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Die FDP sagt Nein: Die neue Dagegen-Partei will nicht mit den Grünen


Die neue Dagegen-Partei will nicht mit den Grünen

Eine Analyse von Jonas Schaible

Aktualisiert am 02.11.2018Lesedauer: 6 Min.
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Christian Lindner und der hessische Fraktionsvorsitzende der FDP Rene Rock: Einen Grünen wollen sie nicht zum Ministerpräsidenten machen.Vergrößern des Bildes
Christian Lindner und der hessische Fraktionsvorsitzende der FDP Rene Rock: Einen Grünen wollen sie nicht zum Ministerpräsidenten machen. (Quelle: Florian Gaertner/photothek.net/Imago)

Früher schmähte die FDP die Grünen gern als "Dagegen-Partei". Jetzt verweigert sie sich selbst zum dritten Mal einer Koalition. Schlüssig erklären kann sie das nicht.

Auch politische Schmähbegriffe unterliegen Konjunkturen. Den Grünen etwa werfen politische Gegner heute gern vor, eine Partei des erhobenen Zeigefingers zu sein. Davor lautete der beliebteste Vorwurf, die Grünen seien eine Verbotspartei. Und noch etwas früher, zwischen 2010 und 2012 etwa, bezeichneten Union und FDP die Grünen besonders gern als Dagegen-Partei. Sie wollten, so der Vorwurf, immer nur verhindern – Stromtrassen, Straßen, Atomkraft, Wirtschaftsaufschwung.

Zum Beispiel sagte Christian Lindner, damals FDP-Generalsekretär, im Jahr 2010: "Die Grünen sind eine optische Täuschung. Sie scheinen fortschrittlich, sind aber die Dagegen-Partei."

Acht Jahre später sind die Grünen eine hyperflexible Regierungspartei, die in Bundesländern mit CDU, SPD, FDP und der Linkspartei regiert, unter grünen, schwarzen, roten und dunkelroten Regierungschefs. Die FDP dagegen betont zwar, sie sei bereit zu regieren, hat sich seit der Bundestagswahl 2017 aber fürs Erste in eine echte Dagegen-Partei verwandelt.

Es begann schon vor Jamaika

Bereits nach der Niedersachsen-Wahl im Oktober 2017 hätte es für eine Ampel gereicht. Die FDP hatte die allerdings im Wahlkampf ausgeschlossen, mit dem einzigen Argument, man wolle Rot-Grün keine Mehrheit beschaffen. Alternative war damals nur eine schwarz-rote Koalition, die niemand wollte. Am Wahlabend waren die Sozialdemokraten überzeugt, die FDP umstimmen zu können. Es gelang nicht.

Nur wenige Tage danach begannen in Berlin die Jamaika-Sondierungen. Nach mehreren Wochen beendete die FDP-Delegation unvermittelt Gespräche und inszenierte den Bruch. Eine eindeutige Begründung haben Lindner und die Generalsekretärin Nicola Beer nie angeboten.

Mal erklärten sie, man habe die eigenen Kernforderungen nicht durchsetzen können, obwohl das beim wichtigen Wahlkampfthema Digitalisierung längst erreicht war; dann erklärten sie, man finde mit den Grünen keinen Konsens, mit der Union schon, obwohl in der noch offenen Streitfrage um die Rolle des Bundes in Bildungsfragen FDP und Grüne einig waren, beide aber mit der Union über Kreuz lagen. Schließlich schliff sich die Erklärung ein, man habe nicht Juniorpartner in einer schwarz-grünen Koalition sein wollen. Bis heute erzählen Liberale aber auch, eigentlich habe der Altlinke Jürgen Trittin die Verhandlungen hintertrieben, wie schon vier Jahre zuvor. Aus der Union ist das nicht zu hören.

In Bayern kam es auf die FDP nicht an. Die Hessen-Wahl ist damit nun die dritte Wahl in Folge, bei der die FDP sich einer möglichen Regierungsbeteiligung kategorisch verweigert.

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Auf den ersten Blick die gleichen Interessen

In Hessen sind drei Minimalkoalitionen rechnerisch möglich: CDU und Grüne. CDU und SPD. Grüne, SPD und FDP, also eine Ampel. Alle drei Koalitionen hätten nur einen Sitz Mehrheit. Nun haben CDU und SPD in Bayern und Hessen jeweils zusammen rund 20 Prozentpunkte verloren, die schwarz-rote Koalition im Bund bekommt beiden nicht gut. Für CDU und SPD ist sie deshalb keine Wunschlösung.

Die CDU forciert daher eine Fortsetzung von Schwarz-Grün. Für die anderen drei Parteien dagegen böte eine Ampel große Vorteile: Die Grünen könnten den Ministerpräsidenten stellen. Die SPD könnte nach fast 20 Jahren wieder einmal regieren – und das ohne die Union. Die FDP könnte regieren, anstatt in die Opposition zu gehen.

Klingt, als fielen die Interessen der drei Parteien perfekt zusammen. Es wurde auf Wunsch der Grünen auch sondiert – die Idee aber rasch verworfen. Das lag wohl an allen drei Parteien, aber vor allem an der FDP.

Hessisches Trauma

Die SPD fühlt sich unwohl damit, wegen 94 Stimmen, die sie in ganz Hessen hinter den Grünen liegt, zum Juniorpartner zu werden; aber sie schloss ein Bündnis auch nicht aus. Vertreter der Hessen-SPD und Mitglieder der Parteispitze sagen, man sei jetzt nicht in der Position, Forderungen zu stellen. Die Grünen müssten den ersten Schritt machen.

Die Grünen wiederum sind auch überraschend zögerlich. Erstens, heißt es in der Partei, weil die Zusammenarbeit mit der CDU wirklich gut und vertrauensvoll gewesen sei. Zweitens, weil Tarek Al-Wazir und der amtierende CDU-Ministerpräsident Volker Bouffier ein gutes Verhältnis haben. Drittens, weil es Al-Wazir womöglich zu riskant ist, eine Ampel mit drei Parteien und nur einem Sitz Mehrheit zu formen.

Da wirkt noch immer die hessische Erfahrung von 2008 nach, als Andrea Ypsilanti von der SPD vor der Wahl ein Bündnis mit der Linken ausgeschlossen hatte, danach aber versuchte, ein rot-grünes Bündnis von der Linken dulden zu lassen. Aus ihrer eigenen Partei stimmten im Landtag überraschend vier Abgeordnete gegen sie. Das war das Ende ihrer politischen Ambitionen.

Al-Wazirs Furcht speist sich aber nicht nur aus dem Schatten des Ypsilanti-Scheiterns und ein wenig aus der Angst vor der Irrationalität einer verwundeten SPD, sondern vor allem aus dem fehlenden Vertrauen in die FDP.

Gleichzeitig flexibel und nicht flexibel

Am Ende war es sowieso unerheblich, was SPD und Grüne wollen, weil die FDP nicht wollte. Nach einem Treffen von Liberalen und Grünen schloss Generalsekretärin Bettina Stark-Watzinger am Donnerstagabend weitere Gespräche über ein Dreier-Bündnis mit der SPD aus. Damit scheidet die Ampel als Option für die neue Landesregierung endgültig aus.

Parteichef Lindner hatte vor der Wahl erklärt, keine Ampel mit einem Grünen an der Spitze mitzutragen. Er wollte auch eine Ampel mit der SPD an der Spitze ausschließen. Dagegen wehrte sich FDP-Spitzenkandidat René Rock, der immerhin auch nur sagte: "Tarek Al-Wazir als Ministerpräsident ist für uns sehr schwer vorstellbar." Er wollte doch sprechen, sah aber wenig Chancen.

Aber: Warum eigentlich?

Noch am Wahlabend, als die Sitzverteilung nicht bekannt war und es aussah, als reiche es nicht für Schwarz-Grün, für ein Jamaika-Bündnis aber schon, sagte Rock im ZDF: "Jamaika ist hier in Hessen einfacher, als es im Bund war." Energie- und steuerpolitisch gebe es in Hessen weniger Streitpunkte. "Die Grünen sind ja, glaube ich, auch flexibel. Beim Flughafen haben sie ja in Hessen auch alles aufgegeben, wofür sie damals eingetreten sind und vielleicht kriegen wir in der Energiepolitik da auch etwas Vernünftiges hin." Tatsächlich sind die Grünen kaum irgendwo pragmatischer und weniger links als in Hessen.

Dann sagte Rock, es gebe einfach zu große thematische Unterschiede zwischen FDP und Grünen. Bevor überhaupt Gespräche stattgefunden hatten, also auf dem gleichen Kenntnisstand wie am Wahlabend.

Die Grünen waren in der Erzählung der FDP zugleich flexibler als im Bund, geeignete Partner für Jamaika wegen überwindbarer inhaltlicher Differenzen, eventuell geeignete Partner in einer SPD-geführten Ampel, absolut ungeeignet als Partner in einer grün geführten Ampel, wegen unüberwindbarer inhaltlicher Differenzen.

Grüne und CDU sind sich noch weniger ähnlich

Eine Analyse des Hessischen Rundfunks von Programmen im Wahl-O-Maten und des Kandidatenchecks von "Abgeordnetenwatch.de" zeigt, dass FDP und Grüne tatsächlich wenig gemeinsam haben – aber zwischen FDP und SPD gibt es nicht mehr Gemeinsamkeiten. Und CDU und Grüne sind sich sogar noch ferner als FDP und Grüne. Trotzdem funktionierte die Koalition.

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Natürlich wären schwierige Verhandlungen nötig gewesen. Vor allem über den Ausbau der Windkraft. Aber Differenzen gibt es in Koalitionen immer. Inhaltlich vollkommen abwegig, wie Christian Lindner sagte, wäre eine Zusammenarbeit nicht gewesen. Die FDP hätte mit den Grünen regieren können, wenn sie gewollt hätte. Sie wollte nur nicht.

Sie will überhaupt nicht gerade, schon zum dritten Mal in einem Jahr. Was prinzipienfest wirken könnte, wäre die FDP in der Lage, ihre Position schlüssig und widerspruchsfrei zu erklären. So spricht einiges dafür, dass es um eine strategische Ausrichtung auf Zeit geht.

In Bayern, so die Vermutung in der Partei, habe die FDP Spekulationen, sie sei bereit, in ein von der CSU "Regenbogenkoalition" genanntes Viererbündnis mit Grünen, SPD und Freien Wählern einzutreten, nicht schnell genug abgewürgt. Andernfalls hätte man womöglich noch mehr Stimmen von der CSU gewonnen.

Profilschärfung durch Gegnerschaft

Die FDP könnte sich in einem verändernden Mehrparteiensystem als Partner der CDU, SPD und der Grünen positionieren; Lindner hat das offenkundig nicht vor.

Er scheint darauf zu setzen, dass die FDP links der klassischen Mitte und unter den pluralistisch orientierten Befürwortern gesellschaftlichen Wandels wenig potenzielle Anhänger hat; dass sie mehr gewinnen kann, wenn sie sich wirtschaftsfreundlich, mitte-rechts und dem gesellschaftlichen Wandel eher skeptisch gegenüber präsentiert. Dass sich Anhänger mit dem Feindbild der Grünen immer noch mobilisieren lassen, nachdem kurzzeitig die CSU der größte Gegner Lindners zu sein schien – weil Umfragen immer wieder zeigen, dass Grüne und Liberale in sehr vielen Fragen weit auseinanderstehen. Und dass dann auch wieder Koalitionen mit einer womöglich konservativeren Union möglich werden.


Dafür ist die Partei offensichtlich bereit, in der Opposition auszuharren. Und als neue Dagegen-Partei dazustehen.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
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