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Proteste im Iran: "Das Regime hat jetzt wirklich Angst"


Proteste im Iran
"Das Regime hat jetzt wirklich Angst"

InterviewVon Lisa Becke

Aktualisiert am 05.11.2022Lesedauer: 7 Min.
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Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.

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Proteste im Iran: "Egal was passiert, die Iranerinnen und Iraner werden nicht mehr aufhören", sagt Djafari. (Quelle: IMAGO/Stringer)

Viele Iraner sind von der Bundesregierung enttäuscht. Ehsan Djafari, Chef der iranischen Gemeinde, findet: Gerade Deutschland muss entschlossener handeln.

Vier Minuten vor dem Termin hastet Ehsan Djafari aus dem Aufzug und den langen Gang im dritten Stock entlang. Er schließt den Sitzungsraum der Iranischen Gemeinde in Deutschland auf, aber läuft noch schnell in die Küche, um Wasser mit Kohlensäure und zwei Gläser zu holen.

Als der Vorsitzende des säkularen Vereins dann sitzt, redet er langsam und bestimmt. "Ich habe zurzeit eigentlich keine Nacht und keinen Tag – alles geht ineinander", sagt der 61-Jährige, der im Iran geboren ist. Bis drei oder vier Uhr morgens lese er Nachrichten, schaue Videos, die nach draußen dringen und überlege sich, was er noch organisieren, an wen er noch einen Brief schreiben, mit welchem deutschen Abgeordneten er noch sprechen könnte.

Seit mehr als sechs Wochen geht das so, denn seit mehr als sechs Wochen geht das iranische Regime brutal gegen die Protestierenden vor. Als junger Mann war Djafari selbst für kurze Zeit im Iran inhaftiert gewesen. Danach hat er das Land verlassen und konnte seitdem nicht zurück. Im Gespräch erklärt er, warum sich seiner Meinung nach gerade Deutschland für die Iranerinnen und Iraner einsetzen müsste, was dem Regime wirklich weh tun würde und warum ein Spruch von Martin Luther für ihn nun von besonderer Bedeutung ist.

t-online: Herr Djafari, rund sechs Wochen nach dem Beginn der Proteste im Iran hat sich Olaf Scholz am Montag geäußert und die "unverhältnismäßige Gewalt der iranischen Sicherheitskräfte" verurteilt. Zuvor hatte die deutsch-iranische Community heftig kritisiert, dass er das nicht tat. Ist diese Kritik jetzt hinfällig?

Ehsan Djafari: Nein, leider nicht.

Warum nicht?

Es geht nicht nur darum, was der Bundeskanzler sagt, sondern auch darum, was er tut. Was Olaf Scholz in dem Zusammenhang mitgeteilt hat, ist unverbindlich.

Was meinen Sie damit?

Scholz sagt, dass er neben den bereits verhängten EU-Sanktionen gegen den Iran weitere Schritte "prüfen" will. Ich verstehe seine Aussage so: Er ist beunruhigt und findet es schrecklich, was gerade im Iran passiert, will aber – zumindest erst mal – nichts dagegen tun. Für Iranischstämmige und Iranerinnen und Iraner in Deutschland ist das bei Weitem nicht ausreichend, angesichts dessen, was im Iran gerade geschieht.

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Zu sagen, dass nichts getan wurde, stimmt nicht: Die EU – und damit auch Deutschland – hat Sanktionen gegen elf iranische Personen und vier Organisationen erlassen.

Das Problem ist nur: Was Deutschland und die EU bislang getan haben, tut dem iranischen Regime überhaupt nicht weh. Die westlichen Länder müssen dem Iran aber zeigen, dass sie es nicht akzeptieren, wenn ein Regime jeden Tag ohne Grund Menschen niederknüppelt, inhaftiert und tötet.

Welche Strafmaßnahmen könnten das erreichen?

Wir fordern, dass alle Angehörigen der iranischen Regierung konsequent sanktioniert werden – die Konten der Verbrecher des Regimes in der EU müssen eingefroren werden. Es gibt ein ganzes Netz an mafiaähnlichen Strukturen, das seit Jahrzehnten in Europa investiert und hier das gestohlene Geld in einen sicheren Hafen gebracht hat. Deshalb würden solche Maßnahmen die Machtelite tatsächlich treffen.

Warum passiert das Ihrer Meinung nach nicht?

Vermögen einzufrieren, ist nicht schwierig, es braucht nur den politischen Willen. Ich gehe davon aus, dass die Bundesregierung nicht alle Brücken hinter sich einbrechen lassen will; für den Fall, dass es im Iran nicht zum Umsturz kommt. Das ist inakzeptabel. Wann und wo soll sonst eine wertebasierte und feministische Außenpolitik Anwendung finden, wenn nicht jetzt im Iran? Dort protestieren jeden Tag mutige junge Frauen und Männer im ganzen Land unter Einsatz ihres Lebens mit dem Slogan "Frau, Leben und Freiheit".

Stimmt Sie diese Haltung der deutschen Regierung traurig?

Ich bin traurig über die massive Gewaltanwendung im Iran gegen die Protestierenden und über die vielen Toten, Verletzten und Inhaftieren. Darüber, dass die Bundesregierung noch in ihrer Zurückhaltung verharrt, bin ich enttäuscht. Niemand weiß, ob und wie lange diese islamische Regierung noch Bestand hat. Sie könnte auch innerhalb kürzester Zeit weg sein. Für die Menschen im Iran jedenfalls ist nun ein "point of no return" erreicht.

Heißt?

Egal was passiert, die Iranerinnen und Iraner werden nicht mehr aufhören, sich gemeinsam gegen dieses klerikale, korrupte, inhumane und illegitime System zu wehren. Zum ersten Mal in der Geschichte der Islamischen Republik sind die breiten Schichten der multiethnischen Gesellschaft Irans direkt und indirekt in diese revolutionäre Bewegung involviert – und bereit, dafür auch teuer zu bezahlen.

Die Frage ist also: Wie schlimm wird das sein, was sie auf dem Weg zur Freiheit, Gleichberechtigung und für ein würdevolles und besseres Leben zu ertragen haben? Wie viele Menschen werden noch sterben? Dass Deutschland nun nicht entschlossen handelt, ist fatal.

Weil jetzt der entscheidende Zeitpunkt ist?

Genau, es gibt eine einmalige und historische Chance. Das iranische Regime hat jetzt wirklich Angst. Ein starkes und demokratisches Land wie Deutschland mit eigener Erfahrung mit Unrechtssystemen, Willkür und Tyrannei müsste eigentlich dafür sorgen, dass diese berechtigte Protestbewegung unterstützt wird. Das Minimale aber ist: Die deutsche Regierung muss endlich aufhören, das Regime mit ihrer zurückhaltenden Politik de facto zu unterstützen.

Was meinen Sie damit?

Deutschland braucht eine grundsätzlich andere Politik dem Iran gegenüber, die Zeit des Appeasements muss endlich vorbei sein. Wir haben es hier mit einer Diktatur zu tun, die jeden Tag Kinder und Jugendliche tötet, weil diese auf die Straße gehen.

Unter Appeasement versteht man eine Politik der Zurückhaltung und sogar des Entgegenkommens aggressiven Staaten gegenüber. Woran machen Sie fest, dass Deutschland gegenüber dem Iran eine solche Politik fährt?

Schauen Sie, es passiert gerade nicht zum ersten Mal, dass die islamische Regierung tötet. Nur ein Beispiel: 2019 wurden mehr als 1.500 Demonstrierende – zum Teil Jugendliche und Kinder – von der Polizei, den Revolutionsgardisten und Milizen der Regierung auf den Straßen regelrecht hingerichtet. Sie waren wegen einer Verteuerung des Benzinpreises auf die Straße gegangen. Wie stark war die politische Reaktion Deutschlands? Egal, welche Verbrechen die iranische Regierung in den vergangenen 40 Jahren begangen hat: Deutschland hat immer, ganz gleich welche Parteien auch in der Regierung waren, einen direkten Gesprächskanal zur iranischen Führung offengehalten. Was hat das insgesamt bewirkt?

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Iranische Gemeinde in Deutschland

Der säkulare Verein wurde 2010 in Berlin gegründet und hat zum Ziel, die in Deutschland lebenden Menschen aus dem Iran politisch zu vertreten. Schätzungen zufolge leben rund 300.000 Exiliraner und iranischstämmige Menschen in Deutschland.

Sie fordern, dass Deutschland alle diplomatischen Beziehungen zum Iran abbricht?

Nein. Aber wir sind für maximalen Druck auf die iranische Regierung. Das bedeutet auch, dass man nicht unter allen Umständen an wirtschaftlichen Beziehungen festhält. Deutschland verfolgt mit dem Iran nach wie vor den Ansatz: Dialog durch Handel führt zu Wandel. Das hat noch nie funktioniert – leider. Für mich heißt das auch: Die Atomgespräche mit dem Iran müssen sofort beendet werden.

Wenn der Iran aber tatsächlich Atombomben bauen würde, könnte das verheerende Konsequenzen für die ganze Welt haben.

Das stimmt. Aber wer kann zusichern, dass der Iran das nicht so oder so tut? Es könnte schon geschehen, während die Gespräche noch andauern. Die Frage also ist: Hat man Vertrauen zu dieser Regierung? Die Hoffnungen wurden schon oft enttäuscht, weil der Iran etwas anderes sagt, als er tut. Indem aber Gespräche fortgeführt werden, wird das iranische Regime de facto legitimiert. Das Regime muss allerdings begreifen, dass es so nicht länger agieren darf. Deutschland und die EU müssen also so handeln, dass das Spielfeld der iranischen Regierung eingeengt wird – und klar eine neue Richtung aufzeigen.

Das könnte sich bereits andeuten: Außenministerin Annalena Baerbock von den Grünen hat zuletzt gesagt, dass es kein "Weiter so" in den Beziehungen zum Iran geben könne.

Das bringt nicht viel, solange keine Taten folgen.

Warum ist eigentlich gerade Deutschland in der Frage so wichtig?

Weil das deutsche Wort bei den anderen europäischen Staaten Gewicht hat. Dass Deutschland besonders wichtig in dieser Frage ist, zeigen auch die Machthaber im Iran in ihrer Reaktion: Am Dienstag haben Regimetreue vor der deutschen Botschaft in Teheran protestiert – weil sie finden, dass Deutschland die Kritiker unterstützt. Sie hätten auch vor vielen anderen westlichen Botschaften protestieren können, haben es aber vor der deutschen getan.

Auch in Deutschland selbst sind Iranerinnen und Iraner vom Regime bedroht.

Es besteht kein Zweifel daran, dass die Spione und Spitzel des Regimes in Deutschland unterwegs sind. Sie fotografieren Menschen, die sich kritisch äußern, um sie – wenn sie in den Iran reisen – am Flughafen festzunehmen. Das sind oftmals auch deutsche Staatsbürger, denen schlimme Konsequenzen drohen oder die sogar um ihr Leben fürchten müssen, weil sie auf einer Demonstration gewesen sind oder ihre Meinung öffentlich geäußert haben. Das kann nicht sein. Innenministerin Nancy Faeser muss endlich handeln. Spionage vonseiten der iranischen Regierung muss untersagt und juristisch verfolgt werden. Wir erwarten als Iranerinnen und Iraner in Deutschland, dass wir geschützt werden.

Trotzdem äußern Sie sich öffentlich – gerade auch in den vergangenen Wochen seit dem Ausbruch der Proteste.

Gerade erst war der Reformationstag. Man kann von Martin Luther halten, was man will, aber an seine Aussage muss ich oft denken: "Nun stehe ich hier und kann nicht anders." Das ist genau der Punkt. So geht es vielen Iranerinnen und Iranern, egal wo wir auf der Welt sind: Wir müssen gemeinsam unsere Stimme erheben und dafür plädieren, dass irgendwann wieder Menschlichkeit in den Iran einkehrt – dafür, dass es eine bessere Zukunft für die Kinder des Irans gibt.

Herr Djafari, herzlichen Dank für dieses Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Persönliches Gespräch am 1. November 2022 in Berlin
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