t-online - Nachrichten für Deutschland
t-online - Nachrichten für Deutschland
Such IconE-Mail IconMenü Icon



Menü Icon
t-online - Nachrichten für Deutschland
HomePolitik

Landtagswahl in Sachsen: Kretschmer beschert AKK erstmal Ruhe


Landtagswahl in Sachsen
Großer Pakt unter Gegnern

Von Jonas Schaible, Dresden

Aktualisiert am 02.09.2019Lesedauer: 5 Min.
Nachrichten
Wir sind t-online

Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.

Zum journalistischen Leitbild von t-online.
Michael Kretschmer (2.l), Ministerpräsident von Sachsen, und Martin Dulig (r), Spitzenkandidat der SPD: Die CDU hat die Wahl gewonnen, auch weil nur sie die AfD schlagen konnte.Vergrößern des Bildes
Michael Kretschmer (2.l), Ministerpräsident von Sachsen, und Martin Dulig (r), Spitzenkandidat der SPD: Die CDU hat die Wahl gewonnen, auch weil nur sie die AfD schlagen konnte. (Quelle: Michael Kappeler/dpa)

Michael Kretschmer hat die heikelste politische Mission seit langem bewältigt. Aber von jetzt an muss er mehr als nur seine Partei bedienen.

Wie sehr die Zeiten sich geändert haben, kann man an diesem Wahlabend in Dresden sehen, im Landtag, wo die CDU im Restaurant mit Elbblick im dritten Stock ihre Wahlparty veranstaltet. Die Partei hat das Ehepaar Biedenkopf an einem Tisch vor einem Fernseher platziert: Kurt, den ersten Ministerpräsidenten nach der Wiedervereinigung, heute 89 Jahre alt, und seine Frau Ingrid, über die man scherzt, sie sei damals mit ihm gemeinsam Ministerpräsidentin gewesen. Damals gewann Biedenkopf die absolute Mehrheit und man nannte ihn "König Kurt". Niemand steht bis heute so für den schwarzen Alleinvertretungsanspruch in Sachsen.

Bevor die ersten Prognosen bekannt gegeben werden, scharen sich Kameras um die Biedenkopfs. Hinter den beiden sind junge Helfer aus dem Wahlkampfteam des Ministerpräsidenten Michael Kretschmer postiert. Sie jubeln euphorisch, als die erste Prognose auf dem Bildschirm zu sehen ist. 33,5 Prozent. Kurz darauf leert es sich um die Biedenkopfs. Der König ist alt geworden, er ist heute nur noch in symbolischer Funktion hier. "Besser, als wir erwartet haben", sagt er zum Wahlergebnis: Weiter stärkste Partei, besser als bei der Bundestags- oder der Europawahl. Aber eben auch: Schlechter als vor fünf Jahren.

Marathon des Anti-Biedenkopfs

Michael Kretschmer, der Ministerpräsident, ist eine Art Anti-Biedenkopf: Kein König, sondern ein Arbeiter. Einer, der den jungen Kollegen dankt, "die so tiefe Augenringe haben wie ich". "Wir haben hart gearbeitet in den letzten 20 Monaten dafür", sagte er in der ARD. Er hatte ja auch keine andere Wahl.

Kretschmer hat die Staatskanzlei und den Landesverband kurz nach der Bundestagswahl 2017 übernommen, als die CDU erstmal hinter der AfD gelandet war, und gegen alle Widerstände die heikelste politische Mission seit Jahren erfolgreich abgeschlossen. Er hat bei der Europawahl noch einmal gegen die AfD verloren, aber er durfte jetzt nicht verlieren.

Wäre er wie ein König aufgetreten, wäre er gescheitert. Kretschmer ist stattdessen so entschlossen durchs Land getourt und hat geredet und zugehört, dass kein Journalist umhin kam, zu beschreiben, dass er entschlossen durchs Land tourt, so dass wirklich keiner verpassen konnte, dass er entschlossen durchs Land tourt. In seinem Team ist man stolz auf die Leistung. "Harte Arbeit zahlt sich aus", sagt der Landesgeschäftsführer Conrad Clemens.

Das Gesicht des freundlichen Sachsens

Doch so sehr die CDU-Wahlkämpfer am Abend in Dresden auch Kretschmers Verdienste hervorhoben, er dürfte maßgeblich von Umständen profitiert haben, die er nicht beeinflussen kann. Er gewann eine Wahl, in der es um Inhalte kaum mehr ging, die komplett überlagert wurde von der Frage, ob die AfD ganz vorn landet oder nicht. „Das freundliche Sachsen hat gewonnen“, sagte Kretschmer zu seinen Parteifreunden. Das war alles andere als selbstverständlich und wird Folgen haben. Doch die inhaltlichen Differenzen sind damit nicht aus der Welt – und könnten noch einiges kompliziert machen.

Schon mittags meldete der Landeswahlleiter in Dresden eine Wahlbeteiligung von mehr als 50 Prozent. Am Ende waren es mehr als 65 Prozent. Die Mobilisierung nutzte auch der AfD: Sie bekam fast 28 Prozent, etwas mehr sogar als bei der Bundestagswahl. Sie nutzte aber auch der CDU.

Überraschendes Grünen-Ergebnis

Vieles ist unklar an diesem Wahlabend, weil es so viele Vergleichspunkte gibt: Die Landtagswahl vor fünf Jahren, die Bundestagswahl vor zwei, die Europawahl vor einem halben und die Umfragen, in denen die Grünen zuletzt so stark waren. Das macht Analysen der Wanderungsbewegungen so schwierig. Doch der Schlussspurt der CDU war wahrscheinlich nur möglich, weil viele von denen, die vor einiger Zeit noch den Grünen zuneigten, oder von denen, die sonst FDP gewählt hätten, vielleicht auch SPD, jetzt die CDU gestärkt haben - gegen die AfD.

Als die AfD zum ersten Mal in einer Umfrage vor der CDU lag, drehten die Umfragen. Die CDU stieg, die Grünen fielen. Ähnlich sah es in Brandenburg aus: Dort legte die SPD plötzlich zu, vor allem die Grünen blieben unter den Erwartungen. Aber auch die CDU schnitt schlecht ab. In beiden Fällen profitierten kurz vor dem Wahltag diejenigen, denen am ehesten zugetraut wurde, die AfD zu schlagen.

Die FDP schafft es nicht in den Landtag, lag in Umfragen aber zuvor konstant über fünf Prozent. Die Grünen schienen sicher mit einem zweistelligen Ergebnis rechnen zu können, schaffte aber nicht einmal neun Prozent. Unter Frauen bekamen die Grünen kaum mehr Stimmen als unter Männern, obwohl der Unterschied sonst üblicherweise groß ist, dafür lag die CDU unter Frauen so deutlich vor dem Ergebnis unter Männern wie in Merkels Hochzeiten auf Bundesebene: Das deutet auf eine Art Wechselwählerleihstimmen hin.

Der Pakt überdeckt Großkonflikte

Trotzdem sind zahlreiche Direktwahlkreise an die AfD gegangen: Und, wie sieht es bei Dir aus?, war eine oft geraunte Frage am Wahlabend in Dresden. Das ist kein Sieg aus eigener Kraft, keine Alleinherrschaft, sondern ein prekärer Abwehrpakt der Demokraten, die in so vielem eigentlich Gegner sind.

Kretschmer hat der Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer erst einmal Ruhe beschert und damit bessere Aussichten auf eine Kanzlerinnenkandidatur, und obendrein gute Argumente dafür, dass die Christdemokraten nicht so werden müssen wie die AfD, um sie zu schlagen. Im Gegenteil: Nur weil Kretschmers sich immer wieder und zunehmend schärfer von der AfD distanzierte, war er für alle anderen eine echte Option.

Damit überdeckt der Grundkonflikt zwischen der AfD und dem demokratischen Block aber alle anderen Konflikte und Differenzen. Etwa in der Klimapolitik. Kretschmer lehnt eine CO2-Steuer ab. Er kommt aus der Lausitz und will keinen beschleunigten Kohleausstieg, er mahnt zu Umsicht und Ruhe in der Klimapolitik – ein Großteil der potentiellen Grünen-Wähler dürfte das ganz anders sehen. Kaum irgendwo liegen CDU und Grüne in der Klimapolitik so weit auseinander wie in Sachsen.

Für eine Koalition aus CDU und Grünen, die entweder als Zweier-Bündnis oder unter Beteiligung der SPD wahrscheinlich ist – allerdings war am Abend auch ein schwarz-rotes Bündnis noch denkbar – ist das eine schwere Hypothek: Ohne die Leihstimmen der grünen Wechselwähler wäre Kretschmer womöglich kein Ministerpräsident mehr. Aber wie weit kann er ihnen in einer Koalition entgegenkommen? Wie weit will er das? Und was macht das mit den Wählern, die ihre politischen Präferenzen hinter den Wunsch zurückgestellt haben, die AfD auf Platz zwei zu halten?

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Symbolbild für eingebettete Inhalte

Embed

Und selbst wenn es wieder eine schwarz-rote Koalition gibt: 63 Prozent der Wähler gaben laut Infratest dimap an, sie machten sich große Sorgen, dass die Klimakrise die Lebensbedingungen zerstöre. Und die Wähler in anderen Bundesländern werden genau beobachten, wie die CDU mit diesem Ergebnis umgeht. "Das ist ein großer Vertrauensvorschuss", sagte der ehemaligen Innenminister Thomas de Maiziere am Abend auf der Wahlparty.


Die Landtagswahl in Sachsen hat gezeigt, dass die Wähler bereit und in der Lage sind, sich an der Wahlurne auf die neuen Bedingungen eines Sechsparteiensystems mit einer extrem rechten Partei einzustellen. Wie demokratische Normalität und Regieren in Differenz unter diesen Bedingungen aussehen kann, wird sich in den kommenden fünf Jahren zeigen müssen. Zumal Kretschmer zwar vorhat, weiter durchs Land zu reisen, aber die Frequenz des Wahlkampfs unmöglich aufrechterhalten kann. Er selbst formulierte es am Abend so: die größte Arbeit liege noch vor der CDU.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen vor Ort
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...

ShoppingAnzeigen

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...



TelekomCo2 Neutrale Website