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USA | Joe Biden: Die Demokraten demontieren ihren Präsidenten


Joe Biden in der Falle
Die Demokraten demontieren ihren Präsidenten

  • Bastian Brauns
Bastian Brauns, Washington

Aktualisiert am 01.10.2021Lesedauer: 5 Min.
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US-Präsident Joe Biden: Ausgerechnet seine eigene Partei bringt sein wichtigstes Vorhaben in Gefahr.Vergrößern des Bildes
US-Präsident Joe Biden: Ausgerechnet seine eigene Partei bringt sein wichtigstes Vorhaben in Gefahr. (Quelle: Ken Cedeno/imago-images-bilder)

Joe Bidens wichtigstes Präsidentschaftsprojekt steht auf der Kippe. Schuld sind nicht die Republikaner, sondern ausgerechnet die Demokraten. Die Zeit läuft ihm davon.

Dafür, dass es für Joe Biden derzeit politisch derart kritisch zugeht, ist vom US-Präsidenten in dieser Woche erstaunlich wenig zu hören. Nur bei einem Benefiz-Baseballspiel seiner demokratischen Kongressabgeordneten gegen die Republikaner war er diese Woche wirklich öffentlich präsent und fieberte fleißig mit.

Dabei droht im wirklichen Politik-Spiel nicht weniger als das Kernprojekt seiner gesamten Präsidentschaft zu scheitern: die USA fit für die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts und den systemischen Wettstreit mit China zu machen. Schuld daran sind ausgerechnet die unversöhnlichen Flügel seiner eigenen Partei.

Zwar konnte Biden wenige Stunden vor Mitternacht endlich jenes Gesetz unterschreiben, das den seit Tagen drohenden Shutdown der USA verhindert. Weil Teile der Republikaner im Senat schließlich doch noch einer Art Übergangshaushalt zugestimmt haben, ist nun zumindest bis zum 3. Dezember die Finanzierung der Bundesbehörden gesichert.

Doch das war im Grunde nur ein aufsehenerregender Nebenkriegsschauplatz. Die beiden bedrohlichsten Probleme des US-Präsidenten sind längst nicht aus der Welt.

Werden die USA zahlungsunfähig?

Zum einen ist da die in dieser Art weltweit relativ außergewöhnliche, gesetzlich sehr konkret festgelegte Schuldenobergrenze: Diese werden die USA voraussichtlich bereits am 18. Oktober reißen, mit unabsehbaren Folgen für die gesamte Weltwirtschaft. Experten warnen vor Verwerfungen, die sogar schlimmer als die der vergangenen Banken- und Finanzkrise würden. Es sei denn, es wird eine Lösung gefunden.

Doch während Bidens Finanzministerin Janet Yellen den Mechanismus der Schuldenobergrenze am liebsten ganz abschaffen würde, wollen die Republikaner und auch zwei Senatoren der Demokraten die Obergrenze derzeit nicht einmal erhöhen.

In Washington machen deshalb bereits Gerüchte die Runde, Joe Biden könnte mit teils kurios anmutenden Tricks dieses strenge Schuldenlimit umgehen. Etwa mit dem Prägen einer Platin-Münze im Wert von 2 Billionen Dollar oder mit einer Art Notgesetz, das noch aus Zeiten des Bürgerkrieges stammt. So unglaublich das auch klingen mag, Strategen im Weißen Haus beschäftigen sich mit derlei Szenarien. Denn den Ausbruch einer erneuten weltweiten Finanzkrise will wohl kein US-Präsident verantworten müssen. Wahrscheinlich würden aber eher noch einige moderate Republikaner zustimmen, als dass es dazu kommen würde. Als Drohszenario taugen diese Optionen aber immerhin.

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Bidens Kernprojekt in großer Gefahr

Innenpolitisch nicht minder brisant ist auch etwas anderes. So droht ausgerechnet das politische Herzensanliegen von Joe Bidens gesamter Präsidentschaft zu scheitern, seine "Build back better"-Agenda und sein Infrastrukturpaket.

Auch wenn es noch nicht vom Tisch ist: Das eine Billion Dollar schwere Infrastrukturpaket ist am Donnerstag hier in Washington kurz vor Mitternacht vorerst gescheitert. Es kam im Kongress zu keiner Abstimmung, weil nicht genug Ja-Stimmen der Demokraten im Repräsentantenhaus zusammengekommen sind.

Mit diesem Infrastrukturpaket sollen eigentlich Brücken, Straßen, Eisenbahntrassen, Flughäfen, Bahnhöfe, Breitbandnetze, Ladesäulen, Strom- und Wasserleitungen erneuert und gebaut werden. All das ist längst überfällig. Zuletzt haben die USA vor rund 15 Jahren in einem vergleichbaren Umfang in ihre Infrastruktur investiert.

Zwar gäbe es für dieses Gesetz im Senat eine hauchdünne Mehrheit. Denn an Bord wären auch die beiden notorischen Querschläger unter den Demokraten, Joe Manchin und Kyrsten Sinema. Ausgerechnet an einigen Dutzend progressiv-linken Abgeordneten im Repräsentantenhaus aber scheitert dieses Gesetz derzeit. Angeführt von Bernie Sanders wollen sie erst dann zustimmen, wenn sie von moderaten Demokraten wie dem Senator Joe Manchin die Garantie bekommen, dass dieser einem anderen entscheidenden Investitionspaket von Joe Biden zustimmt – der sogenannten "Build back better"-Agenda. Das wäre aber nur gesichert, wenn beide Pakete als eine Art Tandem-Gesetz zusammen zur Abstimmung kommen würden.

Demokraten-Blockade in beiden Kammern

Mit den für die "Build back Better"-Agenda vorgesehenen 3,5 Billionen Dollar wollen Biden und insbesondere die linken Demokraten etwa Kinderbetreuung und den College-Besuch teils kostenlos machen. Der Klimawandel soll bekämpft, die Gesundheitsversorgung ausgebaut und Medikamentenpreise sollen gesenkt werden. Gegenfinanzieren will man das mit höheren Steuern ("Tax the rich") für die großen Unternehmen und für Menschen, die mehr als 400.000 Dollar pro Jahr verdienen.

Der Senator Joe Manchin aus West Virginia und die Senatorin Kyrsten Sinema aus Arizona aber wollen da nicht mitziehen. Damit wäre die knappe Mehrheit im Senat dahin. Stattdessen legte Joe Manchin am Donnerstag sein eigenes Limit fest. Allem, was über 1,5 Billionen Dollar hinausgehe, würde er schlicht die Zustimmung verweigern. Und dann schob er noch einen Satz hinterher, der viele an seiner Eignung als Mitglied der Demokraten zweifeln ließ: "Ich war nie ein Liberaler, in keiner Art, in keiner Form und auch nicht sonst in irgendeiner Weise." Wenn also die Progressiven in größerem Umfang Geld ausgeben wollten, müssten sie eben dafür sorgen, dass mehr Liberale gewählt würden.

Diese Breitseite ist durchaus als Gegenschlag gegen Angriffe zu verstehen, die Manchin seit Langem vonseiten der Progressiven aushalten muss. Unmut in der eigenen Partei erregt der Abgeordnete aus West-Virginia auch dadurch, dass er als einer der wenigen Demokraten gegen die Abschaffung der sogenannten Filibuster-Regel ist, mit der die Republikaner derzeit immer wieder Gesetze im Kongress scheitern lassen. Ließen die Demokraten Manchin aber fallen, wäre ihre Mehrheit im Senat dahin. Sein von der Kohleindustrie geprägter Bundesstaat West Virginia wäre womöglich auf lange Zeit in der Hand der Republikaner.

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Aber warum bleibt Joe Biden derart im Hintergrund? Tatsächlich mied er in dieser Woche öffentliche Auftritte zu dem wichtigsten Thema seiner Präsidentschaft. Zu groß scheint die Sorge vor einem Scheitern zu sein, als dass er als Präsident schon jetzt sein Pulver verschießen möchte. Es steht für ihn nicht weniger auf dem Spiel als sein Vermächtnis. Immerhin: Es fiel auf, dass er am Mittwoch nicht wie eigentlich geplant nach Chicago reiste, um dort eine Rede über den Kampf gegen Covid-19 zu halten.

Joe Biden führte mit dem ewig renitenten Joe Manchin Gespräche im Weißen Haus und tauschte sich mit seinen Wirtschaftsberatern aus. Aber im Vordergrund agieren vor allem seine Parteikollegen, die Sprecherin des Repräsentantenhauses Nancy Pelosi und der Mehrheitsführer der Demokraten im Senat, Chuck Schumer.

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Die beiden ebenfalls sehr erfahrenen Politiker sollen das Kunststück hinbekommen, die bitter zerstrittenen Kontrahenten und unterschiedlichen Strömungen innerhalb der eigenen Partei zu einem Kompromiss zu bewegen. Bislang sind sie damit gescheitert. Am Freitagmorgen soll es im Kongress mit den Verhandlungen weitergehen, von denen derzeit niemand weiß, wie sie ausgehen werden. Vielen fehlt selbst die Fantasie, wie die unversöhnlichen Ansichten einander angenähert werden könnten.

Doch der Präsident braucht diesen Erfolg. Denn Joe Biden ist angeschlagen. Nur noch rund 40 Prozent der Bevölkerung bewerten seine Amtsführung als gut. Afghanistan-Abzug, Pandemie, Inflation und die Migrationskrise an der Grenze zu Mexiko hinterlassen ihre Spuren. Das Tragische: Schon lange war kein demokratischer Präsident mehr in der Lage, auf zwar denkbar knappe, aber eben doch vorhandene Mehrheiten in beiden Kammern des Kongresses zurückzugreifen. Doch der Spalt innerhalb der Partei zwischen links und rechts war wohl noch nie so groß wie jetzt.

Darüber kann auch das Baseball-Benefizspiel der Kongressabgeordneten nicht hinwegtäuschen, das diese Woche stattgefunden hat, und bei dem Demokraten als Mannschaft vereint gegen die Republikaner antraten.

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