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#MeTwo-Initiator Ali Can im Interview: "Es muss einen Aufstand des Anstandes geben"


#MeTwo-Initiator
"Es muss einen Aufstand des Anstandes geben"

InterviewVon Rüdiger Schmitz, Sarah Orlos

Aktualisiert am 31.07.2018Lesedauer: 4 Min.
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Ali Can: Der 24-Jährige Aktivist ist der Initiatior des Hashtags "MeTwo".Vergrößern des Bildes
Ali Can: Der 24-jährige Aktivist ist der Initiatior des Hashtags "MeTwo". (Quelle: Wolfgang Rattay/reuters)

Ali Can hat unter dem Schlagwort #MeTwo dazu aufgerufen, Erfahrungen mit Rassismus zu schildern. Mit t-online.de spricht er über seine eigenen Erfahrungen mit Rassismus und seine Wünsche an die Politik.

Nach Mesut Özils Foto mit dem türkischen Präsidenten richteten sich viele rassistische Äußerungen gegen den deutsch-türkischen Fußballer. Das führte dazu, dass im Netz unter dem Hashtag #MeTwo eine Rassismusdebatte losbrach. Über 60.000 Menschen haben hier bereits ihre Erfahrungen geschildert.

Für Ali Can, den Erfinder des Hashtags, steht #MeTwo als Wortspiel für die Nähe zu #MeToo, aber auch für Menschen mit Migrationshintergrund, die deutsch sein möchten und sich gleichzeitig in ihrem Herkunftsland heimisch fühlen. Im Gespräch mit t-online.de spricht Can, der als türkischstämmiger Deutscher selbst Rassismus erfahren hat, über die Hintergründe der Aktion, die unterschiedlichen Formen von Rassismus – und die Hoffnungen, die er mit dem Hashtag verbindet.

t-online.de: Herr Can, Sie haben unter #MeTwo Menschen dazu aufgefordert, ihre Erfahrungen mit Rassismus zu schildern. Wie definieren Sie Rassismus?

Es gibt zwei Formen von Rassismus. Die eine Form ist sehr direkt und unmittelbar: Wenn mich jemand aufgrund meines Migrationshintergrundes diskriminiert und abwertet. Rassismus kann aber auch subtiler sein: Wenn man beispielsweise einen Job sucht und aufgrund des ausländischen Namens nicht eingeladen wird. Das ist auch schon Rassismus, weil dadurch eine bestimmte Gruppe weniger Rechte bekommt.

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Hat sich Ihre Wahrnehmung von Rassismus durch die Aktion verändert?

Ali Can: Mein Meinungsbild hat sich verschärft. Zum einen habe ich gemerkt, was es für schlimme Fälle von Rassismus immer noch gibt. Ein Beispiel ist ein dunkelhäutiger Schüler, der von seinen Mitschülern als Affe beschimpft wird. Dass es das tatsächlich in Deutschland noch gibt, hätte ich nicht gedacht. Ich war schockiert. Ich habe aber auch gemerkt, dass es gewisse Grenzfälle gibt: Zum Beispiel, wenn mich jemand fragt "Woher kommen Sie?" – damit ist oft das Herkunftsland und somit der Migrationshintergrund gemeint. Dafür bin ich durch die Aktion sensibilisiert worden.

Ali Can ist in der Türkei geboren und als Zweijähriger nach Deutschland gekommen. Seine kurdisch-alevitische Familie hat aufgrund von Benachteiligung und Diskriminierung in Deutschland Asyl gesucht. Der 24-Jährige Ali Can ist Buchautor und Trainer für interkulturelle Toleranz. Er engagierte sich für unter anderem für Frauenrechte, Kinderrechte und Flüchtlinge.

Es haben sich bisher 60.000 Menschen unter dem Hashtag #MeTwo zu eigenen Erfahrungen mit Rassismus geäußert. Ist das Bild von Deutschland, das dabei entsteht, auch durch den Medienhype, noch realistisch?

Es ist auf jeden Fall das Bild eines polarisierten Deutschlands. Es zeigt, dass wir wenig Streitkultur haben. Es gibt natürlich viele, die ihre Erfahrungen schildern. Aber manche äußern sich auch zu ganz anderen Themen. Es kommen Statements wie "Was ist denn mit den kriminellen Ausländern?" Viele bleiben nicht bei der Debatte und hören nicht zu. #MeTwo steht für Leute, die deutsch sein möchten, aber ihren Migrationshintergrund trotzdem dabei nicht vergessen. Menschen, die zwei Heimatgefühle haben. Es soll darauf aufmerksam gemacht werden, dass Menschen mit einem solchen Hintergrund oft weniger vorankommen im Leben, beispielsweise bei der Job- und Wohnungssuche oder in der Schule.

Sie haben gesagt, dass wir ein neues Verständnis vom Deutschsein brauchen. Was meinen Sie damit?

Es geht darum, dass sich alle unter einer Flagge als Deutsche verstehen, wenn sie hier langfristig leben und sich an die freie demokratische Grundordnung halten. Dazu gehören die Grundgesetze – und Werte wie die Gleichstellung von Mann und Frau. Das ist ein Weltbild, das jeder haben sollte, der hier schon länger lebt. Wenn man sich daran hält, dann ist es egal, was man für einen Migrationshintergrund hat, wie man aussieht, wie man heißt und wo man geboren ist.

Viele t-online.de-Leser haben sich zu #MeTwo geäußert. Ein Leser hat geschrieben: "#MeTwo ist kein Forum für Rassismuserfahrungen, sondern für Erfahrungen mit Islamfeindlichkeit." Was sagen Sie dazu?

Das stimmt nicht. Es gab zahlreiche Tweets von Menschen, die nicht muslimisch sind. Ich selber praktiziere den Islam auch nicht.

Eine weitere Stimme war: Es entsteht ein schiefes Bild von Deutschland durch #MeTwo. Es gibt viele Menschen in Deutschland, die nicht rassistisch sind.

Das stimmt, viele Deutsche sind überhaupt nicht rassistisch. Es entsteht aber kein schiefes Bild durch #MeTwo. Es hat niemand den Hashtag genutzt und behauptet, dass er oder sie von jedem Deutschen Rassismus erfährt. Jeder erzählt nur seine Geschichte und redet dabei nicht allgemein über Deutschland. Niemand pauschalisiert.

Sie wünschen sich eine bessere Integration. Was fordern Sie von der Politik?

Vonseiten der Politik müssen wir ein Anti-Rassismus-Ethos aufbauen und eine Streitkultur etablieren. Es muss einen Aufstand des Anstandes geben. Wir müssen durch Institutionen wie Schulen, Unternehmen und Bundesbehörden einen Arbeitsethos aufbauen, der stark auf Artikel 3 des Grundgesetzes basiert: Menschen dürfen aufgrund ihrer Abstammung oder Rasse nicht benachteiligt oder bevorzugt werden. Dieses Gesetz findet nicht überall Anwendung. Nicht einmal bei der Polizei.

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Sie fühlen sich in der Türkei und in Deutschland heimisch. Hatten Sie auch in der Türkei Erfahrungen mit Rassismus?

Auf jeden Fall. Vor Kurzem meinte ein Taxifahrer in Istanbul zu mir, alle Deutschen seien Nazis. Da musste ich aufklären, dass das nicht stimmt. Wenn das so wäre, würden nicht vier Millionen Türken in Deutschland leben.

Herr Can, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
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