: Weil ihr Überleben gesichert ist, schlagen sie um sich und füllen ihre Gefängnisse. Wer sollte ihnen schon etwas anhaben.

Alles für eine 200 Jahre alte Idee

In Hongkong bewundere ich den Mut der meistens jungen Menschen, die seit einem Jahr einfallsreich und konsequent für den Rest ihrer Freiheiten eintreten. Sie tun das Richtige. Sie wissen, dass ihnen niemand helfen kann, nicht der einstige Kolonialherr Großbritannien, nicht Amerika. Trotzdem setzen sie ihre Zukunft aufs Spiel, vielleicht sogar ihr Leben. Für die Freiheit, für diese Idee, die seit 200 Jahren in der Welt ist.

In der vorigen Woche hat die Polizei Jimmy Lai abgeholt, einen Unternehmer, der die Demokratiebewegung unterstützt. Wenn noch ein Zeichen nötig gewesen sein sollte, dass die chinesische KP ernst macht, dann ist das jetzt erfolgt. Für Peking ist Demokratie westliche Dekadenz. Peking ist egal, was die Welt dort draußen denkt. Die Macht kommt aus den Gewehren und nicht aus den Regenschirmen der Studenten. So zynisch kann man die Dinge sehen.

Und so erfährt der Westen seine Ohnmacht in Belarus, im Libanon, in Hongkong, das ist leider wahr. Zugleich aber zeigen uns die Menschen auf den Straßen von Minsk, Beirut und Hongkong die Macht des Wunsches, in verantwortungsvollen Verhältnissen zu leben. Versteht sich, dass wir an ihrer Seite stehen.

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