Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Tagesanbruch Dann sagt Klingbeil: "Wir waren zu schwach"

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,
eine der besonderen Gemeinheiten des Lebens ist bekanntermaßen das unterschiedliche Zeitempfinden erfreulicher und betrüblicher Momente. Glückliche Augenblicke rauschen oft fast unbemerkt an uns vorbei, während das Lästige sich oft quälend lange hinzieht: Ermüdende Gespräche mit aufdringlichen Mitmenschen, endlose Meetings, Baulärm morgens ab halb sieben, oder auch: die zweite Trump-Präsidentschaft.
Seit mehr als sechs Monaten ist Donald Trump nun zum zweiten Mal der mächtigste Mann der Welt, aber es fühlt sich bereits an, als wären es zwei Jahre. Was hat der 79-Jährige im Weißen Haus bereits alles angekündigt, angedroht, abgeblasen und am Ende doch wahr gemacht: Sein Beinahe-Ausliefern der Ukraine an Putin, der drohende Nato-Austritt der USA, Angriff auf iranische Atomanlagen, Schläge gegen die Huthis, die immer tieferen Abgründe des Epstein-Skandals, sein Feldzug gegen Universitäten und Statistikbehörden, Massendeportationen im eigenen Land und Zollkrieg gegen die Welt. Der Mann ist seine eigene Disruption und das Ende aller Gewissheiten.
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Immerhin: Der Zusammenbruch der transatlantischen Sicherheitsordnung konnte vorerst verhindert werden. Trump erhob die Fünf-Prozent-Quote für die Nato-Verbündeten zum neuen Gebot, und die Europäer folgten auf dem Fuß. Doch da war der US-Präsident noch nicht fertig mit dem Neujustieren von Amerikas Privilegien in der Welt.
Zölle gelten dem selbst ernannten "Dealmaker" Trump als Allheilmittel für die wirtschaftlichen Probleme der USA. Doch sein Zickzack in der Zollpolitik – mal droht er mit Mondzöllen, dann kassiert er sie kurzerhand wieder – hat ihm in den USA den Spitznamen TACO ("Trump Always Chickens Out" – Trump macht immer einen Rückzieher) eingebracht.
Ausgerechnet – oder nicht doch zufällig? – gegen die Europäer verbuchte Trump seinen ersten großen Sieg. Der Zolldeal, den EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vor einer guten Woche mit Trump ausgehandelt hat, ist für Europa ein bitterer Kompromiss: Ein Zollsatz von 15 Prozent für die meisten EU-Exportwaren in die USA, für Aluminium und Stahl sind es gar 50 Prozent. Einige Automobilhersteller wie BMW und VW hegen noch die Hoffnung, in separaten Verhandlungen mit Trump Sonderkonditionen für sich herauszuschlagen. Aber sicher ist das nicht. Und auch sonst bleiben viele Fragen offen.
Die Reaktionen aus Europa auf den Deal waren brutal. Frankreich sprach von einer "Unterwerfung" vor Trump und einem "dunklen Tag" für Europa. Kanzler Friedrich Merz (CDU) war zunächst vorsichtiger, warnte dann vor einem "erheblichen Schaden" für die deutsche Wirtschaft.
Zugleich heißt es zähneknirschend aus deutschen Regierungskreisen: Besser ein schlechter Deal als gar kein Deal. Denn: Trump drohte bei einem Scheitern der Verhandlungen mit einem Zollsatz von 30 Prozent. Das wäre wohl der Genickbruch für viele Branchen hierzulande gewesen.
In dieser explosiven Gemengelage reiste am Montag Bundesfinanzminister Lars Klingbeil (SPD) nach Washington. Im Mittelpunkt stand ein Treffen mit seinem US-Amtskollegen Scott Bessent, dem Mann, der im Auftrag von Donald Trump über die Umsetzung des umstrittenen Zolldeals mit der EU wacht.

Die Erwartungen an den Besuch waren nicht sonderlich hochgesteckt, auch in der deutschen Delegation nicht. Klingbeil wollte seinen Antrittsbesuch als symbolische Geste verstanden wissen, mit dem Ziel, Vertrauen zu schaffen und einen persönlichen Draht zu Bessent aufzubauen. Klingbeil, der als SPD-Chef mit seinem internationalen Netzwerk sozialdemokratischer Schwesterparteien schon seit Jahren eine Art Nebenaußenpolitik betreibt, weiß, wie wichtig der persönliche Kontakt zwischen Politikern sein kann. Dass Klingbeil seinem US-Amtskollegen, einem früheren Hedgefonds-Manager und Demokraten-Unterstützer und heute einer der wenigen kühlen Köpfe im Trump-Kabinett, Zugeständnisse im Zollstreit hätte abringen können, galt von vorneherein als ausgeschlossen.
Bessent selbst hatte Tage vor Klingbeils Besuch jede Hoffnung auf eine Neuverhandlung zerschlagen. In einem Interview kündigte der US-Finanzminister an, man werde genau darüber wachen, ob die EU ihren Verpflichtungen aus dem Zolldeal nachkommen werde und nannte insbesondere die 600 Milliarden Euro, die in den USA investiert werden sollten. "Der Zollsatz von 15 Prozent könnte sich sonst verändern." Eine unmissverständliche Drohung – die auch in der Bundesregierung registriert wurde.
Und doch legt man in Klingbeils Umfeld eine gewisse Hoffnung in Bessent. Der US-Finanzminister gilt, neben Außenminister Marco Rubio und Handelsminister Howard Lutnick, als einer der drei Top-Leute in Trumps Kabinett. Dass Bessent Trump auf dem G7-Gipfel in Kanada vertrat, nachdem dieser wegen der Iran-Krise überstürzt aufgebrochen war, galt als weiterer Beleg für Bessents besondere Rolle in Trumps Machtgefüge.
Im kanadischen Banff trafen Klingbeil und Bessent erstmals persönlich aufeinander. Für eine erste Zusammenkunft mit einem Gesandten Trumps schien das gar nicht schlecht zu laufen. Klingbeil sagte später, er habe seinen US-Kollegen als konstruktiv und lösungsorientiert wahrgenommen, das sei ja schon mal ein gutes Zeichen. Ein Foto zeigt den deutschen Chef-Genossen und den marktliberalen US-Investmentbanker vor der malerischen Idylle Banffs.
Es wirkte fast, als wäre da etwas entstanden zwischen den beiden. Etwas, das in dem politischen Chaos, das Trump überall entfacht, überleben könnte. "Deutschland und Europa strecken den USA weiterhin die Hand aus und wollen eine gemeinsame Lösung", sagte Klingbeil in Kanada vor den Kameras in Richtung seines US-Amtskollegen. Ein einseitiger Umarmungsversuch, bei dem es vorerst bleiben sollte.
Klingbeils vorsichtiger Optimismus flog ihm später wie ein Bumerang ins Gesicht. Noch bevor Klingbeils Flieger in Berlin landete, fuhr Trump die nächste Zollattacke gegen Europa. 30 Prozent auf alles. Klingbeils neuer Buddy Bessent konnte oder wollte es nicht verhindern. Der deutsche Vizekanzler sah dabei wie der Gelackmeierte aus. Noch mal sollte ihm der Fehler nicht passieren.
Vor dem Treffen mit Bessent am Montagmorgen in Washington gab sich Klingbeil daher betont zurückhaltend. "Ich bin froh darüber, dass es eine Einigung gibt", sagte Klingbeil vor Journalisten im Lafayette Park vor dem Weißen Haus. Für Unternehmen bedeute das jetzt mehr Planungssicherheit, auch wenn etwa in der Stahlbranche noch offen sei, ob es zu Quotenlösungen komme. Aber er wolle mit Bessent auch über Investitionen auf beiden Seiten des Atlantiks sprechen, die Zusammenarbeit der G7 und G20, oder über chinesische Ramschwaren, die gerade massenhaft europäische und US-amerikanische Märkte überfluten. Viele Themen, zu viele, um sie in einem Vieraugengespräch abzuräumen. Klingbeils Devise: Hauptsache, man bleibt im Gespräch.
Der Finanzminister nutzte den kurzen Pressetermin in Sichtweite des Weißen Hauses auch, um seinen Frust über den Zolldeal loszuwerden: "Ich finde, wir waren zu schwach", sagte Klingbeil über die Verhandlungsposition der Europäer und verwies auf die aktuelle wirtschaftliche Schwäche Deutschlands. Klingbeils Logik: Je schneller die deutsche Wirtschaft wieder auf die Beine kommt, desto selbstbewusster könne man gegenüber den Amerikanern auftreten – und Klingbeil gegenüber Scott Bessent.
Klingbeil betonte bei fast jeder Gelegenheit den guten Austausch mit Bessent. Man telefoniere, schreibe sich SMS, suche das Gespräch. Tatsächlich scheint auch Bessent an den Deutschen ein gewisses Interesse zu haben. Bei der globalen Mindeststeuer etwa konnte der Ausstieg der Amerikaner zwar nicht verhindert, aber immerhin der Verzicht auf Strafaktionen erreicht werden. Klingbeil führte das auch auf seinen "sehr engen Austausch" mit Bessent zurück. Auch Klingbeils jetzige US-Reise sei eine Einladung Bessents gewesen. Was hinter dieser neuen Deutschen-Freundlichkeit der Trump-Regierung steckt, lesen Sie bei meinem Kollegen Bastian Brauns.
Mit seiner Charmeoffensive um Scott Bessent jedenfalls verfolgt Lars Klingbeil einen durchaus nachvollziehbaren Zweck. Nach dem Motto: Besser ein dünner Draht ins Trump-Universum als gar keiner. Doch am Ende dürfte auch dem Vizekanzler, SPD-Chef und Finanzminister klar sein: Über Wohl und Wehe der deutsch-amerikanischen Beziehungen entscheidet nur der erratische Mann im Oval Office.

Was steht an?
Fortsetzung der Gaza-Luftbrücke: Die Bundeswehr will weitere Hilfsgüter über den Gaza-Streifen abwerfen. Die Luftbrücke, die von Jordanien aus koordiniert wird, soll die Hungersnot im Gaza-Streifen infolge des militärischen Vorgehens von Israel eindämmen. Auch am Wochenende war die deutsche Luftwaffe über Gaza im Einsatz: Zwei Transportmaschinen des Typs A400M warfen insgesamt 44 Paletten mit Nahrungsmitteln, medizinischen und weiteren Hilfsgütern mit einem Gewicht von rund 19 Tonnen ab. Israel kontrolliert alle Zugänge zu dem Küstengebiet am Mittelmeer und ließ über mehrere Monate keine oder nur wenige Hilfslieferungen passieren. Kanzler Merz nennt die Hilfsabwürfe "nur einen kleinen Beitrag, um das Leid der Menschen in Gaza zu lindern".
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Weltweiter Kampf gegen Plastikmüll: In Genf findet am Dienstag die Endrunde der Verhandlungen über eine UN-Plastik-Konvention statt: Die Vereinten Nationen haben 2022 beschlossen, einen internationalen, rechtsverbindlichen Vertrag zur Bekämpfung von Umweltverschmutzung durch Kunststoffe auszuhandeln. Doch bei der eigentlichen Schlussrunde in Südkorea kam im Dezember 2024 keine Einigung zustande. Ein neuer Anlauf, unter dem Namen INC-5.2, wird nun in der Schweiz unternommen.
Lesetipps
Trump startet einen gefährlichen Angriff auf die Realität, warnt der deutsch-amerikanische Ökonom Rüdiger Bachmann. Denn der US-Präsident beabsichtigt offenkundig, Wirtschaftsstatistiken zu seinen Gunsten politisch umzudeuten. Mein Kollege Bastian Brauns hat mit Bachmann gesprochen.
CSU-Chef Markus Söder hat die deutsche Politik mit seinem Vorschlag aufgeschreckt, ukrainische Flüchtlinge pauschal aus dem Bürgergeld zu nehmen. Ein richtiger Vorstoß – oder eine populistische Nebelkerze, die zudem gegen den Koalitionsvertrag verstößt? Meine Kollegen Christoph Schwennicke und Tobias Schibilla könnten es nicht unterschiedlicher sehen.
Die Klimakrise eskaliert weiter, unbeeindruckt demontiert Donald Trump Gegenmaßnahmen. Klimahistoriker Franz Mauelshagen erklärt meinem Kollegen Marc von Lüpke, wie groß der menschengemachte Schaden am Klima bereits ist.
Zum Schluss
Ein paar persönliche Eindrücke aus Washington, D.C.:
Ich wünsche Ihnen einen disruptiven Dienstag. Morgen schreibt Ihnen Mauritius Kloft.
Ihr Daniel Mützel
Reporter im Hauptstadtbüro
Twitter: @DanielMuetzel
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Mit Material von dpa.
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