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Wahl in Thüringen: Bodo Ramelow – Tango mit dem Erzfeind


Landtagswahl in Thüringen
Tango mit dem Erzfeind

Von Jonas Schaible, Erfurt

Aktualisiert am 28.10.2019Lesedauer: 5 Min.
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Bodo Ramelow auf der Wahlparty der Linken: Findet er Partner?Vergrößern des Bildes
Bodo Ramelow auf der Wahlparty der Linken: Findet er Partner? (Quelle: Daniel Naupold/dpa)

Drei Wahlen diesen Herbst, drei Siege für die Amtsinhaber – auch für Bodo Ramelow. Als Einziger hat er sich gesteigert. Kann es da sein, dass er trotzdem als Einziger nicht regieren darf?

Auf dem Weg zur Wahlparty der Linken in Erfurt kommt man an einem Tanzstudio vorbei. Drinnen drehen sich zwei Paare zu Tangomusik. Ein Sprichwort sagt, es brauche immer zwei, um Tango zu tanzen.

Auf der Wahlparty der CDU spielt etwa drei Stunden später am frühen Abend eine Band. Der Kontrabassist sagt: "Wir bitten die Tanzpaare, Aufstellung zu nehmen." Es ist ein Scherz, niemand tanzt. Die Band spielt trotzdem: "Oh darling, darling, stand by me". "Oh I won't be afraid".

So ist das an diesem Wahlabend in Thüringen: Zum Tanz will niemand auffordern. Alle haben Angst. Niemand will an der Seite der anderen gesehen werden.

Der einzige Wahlsieger ohne Mehrheit

Es ist die dritte Wahl in einem ostdeutschen Bundesland in diesem Herbst in Folge und die Abläufe ähneln sich: dreimal gewann der Amtsinhaber, dreimal steigerte er sein Ergebnis gegenüber Umfragen in den Wochen vor der Wahl nochmal. Dreimal ging es bei steigender Wahlbeteiligung offensichtlich vielen auch darum, dafür zu sorgen, dass die AfD nicht stärkste Partei wird. Dreimal sammelten sich also Teile des demokratischen Lagers hinter demjenigen, der am ehesten die AfD schlagen konnte, die Koalitionspartner litten darunter.

Aber diesmal ist etwas anders. Zweimal war schon am Wahlabend klar, dass dieser Amtsinhaber weiterregieren kann, wenn auch in einem neuen Bündnis. In Sachsen musste Michael Kretschmer (CDU) nicht um Partner betteln, in Brandenburg Dietmar Woidke (SPD) auch nicht. Nur Bodo Ramelow, der linke Regierungschef in Erfurt, ein Mann mit hervorragenden Beliebtheitswerten, weiß nicht, wie es weitergeht.

"Scheiße", sagt eine Linke kurz nach 18 Uhr, als die erste Prognose bekannt wird. "Scheiß Ergebnis." Dabei hat Ramelow, hat die Linke um die 30 Prozent bekommen, das Ergebnis gegenüber 2014 leicht gesteigert, zum ersten Mal als Linkspartei eine Landtagswahl in Deutschland als stärkste Kraft beendet. Eigentlich Grund zum Feiern.

Verdruckste Reaktionen

Scheiß Ergebnis trotzdem, für viele im alten Bahnhof, wo die Musik so laut spielt, dass man kaum das eigene Wort versteht, was vielen nicht unrecht sein dürfte, denn wirklich nach reden ist nicht allen.

Weil die Linke mit rund 30 Prozent, die AfD mit rund 24 Prozent und die CDU mit rund 22 Prozent so stark sind, dass ohne Linke oder AfD keine Mehrheit zu bilden ist, und weil es ohne die CDU auch kaum geht. Weil zwar viele Menschen die Linke als Bollwerk gegen die AfD gewählt haben dürften, aber die CDU nicht sicher ist, ob sie die Linke nicht für genauso schlimm hält wie die AfD. Oder wenigstens für so schlimm, dass man mit ihr nicht arbeiten will. Was die ja auch nicht will, wirklich nicht, die Frage ist nur, was die Alternative ist.

Etliche Linke erzählen auf der Wahlparty, man müsse abwarten, vielleicht reiche es ja noch für Rot-Rot-Grün, als schon völlig offensichtlich ist, dass es für Rot-Rot-Grün nicht reichen wird, selbst wenn die FDP den Einzug in den Landtag verpassen sollte.

Möglich, dass es für eine rot-rot-grün-gelbe Regierung reichen könnte, aber wird eine FDP, die sich schon der rot-gelb-grünen Ampel zuletzt oft verweigerte und die partout keinen Grünen zum Ministerpräsidenten wählen wollte, wirklich ein so breites Linksbündnis mit einem Linken an der Spitze tragen? Dafür spricht an diesem Abend nichts.

Großes Misstrauen gegenüber der CDU

Wenn man sich durch diese Schichten des Leugnens und Vedrängens gearbeitet hat, sagen aber einige Linke auch, naja, irgendwie könne man schon mit der Union. "Ich bin für eine Minderheitsregierung", sagt ein Gast. "Da gibt es ja auch einen Sozialflügel", sagt eine Abgeordnete, die aber auch zugibt, dass die vielen Angriffe der CDU, die Gleichsetzungen mit der AfD, die Anwürfe, die Linke sei undemokratisch, schmerzen. Da ist außerdem der Mitarbeiter, dem sich beim Gedanken an die CDU alles zusammenzieht, und da ist das einfache Mitglied, das nicht sicher ist, ob die CDU schon entnazifiziert sei.

Man könnte hier richtig wütend sein auf die CDU, weil man als Wahlsieger des demokratischen Lagers ohne Mehrheit dasteht, weil die CDU sich nicht entscheiden kann, ob sie die Linke als Teil des demokratischen Lagers sieht. Doch zur Frage, ob sich das ungerecht anfühle, ist kein Durchdringen. Zu groß ist der Unwillen, sich im Tango mit der CDU vorzustellen. Im Fall der Fälle wird man die Hand ausstrecken, aber nur mit großem Unwillen.

Erst einmal verdauen

Zwei Stunden später, bei der CDU, ist die Stimmung erst recht nicht besser, nach zweistelligen Verlusten, dem Absturz auf Platz drei, hinter die AfD. "Ich muss das erst verdauen, wir alle müssen das verdauen", sagt einer aus der Jungen Union. "Dass die AfD so stark ist, setzt mir echt zu", sagt ein anderer.

Bei der CDU wird an diesem Abend mit noch größerer Hingabe herumgedruckst als bei der Linken. Keine Koalition mit AfD oder Linken, das sei doch klar, hört man immer wieder. So sagt es ja auch Generalsekretär Paul Ziemiak gerade im Fernsehen. Jetzt müsse man mal abwarten, auf die Erststimmen, die Wahlkreise, die Zusammensetzung, als ob das etwas am Dilemma ändern würde. Keine Zusammenarbeit, so hat es ein Parteitag beschlossen.

Aber ohne Zusammenarbeit, wenigstens eine lose, wenigstens in einzelnen Abstimmungen, gibt es keine Mehrheit. Es sprechen ja auch Christdemokraten mit Respekt von Bodo Ramelow, der vor fünf Jahren antrat, begleitet von Untergangsprognosen, die sich alle als falsch erwiesen, während der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke in seinem Buch Säuberungsfantasien ausbreitet.

Selbst antreten, gegen Ramelow?

Also? Weicht man trotzdem einfach aus an diesem Abend. Klare Antworten sind nicht zu bekommen. "Man redet am besten erst einmal miteinander", sagt Frank-Michael Pietzsch, früher einmal Landtagspräsident, Minister und CDU-Fraktionschef, mit der Linken, nicht mit der AfD, und das ist schon eine der klareren Aussagen, die zu bekommen sind. Tolerierung, Minderheitsregierung, eine Expertenregierung wie in Österreich nach dem Rücktritt der Regierung, man müsse über alles nachdenken, sagt er.

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"Ich kann mir nicht vorstellen, dass der abgewählte Ministerpräsident Bodo Ramelow von uns unterstützt wird", sagt dagegen Christian Hirte, Bundestagsabgeordneter und Ostbeauftragter der Bundesregierung. Vielleicht könne ja auch Mike Mohring antreten, und dann mal sehen.

Das wünscht sich ganz offen ein Mann mit Anstecker der Werteunion. Es hieße natürlich: im Zweifel mit den Stimmen der AfD gewählt werden. "Kommt nicht in Frage, mit denen irgendwas zu machen", sagt dagegen einer aus der Jungen Union.

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Was müsste passieren, damit Gespräche möglich werden?

Es braucht zwei, um Tango zu tanzen, und es braucht höchstwahrscheinlich genau diese zwei, Linke und CDU. Aber wie soll das gehen, nach all den Verletzungen, Vorwürfen, Vorbehalten?

Wahrscheinlich, wenn überhaupt, erst in einigen Tagen, nachdem man sich geziert und mit der Wirklichkeit Frieden geschlossen hat. Wahrscheinlich auch nur nach vertraulichen und öffentlichen Entschuldigungsgesten. Die CDU müsste sich dazu entscheiden, anzuerkennen, dass die real existierende Linke ihr vielleicht zuwider ist, aber zuwider unter Demokraten, anders als die real existierende AfD. "Die Linke müsste ihre Haltung zur DDR überdenken", sagt Frank-Michael Pietzsch. Er sagt aber auch: "30 Jahre nach der friedlichen Revolution sind die Mehrheit der Funktionäre der Linken nur noch begrenzt verantwortlich für das, was Honecker und Konsorten angerichtet haben."


Der Landeschef und Spitzenkandidat Mike Mohring sagt: "Zunächst heißt es, klug zu überlegen, was ist für unser Land wichtig und wie können wir unsere Demokratie stabilisieren." Die Situation verlange neue Antworten. Das klingt weniger kategorisch als das, was der Generalsekretär verbreitet.

Eine Mehrheit zumindest für vorsichtige Gespräche könnte es geben. Immerhin 68 Prozent der CDU-Anhänger sagen nach einer ARD-Umfrage, die Partei solle ihr Verhältnis zur Linken überdenken.

Verwendete Quellen
  • Eigene Beobachtungen vor Ort
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