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Wie die Mafia in Deutschland die Gastronomie unterwandert


"Lasse ihn eine Salsiccia kaufen"
Wie die Mafia Deutschlands Gastronomie unterwandert

C. Anesi, M. Bettoni und G. Rubino (correctiv.org)

11.01.2018Lesedauer: 5 Min.
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Schaufenster eines italienischen Feinkostgeschäfts: Der erzwungene Kauf von Lebensmitteln ist ein Geschäftsfeld des Farao-Clans in Deutschland.Vergrößern des Bildes
Schaufenster eines italienischen Feinkostgeschäfts: Der erzwungene Kauf von Lebensmitteln ist ein Geschäftsfeld des Farao-Clans in Deutschland. (Quelle: Alina Sofia)

In Großrazzien sind Ermittler gegen die Mafia vorgegangen. Das Recherchezentrum Correctiv.org hat die italienischen Justizakten zu der Aktion ausgewertet. Sie zeigen, dass die italienische Mafia längst in der deutschen Wirtschaft zu Hause ist.

Jahrelang sammelten sie Beweise, hörten Telefonate ab, beobachteten Clan-Mitglieder. Zu Beginn der Woche starteten Ermittler in Deutschland und Italien schließlich eine der größten Aktionen gegen die italienische Mafia in den vergangenen 20 Jahren. Die Polizei nahm etwa 170 Personen fest, elf davon in Deutschland. Die Vorwürfe reichen von der Mitgliedschaft in einer mafiösen Vereinigung bis hin zu versuchtem Mord und Erpressung.

Die Razzien zielten vor allem auf den Farao-Clan, der zur kalabrischen Mafia-Gruppierung ‘Ndrangheta gehört. Aus italienischen Justizakten zu den jüngsten Razzien geht hervor, wie der Clan mit Hilfe des Lebensmittelhandels in Deutschland seinen Einfluss ausweiten konnte. Unter den Mafia-Clans sind die Faraos etwas Besonderes: nur dank seiner starken Präsenz in Deutschland stieg er in den vergangenen Jahrzehnten zu einem der mächtigsten Clans in Italien auf.

Zu den in dieser Woche Verhafteten zählt auch der Gastronom Mario L., der nahe Stuttgart ein italienisches Restaurant betrieb. Aus den Unterlagen geht hervor, dass L. Kontakt zu hochrangigen Mitgliedern des Farao-Clans hatte. L. habe seinen Einfluss in Deutschland konsolidiert, "insbesondere in der Gastronomie und in den Gebieten Frankfurt und Offenbach und in Baden-Württemberg", heißt es dort.

Alte Kontakte zu Günther Oettinger

Gegen L. wird nicht zum ersten Mal ermittelt. Anfang der 1990er-Jahre brachte er den CDU-Politiker und ehemaligen baden-württembergischen Ministerpräsidenten Günther Oettinger in Bedrängnis. Oettinger besuchte oft das Stuttgarter Restaurant von Mario L., der ihn "seinen Minister" nannte. Für die CDU-Landtagsfraktion organisierte Mario L. in seinem Restaurant "kalabresische Abende". Gegen Oettinger wurde nicht ermittelt.

Italienische Restaurants sind ein wichtiger Bestandteil der Mafia-Logistik. Sie dienen der Geldwäsche und Treffen zwischen Clanmitgliedern. Die Lebensmittellieferungen können Kokainschmuggel tarnen. Ermittler rechnen bislang etwa 15 Restaurants und Eisdielen in Deutschland dem Farao-Clan zu. Im Laufe der aktuellen Ermittlungen könnte diese Zahl noch steigen.

Ein vermeintlich ganz normaler Weinhändler

Doch nicht nur das: der Farao-Clan nutzte den Lebensmittelhandel dazu, anderen italienischen Restaurants in Deutschland die eigenen Produkte aufzuzwingen. "In Deutschland kontrollierte der Farao-Clan den Handel von Produkten aus der kalabrischen Stadt Cirò, etwa Wein, Zitrusfrüchte, Öl und Zutaten für Pizza", sagt der italienische Staatsanwalt Vincenzo Luberto. Das zeigt, dass die Mafia in Deutschland nicht nur mit Kokain handelt und ihr Geld mit dem Drogengeschäft verdient, sondern längst in der deutschen Wirtschaft angekommen ist.

Der Farao-Clan gab sich als ganz normaler Wein-Produzent aus Italien. Mit einem Unterschied: Er verschickte seine Flaschen ungefragt an die Restaurants – in einem Fall 200 Kisten. Der Clan lieferte auch Zutaten für Pizzateig sowie Käse und Wurst aus der süditalienischen Region Kalabrien – ohne dass sie bestellt waren. Anschließend besuchten die Mafia-Mitglieder die Gastronomen, um sie zur Annahme und Bezahlung der Waren zu zwingen.

"Ich zerstöre alles"

"Ich lasse ihn eine Salsiccia-Wurst und eine Schweinskopfsülze kaufen und in der ersten Aprilwoche gehst du da vorbei", sagt Mario L. am Telefon einem der Söhne von Clan-Chef Giuseppe Farao. Denn Gastronomen, die sich nicht erpressen lassen wollten, erhielten hochrangigen Besuch aus Italien: die Söhne der Clan-Chefs reisten nach Deutschland an, um sie einzuschüchtern.

Nicht nur italienische Restaurantbesitzer wurden Opfer des Clans. Das mutmaßliche Mafia-Mitglied Vincenzo B. soll 2013 auch einen deutschen Unternehmer bedroht haben. Der Geschäftsmann wollte in Hessen eine Eisdiele in einem Ladenlokal eröffnen, auf das auch Vincenzo B. ein Auge für die Eisdiele seiner Tochter geworfen hatte: "Wenn er meine Tochter beschädigt, beschädige ich ihm seine Frau, seine Tochter. Ich zerstöre alles", sagte Vincenzo B. in einem abgehörten Gespräch.

"Sag ihm, er soll an Duisburg denken"

Über einen italienischen Angestellten des Unternehmers soll B. ihm dann eine Bedrohung zukommen lassen haben: "Sag ihm, er soll an Duisburg denken, so dass er einschätzen kann, wie er enden wird", sagte B. am Telefon. In Duisburg waren 2007 sechs Italiener im Rahmen einer Mafia-Fehde vor einem Restaurant erschossen worden. Correctiv.org konnte den Anwalt von B. nicht erreichen.

Unter anderem an die Mitglieder des 2009 in Offenbach gegründeten Verein Armig – eine Vereinigung von kalabrischen Gastronomen in Deutschland – soll L. nach Ansicht der italienischen Staatsanwaltschaft "Produkte von Unternehmen zugestellt haben, die auf den Clan zurückzuführen waren".

BKA kennt 570 in Deutschland lebende mutmaßliche Mafiosi

Auf der Internetseite von Armig ist Mario L. als einfaches Mitglied aufgeführt. Italienische Ermittler gehen jedoch davon aus, dass L. eine bedeutendere Position in der Vereinigung hatte. Der Anwalt von Mario L. war zunächst nicht für eine Stellungnahme zu erreichen. Der Armig-Vorsitzende Cristofaro Amodeo sagt: „Das, was passiert ist, hat mich völlig überrascht.“ Sein Verein, so Amodeo, könne nicht die „Moral der Menschen überprüfen, die dem Verein beitreten wollen“. Der Verein, der selber keine Produkte vertreibt, fühle sich vom „absurden Geschehen“ beschädigt. „Wie ich auch arbeiten viele Kollegen, ob Mitglieder von Armig oder nicht, den ganzen Tag und haben nichts mit Kriminalität und Vergehen zu tun.“

Beim Bundeskriminalamt sind etwa 570 in Deutschland lebende Mafia-Mitglieder aktenkundig. 350 davon gehören der kalabrischen Mafia ‘Ndrangheta an, die stärkste Mafia-Gruppierung. Zählt man auch die Helfer der Mafia dazu, sind der Mafia in Deutschland eher 5.000 Personen in Deutschland zuzuordnen. Früher war Deutschland nur ein Rückzugsort für Mafiosi, die sich Festnahmen oder Fehden entziehen wollten. Heute ist Deutschland ein wichtiger Standort für die Geschäfte der Mafia.

Deutschland-Geschäft brachte Farao-Clan nach oben

Die Clans aus der ‘Ndrangheta-Hochburg San Luca sind vor allem in Nordrhein-Westfalen und über Dresden bis nach Osteuropa präsent. Der Farao-Clan beherrscht vor allem Hessen und Baden-Württemberg. Der Clan gründete sich in den 1970er-Jahren in der kalabrischen Stadt Cirò. Zunächst hatte er in der Hierarchie der ‘Ndrangheta kaum Bedeutung. Denn seine Bosse waren Außenseiter in der Welt der Mafia: es waren Dreißigjährige, die keine Mafia-Vergangenheit hinter sich hatten.

Schon in den 1980er-Jahren schmuggelten Mitglieder, die in Hessen und Baden-Württemberg lebten, zunächst Heroin und später Kokain nach Deutschland und verkauften die Drogen im Raum Kassel und Stuttgart. Heute zählt der Farao-Clan zu den mächtigsten in Italien. Das zeigt: Deutschland ist inzwischen so wichtig für die italienische Mafia, dass Clans ohne ein starkes Deutschland-Geschäft ins Hintertreffen geraten können.

"In Deutschland können wir alles machen"

Und bis zu den Razzien in dieser Woche konnte der Farao-Clan seine Stellung weitgehend ungestört ausbauen. Am 4. März 2014 unterhält sich der Gastronom Mario L. mit einem seiner Cousins im Farao-Clan, einem Sohn von Clan-Chef Giuseppe Farao. Sie diskutieren über ein Lager, das sie in der Nähe von Kassel für Lebensmittel aus Kalabrien erworben haben. Und dann lässt Vincenzo Farao diesen Satz fallen: "In Deutschland können wir alles machen".

Die Autoren sind Redakteure des Recherchezentrums Correctiv.org. Die Redaktion finanziert sich ausschließlich über Spenden und Mitgliedsbeiträge. Ihr Anspruch: In monatelanger Recherche Missstände aufdecken und unvoreingenommen darüber berichten. Wenn Sie Correctiv.org unterstützen möchten, werden Sie Fördermitglied. Informationen finden Sie auf correctiv.org/unterstuetzen.

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