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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Strom-Diskussion bei "Lanz" Palmer-Kritik an Seehofer: "Muss zurückgedreht werden"

Boris Palmer setzt beim Klimaschutz auch auf Friedrich Merz – und nimmt den Kanzler in Schutz. Eine Expertin sieht im Kanzler bei "Lanz" hingegen kein Vorbild.
Boris Palmer hat Bundeskanzler Friedrich Merz gegen Kritik an dessen Aussagen zum Klima in Schutz genommen. Der Bundeskanzler habe eigentlich nur eine Tatsachenschreibung abgeliefert – dass nämlich Deutschland mit einem Prozent der Weltbevölkerung für zwei Prozent der globalen CO₂-Emissionen verantwortlich ist, erklärte der Tübinger Oberbürgermeister am Donnerstag bei "Markus Lanz". Man müsse aufpassen, da nicht "Unterstellungen" hineinzuinterpretieren, sagte der ehemalige Grünen-Politiker. Merz war kritisiert worden, weil er gesagt hatte, durch ein klimaneutrales Deutschland "würde keine einzige Naturkatastrophe auf der Welt weniger geschehen." Die Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge warf Merz eine "klimapolitische Bankrotterklärung" vor.
Gäste
- Boris Palmer (parteilos), Tübinger Oberbürgermeister
- Jochem Marotzke, Klimaforscher
- Maja Göpel, Nachhaltigkeitsexpertin
- Axel Bojanowski, Journalist ("Welt")
Der Oberbürgermeister will Merz, der auch sagte, er wolle die Klimaziele erreichen, wenn dies möglich sei, beim Wort nehmen. Der ehemalige Grünen-Politiker forderte vehement, Hindernisse aus dem Weg zu räumen und kosteneffizienter zu sein. Palmer verlangte zum Beispiel in der ZDF-Talkshow, neue Stromtrassen künftig wieder vorzugsweise oberirdisch zu verlegen. Dass dies seit zehn Jahren unterirdisch erfolgt, primär auf Wunsch des einstigen bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer (CSU), bezeichnete Palmer als "Quatsch", der 30 Milliarden Euro zusätzlich koste – "die wir aber nicht haben".
"Lanz": Pro und Contra Merz
"Die Entscheidung muss komplett zurückgedreht werden", verlangte der Tübinger Oberbürgermeister. "Die Erdkabel kann sich kein Mensch leisten. Und Hochspannungsleitungen muss man im Industrieland angucken können." Vielleicht gebe es deswegen Ärger mit Bürgerinitiativen. "Aber es wäre eine richtige, klare Ansage. Vielleicht kommt die von Merz", sagte Palmer. "Wir brauchen den Strom. Irgendwo muss der herkommen."
Palmer nannte als weiteres Beispiel für Verhinderungen den versuchten Bau von Windrädern in Tübingen. Der sei daran gescheitert, dass die Bundeswehr Einspruch erhob, weil sie dort mit Hubschraubern entlang fliegt. "Jetzt frage ich mich, ob wir gegen Russland bestehen werden, wenn unsere Hubschrauber nicht in der Lage sind, um Windräder herumzufliegen", sagte Palmer bewusst polemisch. Hintergrund sei eine einmal festgelegte Flugstrecke, die nur schwer zu verändern sei, ohne sich Klagen auszusetzen.
Technologiefeindlichkeit beim Klimaschutz?
Weniger Verständnis für Merz gab es in der Sendung, die sich ums Klima drehte, von der Politikökonomin und Nachhaltigkeitsexpertin Maja Göpel. "Wenn alle so argumentieren, wie Herr Merz, dann können wir es vergessen", monierte sie.
Der "Welt"-Journalist Axel Bojanowski warf Deutschland beim Klimaschutz eine Technologiefeindlichkeit vor. Als Beispiel führte er die Haltung zur Atomkraft und den Widerstand von Anwohnern gegen Atommüll-Endlager an. Castoren würden weniger Strahlung absondern als Wanderer im Gebirge abbekämen, sagte Bojanowski: "Das ist ungefährlich. Deshalb kann man da auch ein Haus drauf bauen."
Forscher spottet über "Powerpoint-Reaktoren"
Dass die Atomkraft als angeblich klimafreundliche Energiequelle weltweit im Aufwind sei, dementierte bei "Markus Lanz" der Klimaforscher Jochem Marotzke. Vielmehr sinke ihr Anteil an der Stromerzeugung weltweit. Marotzke, der in Hamburg das Max-Planck-Institut für Meteorologie leitet, ergänzte, er sehe nicht die nötigen Investitionen, um durch Atomkraft fossile Energiequellen zu ersetzen. Die vermeintlich so populären kleinen Atomkraftwerke würden auch "Powerpoint-Reaktoren" genannt – denn sie existierten nur auf dem Papier. Er bekräftigte Göpels Einschätzung: Teure Atomkraft lohnt sich am Ende nur für Staaten, die auch Atomwaffen besitzen.
"Ich halte es für eine teure Illusion", widersprach Marotzke Behauptungen über ein Comeback der Atomkraft. Diese Debatte lenke davon ab, was man tatsächlich gegen CO₂-Emissionen tun könne und blockiere sinnvollere politische Initiativen – etwa die Idee, Stromtrassen nach Bayern zu bauen, wie von Palmer gefordert.
Experte warnt vor Temperaturen wie in Madrid
Ein politisches Versagen attestierte Bojanowski den Verantwortlichen bei der Flutkatastrophe im US-Bundesstaat Texas. Doch Marotzke nahm seine Meteorologenkollegen in Schutz. In der Nacht seien immer höhere Niederschlagsmengen gemeldet worden. Aber: "Als die Warnung herauskam, war niemand mehr da, der zugehört hat."
Dass heute trotz verheerender Naturkatastrophen wie in Texas oder im Ahrtal weniger Menschen bei Fluten sterben als früher, sollte laut Marotzke niemanden beruhigen. Denn es gebe zugleich mehr Todesopfer durch Hitze. Ab 42 Grad bei hoher Luftfeuchtigkeit werde es für Menschen gefährlich, da der Schweiß nicht mehr verdunsten könne.
Lanz wollte von dem Meteorologen wissen: Kann es in deutschen Städten so heiß werden wie in Madrid? "Wenn der Klimawandel nicht eingedämmt wird, wird das kommen", prophezeite der Wissenschaftler.
- zdf.de: "Markus Lanz" vom 10. Juli 2025