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AfD-Fraktion hat nach fünf Jahren Geschäftsführer gefunden


"Der tut mir leid"
AfD-Fraktion hat nach fünf Jahren Geschäftsführer gefunden

  • Lars Wienand
  • Annika Leister
Von Lars Wienand, Annika Leister

Aktualisiert am 11.11.2022Lesedauer: 5 Min.
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Verwaltungschef für die Fraktion: Tino Chrupalla und Alice Weidel, dazu der Erste Parlamentarische Geschäftsführer Bernd Baumann, haben jetzt einen Fraktionsgeschäftsführer. Fast fünf Jahre lang hatte die AfD keinen.Vergrößern des Bildes
AfD-Chefs Tino Chrupalla und Alice Weidel: Sie haben jetzt einen Fraktionsgeschäftsführer. Fast fünf Jahre lang hatte die AfD keinen. (Quelle: IMAGO/Emmanuele Contini)

Seit einer vermeintlichen Häppchen-Affäre hatte die AfD-Fraktion im Bundestag fast fünf Jahre keinen Fraktionsgeschäftsführer. Jetzt ist ein Nachfolger da.

Der AfD ist nach fast fünf Jahren gelungen, einen wichtigen Posten zu besetzen – und von Erleichterung oder Triumph ist nichts zu spüren. Erst auf Nachfrage bestätigt die Bundestagsfraktion, dass sie seit dem 1. November einen Fraktionsgeschäftsführer hat. Mit Rüdiger Kreisel soll ein angestellter Mitarbeiter in Zukunft die Verwaltungsprozesse koordinieren. Bei vielen Abgeordneten und Beschäftigten war der Unmut darüber groß, wie es dort aktuell läuft.

Nur drei Monate lang hatte die AfD nach ihrem Einzug in den Bundestag 2017 den Posten besetzt. Es ist eine Geschichte, die durchaus etwas sagt über Uneinigkeit und Machtkämpfe in dem "gärigen Haufen", wie AfD-Mitgründer Alexander Gauland seine Partei vor dem ersten Einzug in den Bundestag nannte.

An den Fleischtöpfen des Bundestags gab es 2017 erst einmal Schnittchen für die frisch gewählten Politiker – und die waren angeblich zu teuer. Verantwortlich gemacht wurde der erste Fraktionsgeschäftsführer Hans-Joachim Berg, langjähriger Mitarbeiter der Bundestagsverwaltung und dort früherer Referatsleiter. Er war auf seinem Posten erledigt, als im Raum stand, dass die Fraktion völlig überteuert verköstigt worden sei.

Früherer Kandidat landete bei "Basis"

Ob das tatsächlich so war, blieb offen. Aber zumindest zu dieser Zeit kostete der Vorwurf der Verschwendung oder Selbstbedienung in der AfD noch alle Sympathien. Inhaltliche Kritik an der Arbeit spielte in der Empörung kaum eine Rolle. Der Geschäftsführer beklagte seinerseits Kräfte im Vorstand der AfD-Fraktion, "die ein anderes Verständnis vom Aufbau einer professionellen Fraktion hätten", und ging nach Degradierung durch Weidel Anfang 2018.

Seither gab es niemanden in der Position des Fraktionsgeschäftsführers. Diese Funktion eines Fraktionsmanagers ist üblich neben den Parlamentarischen Geschäftsführern, die aus dem Kreis der gewählten Abgeordneten kommen. Ein Fraktionsgeschäftsführer ist zuständig für administrative und organisatorische Aufgaben – von Materialbestellungen über Reiseplanung bis zur Presse- und Social-Media-Arbeit. Das ist ein herausfordernder Job – bei der AfD gibt es schließlich knapp 80 Abgeordnete und 120 Mitarbeiter.

Halbseitige Anzeige für "Fels in der Brandung"

Zeitweise warb die Fraktion unter Einsatz von viel Geld um Bewerber für die Stelle. Im Frühjahr 2019 gab sie auf einer halben Seite in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" (FAS) eine Stellenanzeige auf: "Gesucht: Fels in der Brandung", hieß es da. 47.600 Euro kostete das Inserat laut Preisliste des Medienhauses. Die Kosten ärgerten manchen in der Partei noch mehr als der Umstand, dass gesetzlich korrekt auch "diverse" Bewerber angesprochen wurden.

Es war bereits der zweite öffentliche Versuch. Im April 2018 war im internen Machtkampf ein Bewerber vor den Zug geworfen worden, der zu dieser Zeit ein Coup hätte sein können: Martin Heipertz, damals in der CDU, stellvertretender Büroleiter von Finanzminister Wolfgang Schäuble, Berater von Jean-Claude Juncker im Europa-Wahlkampf 2014 und Referatsleiter für Europaangelegenheiten im Finanzministerium. 2021 kam er nach einer Rede auf einer Corona-Demo einem Ausschlussverfahren der CDU zuvor und wollte für die russlandfreundliche Anti-Maßnahmen-Partei "Die Basis" in den Bundestag.

2018 hatte er einen durchaus renommierten Namen. Fraktionsvize Beatrix von Storch hatte den sehr konservativen Christen ins Gespräch gebracht, und er hatte sich den Job zunächst vorstellen können. Das änderte sich, als Corinna Miazga, Vertreterin des rechtsextremen "Flügels" in der Partei, einen Sturm losbrechen ließ. Die bayerische AfD-Frau hatte die Personalie Heipertz auf Facebook öffentlich gemacht und gewarnt: Der AfD drohe eine "Merkelisierung", die AfD könne "Glaubwürdigkeit und Identität verlieren".

Der rechte Rand der AfD empörte sich prompt. Heipertz hatte kein Interesse mehr. Im Gegenzug scheiterte auch Alice Weidel mit ihrem Versuch, die frühere Bundesgeschäftsführerin der damals besonders stramm rechten FPÖ zu installieren.

Fraktion macht Druck auf Chrupalla

Einige Monate später folgte die Anzeige in der "FAS". Eine sechsköpfige Findungskommission sichtete im Jahr 2019 die Bewerber. Sie schlug schließlich vier Kandidaten vor. Unter ihnen waren nach Ansicht von Fachleuten durchaus hoch qualifizierte Bewerber mit reicher Erfahrung aus der freien Wirtschaft, die der Fraktion gut zu Gesicht gestanden hätten. Doch keiner gefiel den Abgeordneten der Partei, alle fielen deutlich durch. Und die Findungskommission "pausierte" danach.

Es war nichts mehr zu hören von einer Suche nach einem hauptamtlichen Geschäftsführer. Das hatten manche im Herbst 2021 nach einer Zäsur wieder erwartet: Deutschland hatte schließlich einen neuen Bundestag gewählt und eine kleinere AfD-Fraktion hatte mit dem Parteivorsitzenden Tino Chrupalla auch einen neuen Co-Vorsitzenden. Doch Chrupalla unternahm keinen neuen Anlauf, den Posten zu besetzen.

Chrupalla war bis dahin für den Bereich Finanzen und Innere Dienste zuständig, der Vorstandsreferent an seiner Seite war Rüdiger Kreisel. Als Chrupalla die Zuständigkeit für Finanzen mit Blick auf seine neuen Aufgaben abgab, blieb Kreisel auf seinem Posten. Kreisel hatte jetzt einen neuen Ansprechpartner, die Finanzen fallen seither in die Zuständigkeit von Enrico Komning, einem der Parlamentarischen Geschäftsführer. Und in der AfD erzählt man sich, dass Kreisel dem Parteichef Chrupalla auch durchaus mal das Budget für eine Veranstaltung deutlich zusammenstrich.

Großes Murren über Abläufe

Aus der Fraktion ist auch zu hören, dass Kreisel in der Funktion möglicherweise weiter tätig wäre, wenn es nach Chrupalla gegangen wäre. Der Fraktionsvorsitzende soll keine große Notwendigkeit gesehen haben, einen Fraktionsgeschäftsführer zu installieren. Allerdings wurde ihm im Frühjahr aus der Fraktion ein anderes deutliches Signal gesendet. Bei der Frühjahrsklausur der Fraktion in Oberhof war der Unmut groß: Chrupalla habe den Laden nicht im Griff, es hake an allen Ecken und Enden, so die Kritik.

Abgeordnete murren noch heute, dass in anderen Fraktionen viele Abläufe reibungsloser funktionieren, dass dort die Parlamentarier schneller kompetent Antwort bekommen und dass niemand wirklich wirksam die Defizite anpackt. Mehrheitlich wurde in Oberhof beschlossen, dass ein Fraktionsgeschäftsführer hermuss.

Als der Fraktionsvorstand diesen Beschluss am 17. Oktober, also mehr als ein halbes Jahr später, umsetzte, gab es keine Gegenstimme. "Die Personalauswahl des Fraktionsgeschäftsführers erfolgte einvernehmlich durch die Fraktionsvorsitzenden", sagt Partei- und Fraktionschef Chrupalla zu t-online. "Der Fraktionsgeschäftsführer genießt das uneingeschränkte Vertrauen beider Vorsitzender." Er selbst hatte auch Kreisel ausdrücklich für dessen Arbeit gewürdigt, die Fraktionsfinanzen auf die Reihe zu bekommen.

"Die werden alles auf ihm abladen"

Kreisel ist zum 1. November gewechselt, und ihm dürfte ein hartes Amt bevorstehen. Die Fraktion gilt weiter als unsortiert, die Baustellen als riesig. "Der tut mir leid, die werden alles auf ihm abladen", sagt einer aus Kreisen der Fraktion t-online.

Für Chrupalla hat die Personalie so auch einen angenehmen Nebeneffekt: Wenn es weiterhin nicht läuft, gibt es mit Kreisel einen schwarzen Peter, den sich die Fraktion auch noch gewünscht hat. Dem Vernehmen nach war nie ein anderer Name im Gespräch. Er gilt auch als Fachmann auf seinem Gebiet, sei als Geschäftsführer in der freien Wirtschaft tätig gewesen. Kreisel selbst hat eine Anfrage von t-online nicht beantwortet. Von der Pressestelle der Fraktion heißt es, durch seine bisherige Tätigkeit sei er mit der Fraktion bereits bestens vertraut.

Dann weiß er auch, worauf er sich eingelassen hat.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
  • Anfragen an AfD-Fraktion, Tino Chrupalla und Jürgen Kreisel
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