Spenden-YouTuber tobt nach t-online-Recherchen
Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr fΓΌr Sie ΓΌber das Geschehen in Deutschland und der Welt.

Der AfD-nahe Influencer Niklas Lotz ist auf der Palme: Nach Recherchen von t-online spricht er von "seelischer Grausamkeit" β und nutzt den Fall zum Spendensammeln.
Der YouTuber Niklas Lotz, der mit weitgehend inhaltslosen Videos in Erscheinung tritt, ist nach der Berichterstattung von t-online ΓΌber die Art seines Spendensammelns in Rage geraten. Er bezeichnet den Text als "brutalen" und "feigen Angriff" und versucht in einem Video einige Ungereimtheiten auszurΓ€umen.
Lotz gibt in dem Video zu, dass er alle Anfragen von t-online bewusst ignoriert hat. Die Redaktion hatte ihm damit die Gelegenheit geben wollen, seine Sicht der Dinge darzustellen und offene Fragen zu klΓ€ren. Erst nach Erscheinen des Textes liefert er in einem Video vermeintliche Beweise und will so den Eindruck erwecken, der ganze Artikel sei "nur auf LΓΌgen" aufgebaut. "t-online-Journalist Lars Wienand mΓΆchte mein Leben zerstΓΆren", behauptet er darin. Dabei ignoriert er wichtige Punkte und lΓΆscht am FlieΓband Hinweise und Nachfragen unter seinen BeitrΓ€gen. In einem wichtigen Punkt widerspricht er allerdings einer Darstellung der Staatsanwaltschaft Ulm, ΓΌber die t-online berichtet hatte.
Darum geht's: t-online hatte geschrieben, Lotz animiere seine Zuschauer zu Spenden mittels Strafanzeigen, von denen die Betroffenen nichts wissen. Einerseits verlinkt er in seinen MeinungsbeitrΓ€gen oft Γberschriften seriΓΆser Medien. Zum anderen stellt er sich als Opfer dar und sagt, dass es anderen auch so ergehen kΓΆnnte. In seinen Videos suggeriert er den Zuschauern einen sinnvollen Kampf, bei dem sie ihn unterstΓΌtzen sollen β und dies offenbar auch tatkrΓ€ftig tun: Auf Twitter trΓ€gt er inzwischen den Spitznamen "Schickiniki", weil er in einigen Videos teure Designerklamotten trΓ€gt. Lotz erklΓ€rt den t-online-Beitrag zum Teil einer linken Kampagne, ignoriert die meisten Kritikpunkte in seinem Video.
Medienjournalist: "Das ist Methode 'LotzlΓΆffel'"
Der Medienjournalist Holger Kreymeier ("Massengeschmack.tv"), der selbst schon mehrfach ΓΌber Lotz berichtet hat, hΓ€lt das fΓΌr typisch: "Das ist die Methode 'LotzlΓΆffel': Kleinigkeiten dramatisieren, sich zum Opfer machen, sich wichtiger darstellen als man ist β und vor allem: die berechtigten VorwΓΌrfe nicht erwΓ€hnen und darΓΌber schweigen." Lotz habe sich aus einem Artikel voller berechtigter VorwΓΌrfe nur den Teil herausgepickt, der AngriffsflΓ€che biete. Zugleich nutzt er das als AufhΓ€nger, neue Spenden zu erbitten.
Der YouTuber zeigt in dem Beitrag, dass er tatsΓ€chlich Anzeige erstattet hat. So auch gegen den ARD-Journalisten Georg Restle, den Leiter und Moderator des Politikmagazins Monitor. "ES REICHT!" hatte Lotz ein zehnminΓΌtiges Video betitelt. Er lasse sich "von ΓΆffentlich-rechtlicher Diffamierung nicht einschΓΌchtern". Dass Restle von der Anzeige im September bis heute nichts gehΓΆrt hat, erwΓ€hnt er nicht: "Ich habe nie etwas davon gehΓΆrt", sagte Restle t-online. Keine Konsequenzen bisher fΓΌr seine Aussage, man kΓΆnne Lotz "getrost eher zu den hartgesottenen Rechtsextremen zΓ€hlen".
So Γ€hnlich erging es der Kommunalpolitikerin Barbara Domke, Stadtverordnete der GrΓΌnen in Cottbus. Lotz hatte seine Fans angestachelt: "Lehren wir die GrΓΌnen, dass Verleumdung Konsequenzen hat!", als er sie im Oktober anzeigte. Domke hatte gesagt, Lotz wΓΌrden 80.0000 russische Bots folgen. Lotz stellte das als unerhΓΆrten Angriff dar. Sie bekam nach der Anzeige keine Post von der Justiz β aber Lotz' Zuschauer hatten das GefΓΌhl, etwas zu bewegen. "Er sucht kreativ VorwΓ€nde, um nach Geld zu fragen", sagt Domke. Mit einer Anzeige hat Lotz billigen Stoff, den er fΓΌr sein Publikum spektakulΓ€r aufblasen kann β egal, ob an den VorwΓΌrfen etwas dran ist oder nicht.
Ermittlungen nach den Anzeigen eingestellt?
Der WΓΌrzburger Jurist Chan-jo Jun, der sich intensiv mit dem Thema Hasspostings beschΓ€ftigt, sagt: "Wenn es ein halbes Jahr nach einer Anzeige mit bekanntem VerdΓ€chtigen noch keine AnhΓΆrung gibt, spricht das dafΓΌr, dass der Fall kompliziert ist β oder dass das Verfahren bereits eingestellt ist oder eingestellt werden soll". Im Falle einer Einstellung wΓΌrde Lotz benachrichtigt β erzΓ€hlt hat er davon aber nichts. Auch auf Nachfrage antwortete er wieder nicht. Die Staatsanwaltschaft Ulm konnte zum Stand zunΓ€chst keine Angaben machen.
Lotz selbst bekam prompt Post von den BehΓΆrden, als er im Oktober 2022 schrieb, die GrΓΌnen-Chefin Ricarda Lang sitze "ohne Intelligenz" im Bundestag. Innerhalb von vier Wochen wurde er als Beschuldigter zum Vorwurf der Beleidigung vernommen. Das Video zu der Anzeige bezeichnete er als sein "wichtigstes Video". Er betitelte es mit "ICH KANN NICHT MEHR". In den darauffolgenden Tagen konnte er allerdings zahlreiche Posts ΓΌber die angeblichen Versuche verΓΆffentlichen, ihn zum Schweigen zu bringen.
Aktuell hat er nun Annalena Baerbock ausgewΓ€hlt, ein zehnminΓΌtiges Video ist ΓΌberschrieben mit "ES REICHT! ANZEIGE gegen BAERBOCK IST RAUS!" Mit sehr einfachen Mitteln prΓ€sentiert sich Lotz so als KΓ€mpfer gegen GrΓΌne, KlimaschΓΌtzer, Journalisten.
Er selbst arbeitet dabei permanent mit absurden Γbertreibungen wie "bricht zusammen", "stΓΌrzt ab" gegen Politiker und Journalisten und bedient mit seinen Angriffen einen "WutbΓΌrger-Mob, den PΓΆbel", wie Medienjournalist Kreymeier das nennt. TatsΓ€chlich bringt das Lotz auch regelmΓ€Γig viel Widerspruch ein, wie t-online berichtete. Auf Twitter trenden Formulierungen wie "#NikischreibtKacki".
Immer wieder berichtet Lotz von Morddrohungen. TatsΓ€chlich gibt es digitale Gewalt gegen Vertreter aller politischen Richtungen, auch rechte Blogger wie Lotz kΓΆnnen zur Zielscheibe werden, sagt Anna-Lena von Hodenberg, GeschΓ€ftsfΓΌhrerin von der Beratungsstelle HateAid. Die Beratungsstelle hilft auch in solchen FΓ€llen, wenn die Opfer nicht selbst digitalen Hass verbreiten. Lotz ist kein Klient.
Er hatte auch kurz vor Weihnachten am 22. Dezember erklΓ€rt, eine "Morddrohung" bekommen zu haben. Am 5. Januar meldete er sich wieder zu dem Fall und erklΓ€rte, die Inhaberin des anonymen Accounts, die von "Vergasen" geschrieben hatte, sei ermittelt und er sei von der Polizei gebeten worden, Strafantrag zu stellen.
"Morddrohung" ist in Wahrheit Beleidigung
Die ungewΓΆhnlich schnelle KlΓ€rung des Sachverhalts ΓΌber Weihnachten und Neujahr hatte viele Nutzer verwundert. Auf Nachfragen antwortete Lotz nicht, sondern fΓΌgte die Fragesteller seiner langen Liste gesperrter Accounts hinzu. Auch Leute, die nie etwas mit ihm zu tun hatten, sind gesperrt und wundern sich, wenn er von "Meinungsfreiheit" spricht.
Nachfragen von t-online per Mail, Twitter, auf seiner Mailbox und per WhatsApp ignorierte er. Jetzt stellt sich heraus: Er hΓ€tte bestΓ€tigen kΓΆnnen, dass es sehr wohl eine Anzeige gab β anders als von der Staatsanwaltschaft Ulm angegeben. Sie hatte t-online auf Anfrage mitgeteilt, "dass eine entsprechende Strafanzeige datiert vom 22.12.2022 beim PolizeiprΓ€sidium Ulm [das auch die Polizeidienststellen in Lotz Wohnort einschlieΓt] nicht verzeichnet ist. Es erΓΌbrigt sich daher auch die Beantwortung, ob eine Person in diesem Zusammenhang vorgeladen wurde, um einen Strafantrag schriftlich zu stellen." t-online hatte das auch so berichtet.
Lotz hat nun ein Bild dieses Strafantrags gepostet. Auf eine erneute Anfrage an die Staatsanwaltschaft konnte die Polizei zunΓ€chst dennoch nichts dazu finden. Nach einer dritten Anfrage von t-online mit dem Aktenzeichen aus dem Video wurde die Staatsanwaltschaft selbst fΓΌndig. Sprecher Michael Bischofberger: "Es gibt diese Anzeige, und die Polizei hΓ€tte sie finden mΓΌssen. Dort wurde offenbar nicht gut genug nachgeschaut." Die Staatsanwaltschaft bedauere das. Lotz hat damit also den Verdacht ausgerΓ€umt, er kΓΆnnte die Anzeige erfunden haben.
Das von Lotz verbreitet Bild seines Strafantrags verrΓ€t aber auch: Ermittelt wird gar nicht wegen "Morddrohung", sondern wegen Beleidigung. Das klingt aber weit weniger dramatisch.
- Anfragen an Staatsanwaltschaft Ulm
- GesprΓ€ch mit Holger Kreymeier