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Heiko Herrlich trifft Jennifer Teege: "Da war Ohnmacht, Angst, aber auch Gottvertrauen"


Heiko Herrlich trifft Jennifer Teege
"Da war Ohnmacht, Angst, aber auch Gottvertrauen"

Ein Interview von N. Husmann und M. Güthlein

01.07.2018Lesedauer: 11 Min.
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Heiko Herrlich und Jennifer Teege sprechen in der Leverkusener BayArena. Der Fußballbundesliga-Coach wollte die Frau mit der ungewöhnlichen Familiengeschichte unbedingt kennenlernen.Vergrößern des Bildes
Heiko Herrlich und Jennifer Teege sprechen in der Leverkusener BayArena. Der Fußballbundesliga-Coach wollte die Frau mit der ungewöhnlichen Familiengeschichte unbedingt kennenlernen. (Quelle: Dominik Asbach)

Jennifer Teege erfuhr durch Zufall, dass ihr Großvater KZ-Kommandant war. Bundesliga-Trainer Heiko Herrlich bekam die Schockdiagnose Hirntumor. Zwei Menschen, zwei Momente, zwei Geschichten. Im Interview treffen sie aufeinander.

Das Leben von Bundesliga-Trainer Heiko Herrlich und Autorin Jennifer Teege änderte sich in einem einzigen Moment. Herrlich, auf dem Höhepunkt seiner Fußball-Karriere, bekam die Diagnose: Gehirntumor. Teege, Tochter eines Afrikaners und einer deutschen Mutter, als sie herausfand, dass Amon Göth, Kommandanten des Konzentrationslagers Plaszow, ihr Großvater war. Durch Zufall bekam in einer Bücherei ein Buch über Göth in die Hände. Die Autorin: Ihre Mutter, die sie zuvor nie wirklich kennen gelernt hatte.

Nun trafen sich beide zu diesem Interview. Heiko Herrlich wollte die Frau, die mit ihrem Buch "Amon. Mein Vater hätte mich erschossen" bekannt wurde, unbedingt kennenlernen. Sie sprechen über das, was ihnen Kraft gegeben hat, mit ihrem Schicksal umzugehen, über die aufkommende Fremdenfeindlichkeit in Deutschland und über Verantwortung für die eigene Vergangenheit – und für die nächste Generation.

chrismon: Herr Herrlich, Sie wollten Frau Teege unbedingt treffen. Warum?

Heiko Herrlich: Mein Sohn, er ist 14 Jahre alt, hatte das Thema Nationalsozialismus in der Schule. Aber in dem Alter interessiert dich das nicht unbedingt. Bei mir selbst entwickelte sich erst mit Anfang 20 das Interesse für diesen Teil der deutschen Geschichte, da habe ich alles, was es an Informationen dazu gab, in mich aufgesogen. Ich habe meinen Sohn auf das Thema angesprochen, aber es kam nicht viel dabei raus. Also habe ich gesagt: Ich würde gern mit dir den Film "Schindlers Liste" schauen. Am nächsten Tag hatte er den echten Oskar Schindler als WhatsApp-Profilbild. Als ich den Film 1994 gesehen habe, wollte ich auch mehr wissen. Ich fand die Person des KZ-Kommandanten Amon Göth pervers, Ralph Fiennes hat ihn faszinierend gut gespielt. Ich habe mich immer gefragt: Wie wird man so? Jeder Mensch hat doch eigentlich etwas Gutes in sich ...

... und dieser Amon Göth ist Ihr Großvater, Frau Teege.

Jennifer Teege: Ja, ich unterscheide zwischen Tätern und Mittätern. Mittäter sind die Menschen, die sich nicht im juristischen Sinne schuldig gemacht haben, die aber ein System unterstützt und es an die Macht haben kommen lassen. Amon Göth, mein Großvater, war Täter. Er hat viele Menschen erschossen, einfach so. Er hat den Tod Tausender Menschen zu verantworten und wurde 1946 gehängt. Wie es mit ihm so weit gekommen ist? Ich weiß es nicht. Ich glaube, er hatte eine beschädigte, sadistische Persönlichkeit – und im NS-System konnte er diese Persönlichkeit entfalten.

Diese Geschichte erscheint in Kooperation mit dem Magazin "chrismon". Die Zeitschrift der evangelischen Kirche liegt jeden Monat mit 1,6 Millionen Exemplaren in großen Tages- und Wochenzeitungen bei – unter anderem "Süddeutsche Zeitung", "Die Zeit", "Die Welt", "Welt kompakt", "Welt am Sonntag" (Norddeutschland), "FAZ" (Frankfurt, Rhein-Main), "Leipziger Volkszeitung" und "Dresdner Neueste Nachrichten". Die erweiterte Ausgabe "chrismon plus" ist im Abonnement sowie im Bahnhofs- und Flughafenbuchhandel erhältlich. Mehr auf: www.chrismon.de

Herrlich: Wie sehr der Krieg bis heute nachwirkt! Mein Großvater war tschechischer Zwangsarbeiter in Mannheim und hatte mit meiner Oma ein Verhältnis. Dafür hätte man ihn hingerichtet. Also hat man das Kind einem Deutschen untergeschoben – meinem Stiefopa, Erich Herrlich. Mein Vater erfuhr am Sterbebett von seiner Mutter: "Dein Vater heißt Alois Nedorostek, du bist gar kein Herrlich. Ich weiß nicht, ob der Mann noch lebt." 1978, nach fast zehn Jahren, hat mein Vater seinen Vater gefunden. Ich kann mich erinnern, wie wir im Schwarzwald bei uns im Garten Fotos gemacht haben. Mein Vater hat die Bilder nach Tschechien geschickt und geschrieben: "Ich bin dein Sohn. Ich würde dich gerne treffen." Der Alois ist dann zu seiner Frau und hat gesagt: "Ich habe einen Sohn in Deutschland. Er ist erwachsen. Kann ich ihn kennenlernen?" Und die Babetschka, seine Frau, sagte: "Du musst! Das ist dein Kind!" Ich war dabei, als mein Vater seinen Vater das erste Mal umarmt hat. Und die Babetschka hat ihn wie ein eigenes Kind betrachtet. Die gute Frau ist vor vier Jahren gestorben. Mein Vater hat einen ganz engen Draht zu seinen Halbgeschwistern. Auch deswegen bewegt mich Ihre Geschichte so.

Frau Teege, Sie haben vor zehn Jahren zufällig herausgefunden, wer Ihr Großvater war. Welche Rolle spielt das heute in Ihrem Leben?

Teege: Man sagt nicht: Haken drunter, das wars, Episode abgeschlossen. Das ist ein Prozess, der immer weitergeht. Das Wissen um meine Herkunft gehört zu mir, ist aber heute besser in mein Leben integriert als früher. Ich habe ein Buch darüber geschrieben, das weltweit erfolgreich war. Das hat mein Leben verändert. Meinen Beruf in der Werbung habe ich aufgegeben. Ich arbeite als Referentin und Autorin, was mir viel Freude bereitet. Ich erreiche viele Menschen, das gibt mir eine Botschaft für mein Leben. Wir alle tragen eine gesellschaftliche Verantwortung, und meine fühle ich. Man ist immer nur ein kleines Sandkorn, aber ich als Deutsche kann mit dieser besonderen Biografie dazu beitragen, dass wir aus unserer Geschichte lernen.

Ihre Mutter hat Sie kurz nach der Geburt in ein Heim gegeben. Später wurden Sie von einer Pflegefamilie adoptiert.

Herrlich: Haben Sie zu Ihrer leiblichen Mutter Kontakt?

Teege: Nein, habe ich nicht.

Herrlich: Ich habe mir ein Fernsehinterview mit Ihnen angesehen. Da hatte ich das Gefühl, Sie sehnen sich danach, mit Ihrer Mutter Kontakt zu haben.

Teege: Ich hab ganz grundsätzlich im Leben den Wunsch, eine Hand zu reichen. Das fühlt sich für mich besser an.

Herrlich: Das klingt versöhnlich. Geht es Ihnen darum, um Versöhnung?

Jennifer Teege, Jahrgang 1970, ist Autorin. Die Tochter einer Deutschen und eines Nigerianers wuchs in einem Kinderheim und in einer Adoptivfamilie auf. 2008 fand sie zufällig ein Buch ihrer leiblichen Mutter über ihren Großvater: Amon Göth, Kommandant des KZ Plaszow, bekannt aus "Schindlers Liste". 2013 erschien Teeges Beststeller "Amon. Mein Großvater hätte mich erschossen".

Teege: Man kann die Hand reichen, aber ob sie jemand nimmt, steht nicht in unserer Macht. Insofern sage ich: Die Tür ist offen. Meine Mutter ist ja auch nicht mehr die Jüngste. Mit dem Alter verändern sich Menschen. Vielleicht denkt sie anders über Dinge nach. Für mich geht es weniger um Versöhnung, als ums Verstehen. Amon Göth ist mein Großvater, diese Erkenntnis war heftig. Er ist ihr Vater. Was macht das mit einem Menschen? Durch diese Frage fällt es mir leichter zu verstehen, dass meine Mutter ist, wie sie ist.

Herrlich: Mein Vater litt darunter, dass er nur einen Stiefvater hatte. Ein gutes Verhältnis zu seinen Söhnen ist für ihn das Allerwichtigste. Vor fünf Jahren habe ich mir ein Motorrad gekauft und zu meinem Vater gesagt: Mach du doch auch den Führerschein, du bist pensionierter Sonderpädagoge, du willst Zeit mit mir verbringen, jetzt haben wir sie! Als Fahranfänger sind wir – Vater und Sohn – in drei Wochen bis nach Sizilien gefahren. Wir wussten morgens nie, wo wir abends mit unseren Harleys landen. Es war toll, ein Glück, auch wenn wir viel stritten.

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Sie trainieren Profis, die Ihre Söhne sein könnten. Oft wirken sie wie Figuren aus einer Glitzerwelt. Was wissen Sie über Ihre Spieler?

Herrlich: Viel! Ich erzähle auch mal was von mir, damit die Spieler sich öffnen. Manche haben Probleme, die ich früher auch hatte. Ich habe das ja alles selbst durchlaufen. Mit 17 kam ich nach Leverkusen, vom Schwarzwald weg. Die ersten zwei Jahre wäre ich jeden Tag nach Hause gefahren, wenn ich irgendwie gekonnt hätte. Ich kenne auch die Gefühle und die Erwartungen der Eltern. Ich frage mich manchmal: Wenn mein Sohn hier Profi wäre und er würde eine schlechte Leistung bringen – wie würde ich ihn behandeln? Würde ich den Druck, den ich habe, an ihn weitergeben? Nur Punkte halten Bundesligatrainer im Job. Den Druck will ich aushalten, allein für mich. Die Spieler will ich behandeln wie meinen Sohn. Kritisch, leistungsorientiert – aber respektvoll.

Heiko Herrlich, Jahrgang 1971, ist Cheftrainer bei Bayer 04 Leverkusen. Als Profi erzielte er als Mittelstürmer in 258 Bundesligaspielen mehr als 70 Tore. Im Herbst 2000 wurde bei Herrlich ein bösartiger Gehirntumor diagnostiziert, der mit einer Strahlentherapie geheilt werden konnte.

Ihnen helfen nur Siege – das klingt hart!

Herrlich: Vor der letzten Saison war ich Nummer 1 bei den Wettanbietern für den ersten Trainer-Rauswurf.

Teege: Sagt der Trainer und lehnt sich entspannt zurück.

Herrlich: Das gehört zum Geschäft. Mir ist wichtig, dass ich abends in den Spiegel gucke und weiß, ich bin bei mir geblieben und habe mein Bestes gegeben. Ganz simpel. Das sage ich auch den Spielern: Ich bin nicht perfekt, ich mache Fehler, aber ich gebe mein Bestes.

Was denken Sie, wenn ein Kollege rausfliegt?

Herrlich: Gerade in einer Negativspirale gräbt der Boulevard Dinge über dich aus und haut dich in die Pfanne. Das kann grausam sein, aber damit weiß man in der Regel umzugehen. Die Kinder von uns Trainern, die tun mir manchmal leid. Die schlagen irgendwo Wurzeln, dann wird der Vater entlassen und es geht woanders hin. Das sehen die Leute oftmals nicht.

Teege: Man muss es wie Angela Merkel machen und alles an sich abperlen lassen. Für ihre Flüchtlingspolitik hat sie Rückendeckung verdient.

Nationalistisches, rassistisches Denken kehrt zurück in die Politik. Das muss Sie doch beunruhigen, Frau Teege.

Teege: Es ist sehr beunruhigend. Wenn ich über den Holocaust spreche, sehe ich mich als Brücke. Das eine Ende der Brücke ist die Denk- und Erinnerungskultur, die schon aus Respekt vor den Opfern wichtig ist – dass man ihrer gedenkt und den Leugnern des Holocausts klar widerspricht. Auf der anderen Seite der Brücke geht der Blick nach vorn. Was kommt heute wieder in neuem Gewand? Sicherheit ist den Menschen wichtig. Wer sich unsicher fühlt, hat Angst, etwas zu verlieren. Das führt zu Ressentiments. Die Art, wie wir über Asyl reden, über Minderheiten, über andere Religionen, wie wir Muslime pauschal diffamieren: Da gibt es Muster, die wir leider schon mal in Deutschland beobachten konnten.

In Ihrer beider Leben gab es einen Schockmoment. Bei Ihnen, Herr Herrlich, wurde ein Tumor im Kopf entdeckt. Bei Ihnen, Frau Teege, war es der zufällige Griff in ein Bücherregal. Sie fanden das Buch Ihrer leiblichen Mutter über Amon Göth: "Ich muss doch meinen Vater lieben, oder?". Wie war das damals?

Teege: Es fühlte sich an wie eine Ohnmacht, als hätte ich mein Leben aus der Hand gegeben. Das hat sich zum Guten gewendet. Ich hatte endlich eine Erklärung für meine Depressionen, die sind heute weg. Aber ich habe andere Krankheiten entwickelt, es gibt immer ein Ventil, das der Körper sich sucht. Der Schock bleibt ein Bestandteil. Sie, Herr Herrlich, sind ja komplett geheilt!

Herrlich: Ich war zum Zeitpunkt der Diagnose auf dem Weg zurück in die Nationalmannschaft. Von jetzt auf gleich verschoben sich alle Werte. Es ging nur noch ums Überleben. Ich war schon damals ein gläubiger Mensch. Da war Ohnmacht, Angst, aber auch Gottvertrauen: Dann soll es so sein. Im Nachhinein sage ich, die Kraft, das durchzustehen, die war nicht von mir. So viel Kraft habe ich nicht.

Teege: Als ich hörte, dass Sie mit mir sprechen wollen, hab ich gründlich recherchiert. Sie sind gläubig. Ich bin katholisch getauft, aber gerade bei den monotheistischen Religionen habe ich das Gefühl, dass es viel Zwietracht gibt. Davon hab ich mich distanziert.

Herrlich: Aber das haben Menschen aus Gott gemacht! Da kann Gott nichts dafür.

Teege: Für mich spielt Glauben eine große Rolle, aber eher als Vertrauen in etwas Größeres.

Herrlich: Mir ging es, als ich krank war, auf eine Art auch gut, weil ich alle Masken fallen lassen konnte. Ich hatte damals einen Porsche – ich bin der Fußballprofi, seht her! Durch die Krankheit merkte ich: So will ich nicht sein. Ich war damit konfrontiert, dass in drei Monaten alles vorbei sein kann. Gelernt habe ich: Du musst den Tag gut leben. – Aber das bleibt nicht immer so. Ich kann nicht alles wertschätzen, was gut ist. In gewisser Weise war die Trennung von meiner ersten Frau viel schlimmer, der tägliche Umgang mit den Kindern fiel weg.

Teege: Das habe ich gelesen und fand es interessant. Dem Tod müssen wir alle entgegentreten, das verdrängen wir. Auch bei einer Scheidung verliert man Menschen.

Herrlich: Alles hat sich gut gefügt. Ich habe noch eine kleine Tochter aus meiner jetzigen Beziehung bekommen – und einen Stiefsohn gewonnen. Manchmal machen alle gemeinsam Urlaub, das sind Momente des Glücks.

Frau Teege, der Moment in der Bibliothek, als Sie das Buch Ihrer Mutter fanden ...

Teege: ... war reiner Zufall. Ich habe eigentlich ein gutes Bauchgefühl, aber an dem Tag war da keine Vorahnung.

Herrlich: Sie sind mit dem Namen Göth aufgewachsen. Ist Ihnen bei "Schindlers Liste" nichts aufgefallen?

Teege: Es gab doch noch kein Internet.

Herrlich: Stimmt. Heute hätten Sie gleich gegoogelt.

Glauben Sie an Schicksal?

Teege: Ja, aber ich stelle es mir wie einen Baum vor, nicht wie Vorbestimmung, bei der man nichts in der Hand hat. Es gibt etwas Größeres als uns, einen Entwurf, in dem man sich befindet. Und das beste Symbol dafür ist ein Baum, in dem viele Verästelungen wachsen können.

Herrlich: Manche Zufälle sind zu verrückt, als dass sie Zufälle sein könnten. Ich bin überzeugt, dass uns eine höhere Macht etwas sagen will. Ihre Geschichte ist doch wahnsinnig! Ihr Vater hätte ja auch ein Weißer sein können. Aber dann ist es auch noch ein Nigerianer, Sie haben dunkle Haut, und Ihr Großvater war Rassist!

Teege: Im Nachhinein klingt das spektakulär. Aber für mich im Alltag war das ja alles normal: die dunkle Haut, das Kinderheim, die Adoptiveltern und -geschwister, die ich sehr schätze. Das waren keine Explosionen. Eine Explosion war nur der Fund.

Herrlich: Aber es hätte ja sein können, dass das Buch fünf Minuten vorher verliehen worden wäre, dann hätten Sie es nie gesehen.

Teege: Klar, die Entdeckung war ein Wendepunkt, aber rückblickend war vieles auch schon vor dem Fund ein Teil meines Lebens: meine Zeit in Israel, das Geschichtsstudium, das Interesse am Holocaust. Das war nicht neu, nur der Kontext hat sich verändert.

Haben Sie je überlegt, ob es besser gewesen wäre, wenn Sie das Buch nicht aus dem Regal genommen hätten?

Teege: Niemals! Ich glaube, da sind Heiko Herrlich und ich uns ähnlich: Wenn was da ist …

Herrlich: … muss man sich dem stellen, genau.

Teege: Ich bin dankbar, dass ich diese Wahrheit in meinem Leben gefunden habe. Nun stimmt das Grundgerüst. Eine Jacke, die Sie falsch zuknöpfen, wird nie richtig sitzen. Wer im Leben vor Problemen davonläuft, macht sie nur noch größer.

Herrlich: Seit Sie das mit Amon Göth wissen – denken Sie da jeden Tag dran?

Teege: Überhaupt nicht! Ich gucke nicht beim Zähneputzen in den Spiegel und denke, ich bin die Enkelin von Amon Göth. Null!

Herrlich: Aber das ist doch jetzt ein Teil von Ihnen.

Teege: Ja, im Sinne von Verantwortung. Auf Lesungen versuche ich, etwas von meiner Erfahrung weiterzugeben. Dann bin ich mir meiner Herkunft bewusst. Aber nicht, wenn ich bei Lidl an der Kasse warte.

Herrlich: Die Antwort hätte ich mir ja auch selbst geben können. Die erste Zeit nach meiner Krankheit dachte ich immer: Puh, ich habe einen Hirntumor gehabt! Irgendwann vergisst du es einfach. Aber wenn ich jetzt Ihnen gegenübersitze: Der Amon Göth, der war damals, als „Schindlers Liste“ in die Kinos kam, im „Spiegel“ abgebildet, ich wollte immer mehr darüber erfahren. Und nun sitzt hier ein Mensch, der sein Blut in sich hat! Ich kann das nicht beschreiben.

Teege: Es ist so ein emotionaler Film. Die Macht der Bilder lässt Sie offen werden für diese Empfindung.

Herrlich: Aber auch, wie Sie mit der Geschichte umgehen.

Teege: Ich bin häufig in den USA, viele Menschen dort sind geschichtlich nicht so gebildet, aber sie kennen den Film, er berührt sie. Diese Emotionen nutze ich.

Herrlich: Gehen Sie bitte in die Schulen, Ihre Geschichte muss ran an die Kinder!

Teege: Ich mache nur Erwachsenenbildung, das liegt mir mehr. Wenn ich an Schulen gehe, sind die Schüler verpflichtet, zuzuhören, das will ich nicht. Sie sehen ja an Ihrem Sohn, dass Eltern viel erreichen können.

Herrlich: Stimmt!

Teege: Sie haben mich vorhin nach Versöhnung gefragt. Persönlich, für mich, gibt es eine Versöhnung mit dem Schicksal oder der Traurigkeit. Ich habe neulich Lucy in Israel besucht, eine Holocaustüberlebende und Freundin, wir kennen uns seit Jahren. Durch die Tatsache, dass ich existiere und eine Antithese zu meinem Großvater geworden bin – schon optisch – ist da ganz viel Ruhe, Frieden und Freundschaft zwischen uns. Lucy weiß, dass sie bald sterben wird. Sie will auch sterben. Bald kommt ihre Tochter, sie wohnt in den USA. Das ist Lucys Wunsch: Sie will ihre Tochter noch einmal sehen – und mich wollte sie sehen, die Enkelin von Amon Göth. Wissen Sie, Herr Herrlich: Das ist ganz viel!

Lesen Sie hier wie Peter Gauweiler und Jule Könneke über mehr oder weniger Europa streiten.

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